Große Oper. Großes Kino. Breitwand in Technicolor – Ein Dahinschmelzen in grandiosen Gefühlen, die stellvertretend für uns auf der Leinwand ausgetragen werden. Oder auf der Bühne, von kleinen Villazóns und Netrebkos. Töne, die das Herz erzittern lassen und einem Gänsehaut auf den Arm treiben. Farben, bei denen die Augen überlaufen. So soll es sein, bei Ansgar Haags Inszenierung von Verdis Oper „Der Maskenball“ am Meininger Theater.
Dabei passiert in dieser Co-Produktion mit dem Theater Lübeck eigentlich nichts Neues zwischen Schnürboden und Orchestergraben. Doch es gibt eben auch auf der Bühne eine Art großes Kino in Technicolor, mit hervorragenden Künstlern. Grandiose Gefühle, wilde Gelüste, verbotene Liebe, Wut, Rache und Mord – das sind auch die Themen im „Maskenball“. Man muss allerdings nicht die verworrene Entstehungsgeschichte des Werkes kennen, um zu spüren, dass die Charakterzeichnung der Personen – im Gegensatz zu der anderer Verdi-Opern – nicht besonders ausgeprägt ist: Boston/Massachusetts 1862, zur Zeit des Sezessionskriegs (im Original hundert Jahre früher). Der Gouverneur Riccardo, Freund der Freiheit und Gerechtigkeit, liebt Amelia, die Frau seines Freundes und Mitarbeiters Renato. Der Gehörnte entdeckt das Geheimnis, schließt sich aus Rachegelüsten einer Verschwörergruppe an, die Riccardo ermorden will und tötet ihn. Noch im Sterben verkündet Riccardo, er habe die Ehre seiner Liebsten nicht berührt.
So weit, so tragisch. Die Figuren hat Librettist Antonio Summa zwar mit enormem Wortschwall und Pathos ausgestattet (die Oper wird italienisch gesungen), doch außer in der Tragik der laufenden Ereignisse wird diese Liebe kaum lebendig. Insofern ist die Frage, die auf der Zunge liegt, fast müßig: Was hätte Konwitschny gemacht, wenn er – wie einst seine provokante „Aida“ - den „Maskenball“ in Meiningen inszeniert hätte? Vielleicht hätte er den Figuren vor grauer Kulisse eine Bedeutung verliehen, die sie nicht haben. Ansgar Haag umgeht eine Überinterpretation der Geschichte. Er mag große Oper verständlich, gesellschaftsbezogen zwar, aber handgreiflich und sinnlich. Er besitzt großen Respekt vor der Tradition und vor seinem Publikum und er pflegt keine Berührungsangst vor historisch-naturalistischer Kulisse.
Das alles finden wir in dieser Inszenierung: Realistisches Interieur und bunte, zeitgemäße Gewänder (Ausstattung: Klaus Hellenstein). Ein bildmächtiges Volk (Choreografie: Axel Carle) und ein Orchester unter Leitung von Alexander Steinitz, das die Macht des Schicksals, der Gefühle und der Bilder zum Blühen bringt (nun ja, der Schmelz dürfte etwas wärmer und dichter sein). Chor und Extrachöre (Leitung: Sierd Quarré), die auf Verdis Musik schweben. Und Sänger, die das Gemüt der Zuhörer in warme Wallung bringen.
Das ist die eigentliche Glanzleistung des Abends: Ein ('tschuldigung) Stadttheater abseits der Metropolen, das gleich mehrere hervorragende Sangeskünstler auf einmal präsentieren kann. An diesem Abend lassen vor allem die Mezzosopranistin Rita Kapfhammer, in der Rolle der indianischen Wahrsagerin Ulrica, sowie der Bariton Dae-Hee Shin als Renato, die Sopranistin Bettine Kampp als Amelia und der Tenor Xu Chang als Riccardo das Herz aufgehen. Auch wenn Letzterem nach wie vor mehr mimische Präsenz zu wünschen ist. Sonja Freitag (Riccardos Sekretärin), Ernst Garstenauer, Stephanos Tsirakoglou (Verschwörer) und Francis Bouyer (Matrose) ergänzen den Reigen.
Großes Kino also, Breitwand in Technicolor. Trotz gepflegter Konventionen und Vorhersehbarkeiten: Die Mehrheit des Publikums wird diese Inszenierung lieben. Selbst wenn viele Zuschauer wünschten, Amelia möge fürsorglich dem sterbenden Riccardo das Händchen halten und nicht aus Contenance Abstand wahren, während sich der Geliebte zu Tode singt.
Nächste Vorstellungen: 4. und 9. Mai, jeweils 19.30 Uhr, 20. Mai, 19 Uhr. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222; www.das-meininger-theater.de