Der Verkehr fließt, gemütlich fahren die Autos hintereinander her. Das Wetter ist herrlich, kaum Wolken am Himmel, die Sonne scheint und spiegelt sich wunderschön in den Fensterscheiben der Gebäude, sie scheinen frisch geputzt zu sein – da plötzlich blitzt etwas Rotes im Augenwinkel auf: die Bremslichter des Vordermanns. Was jetzt?
Es bleiben nur Bruchteile einer Sekunde, um die richtige Entscheidung zu treffen: Scharf bremsen und in den Kofferraum des vorderen Wagens prallen? Oder gar ausweichen? Doch wohin: Links gegen einen Laternenpfahl oder rechts in die Fußgängerzone?
„Was würdest Du tun?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich Christiane Landgrafs Thriller „Social Rating“. Für eine Lesung kehrte die gebürtige Dittelbrunnerin jetzt zurück an den Ort, an dem sie vor Jahren einst das Lesen und Schreiben lernte.
Die Frage der Moral
Jeff Rodgers programmiert selbstfahrende Autos. Trotz fortgeschrittener Technik sind Unfälle jedoch weiterhin unvermeidlich. Der Informatiker steht nun vor einigen schweren Entscheidungen: Wie soll das Auto bei Gefahr reagieren? Und wessen Leben wird im Extremfall gerettet, welches aufgegeben? Er steht nun vor der großen Aufgabe, künstlicher Intelligenz Moral beizubringen.
Hier kommen Chips ins Spiel, die sich die Menschen unter die Haut pflanzen lassen. Sie ersetzen nicht nur die Krankenkassen- oder Kreditkarte, sie haben auch sämtliche Informationen des Trägers gespeichert. Alter, Einkommen, Anzahl der Kinder, Krankheiten und Straftaten: Aus diesen Angaben ergibt sich eine Position in der Gesellschaft, ein sogenanntes „Social Rating“.
Jeffs Chef verlangt nun von ihm das Unmögliche: Er soll die Autos so programmieren, dass bei einem Unfall der Fahrer mit dem besseren Social Rating verschont wird.
Begrüßt von Bürgermeister Willi Warmuth im Namen des Vereins Kultur-Sinn Dittelbrunn steigt Debüt-Autorin Christiane Landgraf direkt in die Problematik ein: „Der Mensch kann im Falle eines Unfalls nicht haftbar gemacht werden, das selbstfahrende Auto hingegen wird von einem Informatiker im Labor programmiert.“ Schnell ist sich das Publikum einig: Diese Thematik ist mehr als beunruhigend.
Von Konkurrent Patrick gedrängt, kann Jeff der Entscheidung nicht länger ausweichen. Entweder er führt den Auftrag aus und verlinkt das Social Rating mit der Software der Autos oder Patrick kriegt seine Stelle. Nicht nur Jeff, auch die Zuhörer sind gespalten. Während einige den Schritt wagen würden, werden andere Stimmen laut: „Ich habe ein soziales Gewissen, deshalb würde ich wohl eher den Job kündigen.“ Das bedeute allerdings, dass der Wohlstand der Familie gefährdet werde, wirft Landgraf ein. Ein weiterer Zuhörer gibt zu bedenken: „Wenn ich es nicht mache, macht es jemand anderes.“ Weitere Gäste überlegen, ob man nicht eine Art Hintertür in das Programm schreiben könnte. Aber so richtig kann es an diesem Abend keiner mit seinem Gewissen vereinbaren.
„Solange der Mensch etwas zu verlieren hat, kann man seinen Willen brechen“, schließt die Autorin die heiße Diskussion, bevor sie die letzte Szene der Lesung vorträgt. In ihr wird Jeffs Tochter entführt. Im Briefkasten liegt ein Zettel, darauf steht: „Jeff, spiele nicht leichtfertig mit dem Leben deiner Familie!“
Das Publikum, das sich nun in der vergangenen Stunde schon mehrmals in Jeffs Lage versetzt hatte, ist geschockt. Gleich mehrere Fragen stehen im Raum: „Wird er es jetzt tun?“, „Wenn ja, wird es das einzige Mal sein, dass er gegen seinen Willen handelt?“, oder „Wird die Tochter selbst nach seiner Entscheidung weiterhin als Druckmittel einbehalten?“. Auch als die Autorenlesung vorbei ist, bleiben viele der Gäste noch in der Dittelbrunner Grundschule beieinander stehen. Ergriffen von dem nervenaufreibenden Thema, diskutieren sie die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung in der realen Welt. Wer Lust hatte, konnte einen Test zu seinem persönlichen Social Rating machen, den die Autorin selbst erstellt und mitgebracht hatte.
Zweiter Band folgt
Christiane Landgraf arbeitet eigentlich im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Events. 2015 kam ihr nach einer langen Diskussion im Freundeskreis die Idee zu ihrem Thriller. „Über Nacht ließen mich die Themen selbstfahrende Autos und gechippte Menschen einfach nicht los“, erzählt sie heute.
Was am nächsten Tag mit einer halben Stunde Brainstorming angesetzt war, endete nach vier Stunden mit 30 geschrieben Seiten. Entstanden war bereits das gesamte Grundkonstrukt, inklusive zwei Personen. Immer noch voller Ideen beschloss die damals 30-Jährige: „Ich probier das jetzt!“
Schon ein Jahr später hatte Christiane Landgraf es geschafft: Ende Dezember 2016 erschien „Social Rating“ im Verlag 3.0. Die erste Auszeichnung folgte sogleich, das Evangelische Bildungswerk München e.V. zeichnete den Thriller als „Buch des Monats Dezember 2016“ aus. Es folgten Lesungen in Freiburg und in Berlin.
Landgraf selbst ist kein Fan von Science-Fiction, die 500 Jahre in der Zukunft spielt. „Ich nehme lieber das, was bereits da ist und denke es weiter“, so die Autorin. Unterstützung bekam sie dabei von ihrem Mann, der selbst in der Softwareentwicklung arbeitet. Während in „Social Rating“ der technische Aspekt überwiegt, hat sich Landgraf auch der emotionalen Seite der Thematik gewidmet. „Social Hideaway“ heißt die Fortsetzung ihres ersten Buches, die Ende 2017 erscheinen soll.
Hinweis: Weitere Termine finden Sie unter: www.christiane-landgraf.de