
465 Jahre alt ist die Kantorei St. Johannis nachweislich, hochbetagt kommt sie allerdings nicht daher. Ganz im Gegenteil, als die rund 70 Sänger nacheinander zur Probe im Martin-Luther-Haus eintreffen, kommt Leben in den Saal. Es gibt scheinbar viele Neuigkeiten auszutauschen. Jetzt braucht es Andrea Balzers pädagogisches Geschick, die Aufmerksamkeit auf sich und die anstehende Probe zu lenken.
"Das ist manchmal gar nicht so einfach", stellt Martin Frey fest. Balzer lacht, es gebe sogar Untersuchungen, nach denen das Mitteilungsbedürfnis und die Kommunikationsfreudigkeit sich je nach Stimmlage unterscheide. Balzer, Kirchenmusikdirektorin und Dekanatskantorin des Evangelisch Lutherischen Dekanats Schweinfurt hat viel vor mit ihrer Kantorei. Am Sonntag, 24. November, wird der Chor in der St. Johanniskirche eine der schwierigsten geistlichen Kompositionen, die h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach aufführen. In der Geschichte der Kantorei wird diese das dritte Mal gesungen, nach 1958 und 1975. Ein Jahr lang proben die Sängerinnen und Sänger jetzt schon dafür.
Als Andrea Balzer 1998 als erste Frau an der Spitze die Kantorei übernahm, war diese nur noch ein kleiner Chor. Inzwischen kommt regelmäßig eine stattliche Anzahl von 70 bis 75 Sängerinnen und Sänger zu den Proben. Martin Frey erklärt, warum er sich ausgerechnet für die Kantorei entschieden hat. Es sei die Herausforderung gewesen, die ihn angezogen habe, meint er. Er habe die Aufführung des Paulus von Felix Mendelssohn Bartholdy gehört und beschlossen, hier mitsingen zu wollen, "obwohl ich schon ein bisschen Angst gehabt habe, dass ich dem nicht gerecht werde", erinnert er sich. Aber Balzer unterstütze jeden. Einmal erzählt er, habe er verzweifelt gesagt, dass er das nicht könne, dann habe Balzer ihn "einbestellt" und mit ihm geübt.
Stimmübungen und Atemtechnik
Die Dekanatskantorin lacht. Sie weiß, dass sie viel von ihren Chormitgliedern verlangt, aber "einbestellt" habe sie noch nie jemanden, versichert sie. Was Balzer neben ihren musikalischen Fähigkeiten auszeichnet, ist ihr ansteckendes Lachen. Damit motiviert sie auch gleich zu Beginn der Probe zu allen Arten von Verrenkungen, zu Stimmübungen, um sich aufzuwärmen und die Atemtechnik zu verbessern. Dabei nutzt Balzer ihre Lachen, denn die rechte Stimme ist wohl auch abhängig von der rechten Stimmung.

Neben dieser bräuchten ihre Sängerinnen und Sänger auch Stehvermögen und zwar im "im wahrsten Sinn des Wortes", erklärt die Kantorin. Während der h-Moll-Messe beispielsweise heiße es zwei Stunden lang stehen. Es dauere auch etwas, bis man sich in einer Lesepartitur zurechtfinde, erklärt Balzer. Dennoch meint sie, die einzige Voraussetzung zur Kantorei zu kommen sei, "dass jemand die Töne trifft". Alles andere könne man lernen.
Überwältigende Momente
Britta Moraz ist vor 13 Jahren nach Schweinfurt gezogen und hat sich vom Weihnachtsoratorium der Kantorei begeistern lassen. Für die damals 26-Jährige war sofort klar: "Da will ich auch mitsingen." Auch für sie, die früher schon im Schul- und Kirchenchor mitgesungen hatten, sollte die Kantorei eine besondere Herausforderung werden. "Ich fand's harte Arbeit und manchmal hab' ich gedacht, ich schaff's nicht", erzählt sie. Dann habe sie zuhause geübt, ein Klavier habe sie zwar nicht, aber eine Klavier App, die tat's dann auch. Entschädigt wird sie bei den Aufführungen. "Der Moment, auf dem Podest zu stehen und auf das Orchester herunterzuschauen, ist einfach überwältigend", erklärt sie.

Die Aufführungen sind auch für Frey ein Argument, das für die Kantorei spricht, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Er hat in einem Chor, in dem er vorher sang, erlebt, dass zu den Aufführungen plötzlich professionelle Sänger in den Chor eingeschleust wurden, das ärgerte ihn. "Neben einem Profi kann man nicht singen", stellt er fest, außerdem deklassiere das ja die Chorsänger, die schließlich lange geprobt und sich vorbereitet hätten.
Das sieht Balzer ähnlich. Solisten dazu zu holen und ein Orchester, das sei das eine, aber ansonsten will sie einen "ehrlichen Chor". Solche Aktionen nähmen auch die Freude am Singen, meint sie und die, das merkt man ihr an, ist für sie ungeheuer wichtig. "Bei der Musik, da packt mich ein Feuer", erklärt sie völlig unnötigerweise, denn das Feuer sprüht aus ihren Augen.
Geistliche Chormusik, das ist immer auch Verkündigung, betont Balzer. Frey findet gut, "dass wir kein Verein sind, sondern ein lockerer Haufen". Allerdings ein sehr beständiger, stellt er fest, denn es gebe kaum Fluktuation. Moraz ist immer wieder neu beeindruckt, dass die Kantorin "alles aus uns herausholt."