Der 9. November und die „Nacht der Toleranz“: Beim Vorwand für die Pogromnacht, dem Botschaftsattentat in Paris, wurde Täter und Opfer auch eine tragische, schwule Beziehung nachgesagt – und von den homophoben Nazis vertuscht. Auch wenn Organisator Thomas Sauerbrey, alias Mechthild Lavette, bei der Eröffnung eher allgemein auf die Folgen hinwies, die Intoleranz jeder Art in der Geschichte hatte: Das eine oder andere Glanzstück im Varieté- und Körperkunst-Festival am Samstag in der Kulturhalle von Grafenrheinfeld taugte auch als bissiger Kommentar zum deutschen „Schicksalstag“.
Spätestens, wenn der/die Moderator/in, Travestiekünstler Chris Kolonko, als bittersüße Diva Marlene Dietrich auf der Bühne steht, neben Evergreens die sentimentale Soldatenhymne „Lili Marleen“ auf Deutsch und Englisch singt oder über „Sieg Heil“ grölende Nazi-Horden herzieht: Respekt. Ansonsten ging es um extravagante, erstklassige Unterhaltung, für den guten Zweck: Der Erlös kommt vor allem der „Schweinfurter Kindertafel“ zugute, die an diesem Abend durch Peter Glückert und Walter Wirth vertreten wurde.
Jeden Tag werden von 30 Ehrenamtlichen knapp 300 Frühstücksbeutel gepackt, für Schul- und Kindergartenkinder, insgesamt 182 000 Tüten in vier Jahren. Bei der Tombola kam ein Fahrrad an die Frau.
„Toleranz ist ein großes Wort, das sich in vielen kleinen Situationen im Alltag beweisen muss“, meinte Landrat Florian Töpper als Schirmherr, der sich tapfer und augenzwinkernd zwischen den beiden „Damen“ behauptete: Den Scheck erhielt die etwas zurückhaltendere Mechthild Lavette. Conférencier Chris, bekannt vom Schuhbeck-Teatro, war in punkigem Lederoutfit kecker: „Ich bin keine echte Frau, macht euch keine Hoffnungen.“ Sondern „Oma und Opa“ zugleich. Vor Schweinfurt habe sie sich als Münchnerin erst ein Mal impfen lassen, und: „Der eine oder andere hat noch gar nicht begriffen, um was es hier eigentlich geht.“ Nämlich, seit 2007, um Abende voll gelebter Vielfalt.
Sauerbrey, bekannt vom Handthaler Brunnenhof, hat mit seiner schrillen Galashow mittlerweile auch nach Bamberg und Nürnberg expandiert. Eine (echte) Frau mit Herz: Steffi List, die dank „Mosaik“, alias Christian Schmitt, Manuel Seitz, Jeanette Schuler und anderen von den Mainfränkischen Werkstätten für Behinderte, Gänsehaut-Musik zauberte, Elvis und Peter Maffay inklusive. Atemberaubend die Weltklasse-Artisten: Gleichgewichts-Künstler Carlo Joe vom „Cirque du Soleil“ oder der junge Ukrainer Ihor Yakimenko mit seinem ersten Galaauftritt als eine Art „lebende Wetterfahne“ an, aber nicht von der Stange. Comedian Florian Simbeck war beim Nonsens-Duo „Erkan & Stefan“ ein Star, nun macht er sich über ein Dasein als gereifter „Ö-Promi“ lustig, mit treuer türkischer Fangemeinde, aber neuen Schimpfwörtern in der Jugendsprache: „Auf einmal bin ich Opfer!“
Ein absoluter Hingucker: Jonglage-Tänzer Stefan Sing, der Bälle und Ballerina-Partnerin Cristiana Casadio herumwirbelt, in einer Art Kampf der Geschlechter: Auch zwischen Mann und Frau ist schließlich Toleranz gefragt.
Viel Körpereinsatz, Ausdauer und eine Zugabe wurde den jungen Breakdancern der „Soulution Crew“ von der „Danzschule Belzer“ abverlangt. Was fürs Herz gab es von Mechthild, mit Federschmuck und Glitzerkostüm ging es um zarte Gefühle, beim letzten Vorhang verwandelte sie sich wieder in Thomas Sauerbrey: stehende Ovationen.
Ansonsten gilt der Spruch von Chris Kolonko: „Alter schützt vor Liebe nicht, aber die Liebe vor dem Alter.“
