"Was ist passiert?" Der kleine Satz fällt in den ersten Szenen immer wieder. Die sechsköpfige Familie ist besorgt. Das Klingeln des Telefons versetzt sie in Panik. Was ist passiert? Rosie, das Nesthäkchen, ist gegen den Willen der Eltern drei Monate in Europa unterwegs gewesen, um der Tristesse der australischen Kleinstadt zu entfliehen. Plötzlich steht die Tochter vor der Tür, hat sich nicht am Flughafen abholen lassen, ein Taxi genommen. Wo doch der Vater jederzeit für sie da ist. Was ist passiert? Das Mädchen ist einem betrügerischen Lover zum Opfer gefallen, flüchtet zurück in den Schoß der heilen Familie.
"Dinge, die ich sicher weiß" ist der Titel des überaus erfolgreichen, vielschichtigen und zur Selbstreflexion einladenden Schauspiels von Andrew Bovell, das in der Inszenierung des Ernst-Deutsch Theaters Hamburg im Evangelischen Gemeindehaus zu sehen war.
In der Familie hat Fran, die energische Oberschwester, die Zügel fest in der Hand. Sie will alles wissen, mischt sich in das Leben ihres Mannes, der früh den Job verloren hat und nun vor allem für seinen Garten lebt, und das der Kinder nicht nur neugierig, sondern herrisch ein. Sie und Bob meinen es ja gut, Rosie, Pip, Ben und Mark sollen es ja einmal besser haben. Zug um Zug wird klar, dass die Kinder diese Erwartungen nicht erfüllen können. Pip verlässt Mann und Kinder, geht nach Kanada, wo sie sich in einen verheirateten Mann verliebt. Ben hat viel Geld unterschlagen, um, wie seine vermögenden Freunde, auf großem Fuß leben zu können. Marc entdeckt die Frau in sich, will sich operieren lassen, Rosie "kreatives Schreiben" lernen.
Witzige Pointen
Kathrin Kegler hat eine Bühne gebaut, die das Brüchige dieser Familie gut spiegelt. Hohe, einen Halbkreis bildende angegilbte Wände umschließen den kargen Wohnraum. Was wie eine schützende Eihülle wirken könnte, zeigt mächtige Risse.
Adelheid Müther hat das Schauspiel temporeich in Szene gesetzt. Trotz aller Dramatik sitzen die witzigen Pointen, die kleinen Gemeinheiten, treffsicher.
Maria Hartmann zeigt mit großem Gefühl eine Frau, die dominiert und doch auch Opfer ist, weil sie bei einem "entliebten" Mann trotz eines Anderen nur bleibt, um die Familie zusammenzuhalten. Und sie ist auch gerissen, bringt heimlich Geld auf die Seite, um "weggehen zu können, wenn es nötig sein würde".
Hervorragend Schauspieler
Bob (Christof Tomank) ist ein wenig täppisch, hat jedoch ziemlich klare moralische Vorstellungen. Stark wie es aus ihm herausbricht, wenn er von Marks (Rune Jürgensen) geplanter Geschlechtsumwandlung und Bens (Maximilian von Mühlen) Diebstahl erfährt. Pip (Nina Petri), die älteste Tochter, hat sich an der Mutter immer wieder gerieben, will in der Mitte des Lebens noch einmal das Glück suchen, wird von ihr als "selbstsüchtige Schlampe" beschimpft.
Roxana Safarabadi hat als Rosie ganz am Anfang ihre stärkste Szene, wenn sie in einem langen emotionalen Monolog ihre Europareise absolut textsicher und mit Sinn für Rhythmus reflektiert.
Sechs hervorragende Schauspieler machen den Abend, zu einem Erlebnis. Das Publikum dankt mit Bravos und rhythmischen Klatschen.