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SCHWEINFURT
Christoph Sieber rastet (kurz) aus
Schwabenzorn: Christoph Sieber ließ in der Schweinfurter Disharmonie die Sau raus.
Foto: Uwe Eichler | Schwabenzorn: Christoph Sieber ließ in der Schweinfurter Disharmonie die Sau raus.
Von unserem Mitarbeiter Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 30.03.2014 17:30 Uhr

Wähä, wänn där Schwabä zum Zornigl wird, zum kindlichen Wüterich: „Das Wichtigste, was unserer Gesellschaft fehlt, ist der Zorn“, weiß Christoph Sieber, Shootingstar der deutschen Kabarettszene. Wann immer nachts am Main die Temperatur hochkocht, weiß man: a) Die Kulturwerkstatt ist voll besetzt und b) ein echter Szene-Promi steht auf der Bühne. Der studierte (!) Pantomime, bekannt von „Neues aus der Anstalt“, „Satire-Gipfel“, „Heute Show“ und ähnlichen Formaten, ist erzürnt.

Ein Meer der Gleichgültigkeit hat sich im Lande ausgebreitet, unter Merkel. Dabei ist er das Schmiermittel jeder Gesellschaft, der Zorn des kleinen Mannes (und der kleinen Frau). Jeder hat was, was ihn auf die Palme bringen müsste, gesellschaftlich, politisch, privat. Aber wenn sich keiner mehr zu toben traut, dann übernimmt das eben der gebürtige Balinger fürs Publikum.

Seehofer und sein Umgang mit der Energiewende echauffiert manch Disharmonie-Besucher auf Nachfrage, nein, eigentlich alles. Den Leuten kann geholfen werden. Der völlige Ausraster im Namen des Volkes ist gut gebrüllter Höhepunkt der ersten Halbzeit von „Alles ist nie genug“, eine Art Urschreitherapie für politisch Traumatisierte: „einfach mal die Sau rauslassen“ – auch wenn die ebenfalls längst privatisiert ist. Kindheitstraumata hat Sieber sowieso, den Bocksprung im Sportunterricht etwa, Nikolaus auf Rostrollschuhen oder einen fetten, von der Decke hängenden Engel im Weihnachts-Singspiel.

Sieber, der erstklassige Kleinkunstpreise abgeräumt hat, in einem Atemzug mit Pispers und Priol genannt wird: Er hat den Ausstieg geschafft, aus dem kreuzbraven „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Milieu der Eltern (der Vater tünchnert im Urlaub gerne schon mal die Kreidefelsen von Rügen zu akkuratem Weiß, sagt er). Hat sich aus einem bunten Straßenzirkus nach oben jongliert, ein Kabarett-Gaukler und Comedy-Flunkerer mit treuherzigem Blick und vermutlich sogar ernst gemeinter Betroffenheit in der Stimme.

Welche Werte werden denn in Afghanistan verteidigt, wenn ein Bäcker daheim überzähliges Brot im Ofen verschürt: „Hat den gleichen Heizwert wie Holz?“ Zu sehen im Dokumentarfilm „Taste the waste“, über unser aller Lebensmittelverschwendung. Oder wenn Klitschkos Management Group ganz offen zum Neoliberalismus in die befreite Ukraine einlädt, auf der Internetseite, die sich der Mittvierziger ausgedruckt hat: Wir regeln das mit den Behörden. Sieber beklagt bloße Verwaltung der Gegenwart. Einzige Vision der Politiker sei heute die vom Abbau des Sozialstaats. Früher wollte man Starke stärker machen, damit sie die Schwachen mittragen könnten. Heute macht man die Schwachen schwächer, damit sie leichter zu tragen sind. Für solch plastische Bilder und verblüffend unzynische Sprüche muss man den Moralisten mögen. Für herzhafte, herrlich verstiegene Geschichten über den „Schienenersatzverkehr“ der Bahn, geschmeidige Rap-, Jonglage- und Pantomime-Einlagen. Es gibt sogar Beifall fürs Publikum: „Wider Erwarten ein sehr harmonischer Abend“, schreibt Sieber der Disharmonie ins Gästebuch.

 
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