
Wer über Jahrzehnte hinweg täglich hinaus in die Flur geht, um alle Pflanzenarten dort akribisch zu beschreiben, muss eine besondere Leidenschaft für die heimische Flora hegen. Obbachs Oberlehrer Heinrich Schuster pflegte vor 100 Jahren diese Passion des Erforschens der Botanik. Das Ergebnis, seinen 850 Seiten dicken Ordner, will Professor Andreas Schäfer aus der Besitzerfamilie des Schlossguts Obbach jetzt als historisches Nachschlagewerk in Buchform herausbringen.
Im Rittersaal des Schlosses entdeckte der Archäologieprofessor eine Kopie aus den 1980er Jahren des monumentalen Werks über die "Markungsflora der Gemeinde Obbach". Das Original, ein schwarzer Leitz-Ordner mit den vorne und hinten maschinengeschriebenen Seiten, fand sich im Pfarrarchiv der evangelischen Kirchengemeinde. Schließlich hatte der Oberlehrer mit dem besonderen Faible für die Natur dort auch jahrzehntelang als Organist, Kantor und Lektor mitgeholfen. Neben seinem Lehrerberuf versah der verheiratete Vater dreier Kinder zudem den Dienst als Gemeindeschreiber und leitete den Gesangverein. Und zur Obbacher Geschichte verfasste er ebenfalls wissenschaftliche Arbeiten.


Heinrich Schuster, der von 1894 bis 1935 als Lehrer in Obbach unterrichtete, war umfassend gebildet und interessiert. Das schreibt der ehemalige Pfarrer Friedrich Löblein 1976 in seiner kleinen Dorfchronik. Tag für Tag spielte "der gestrenge, aber hochverehrte Mann pedantisch von 15 Uhr an eine Stunde Klavier" und unternahm danach stets seine naturwissenschaftlichen Erkundungsgänge. Die Pflanzenwelt, das Tierleben, die geologische Beschaffenheit des Ortes waren Gegenstand seiner Neugier.
In einem wissenschaftlichen Werk hat er die Erkenntnisse seiner täglichen Streifzüge rund um Obbach niedergeschrieben, hat 803 Pflanzenarten so ausführlich geschildert, dass sie auch heute noch ohne Bilder zu erkennen sind. Teilweise reicherte er seine Beschreibungen auch mit kolorierten Zeichnungen an.

Welche Pflanze wächst in welchem Acker? Welche Bedingungen braucht sie? Woher kommt sie? "Wir wissen heute, was in den 1920er und -30er Jahren hier gewachsen ist", erklärt Andreas Schäfer. Und was inzwischen aus der Flur verschwunden ist. So wie das Rundblättrige Hasenohr, ein Ackerwildkraut, das derzeit am Naturlandbetrieb des Schlossguts wieder künstlich ausgesät wird.
Nicht nur die Botanik interessierte Schuster. Auch kleine Geschichten, beispielsweise über den Kartoffelkäfer, beinhaltet seine Sammlung. Er beschreibt die Geologie, das Klima oder wie die Äcker bestellt werden. Hinzugefügt hat er außerdem eine Karte der Gemarkung Obbach, mit Gewässernetz und Höhenlinien. "Sie ist bereits digitalisiert", verrät Schäfer, so dass die Flurnamen schnell verortet werden können.
Im Ruhestand das Werk fertiggestellt
In seinem Ruhestand in Bad Kissingen hat Schuster 1945 das Werk fertiggestellt, in der Hoffnung, wie er im Vorwort schreibt, dass solche ausführlichen botanischen Beschreibungen auch in anderen Orten Nachahmer finden. Was nur selten geschah.
"Heutzutage kann so etwas keiner mehr schreiben", zollt Andreas Schäfer dem Verfasser angesichts seines umfassenden Wissens Respekt. Als "Wertschätzung dieser unglaublichen Leistung gegenüber" versteht er sein Vorhaben, das botanische Werk auf eigene Kosten als Buch herauszugeben.

Dazu hat er die Botaniker Alfred Buchholz und Martin Feulner beauftragt, die mit "dem Schuster" in Feld und Wald rund um Obbach nachgesehen haben, was hier noch wo wächst. Mit kleinen Kommentaren sollen die Aufzeichnungen des Forschers veröffentlicht werden.
"Das wird kein Bestseller werden", weiß Prof. Schäfer. Die kleine Auflage wird wohl nur Liebhaber und Spezialisten erreichen. Für die breite Öffentlichkeit könnte er sich aber vorstellen, beispielsweise Schusters Blühkalender von Obbach herauszugeben.
Sein umfangreiches Werk zur Pflanzenwelt in der Obbacher Flur beendete Schuster selbst mit einem Appell: "Zum Schlusse darf ich wohl bitten, der Flora eine pflegliche Behandlung angedeihen zu lassen. Ihr Inhalt umfasst eine Lebensarbeit und ein Ersatz für sie ist nicht vorhanden".