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NIEDERWERRN/OBERWERRN
Bohnenkaffee aus dem Bombentrichter
Das neue Buch über die alten Zeiten ist da: Bürgermeisterin Bettina Bärmann, Siegfried Eschner und Gisela Bartenstein-Eschner bedanken sich bei Sponsor Johannes Rieger von der Sparkasse.
Foto: Uwe Eichler | Das neue Buch über die alten Zeiten ist da: Bürgermeisterin Bettina Bärmann, Siegfried Eschner und Gisela Bartenstein-Eschner bedanken sich bei Sponsor Johannes Rieger von der Sparkasse.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 19.04.2017 03:24 Uhr

„Wenn ein alter Mensch stirbt, dann ist es, als ob eine Bücherei verbrennt“: Bürgermeisterin Bettina Bärmann hat bewusst dieses afrikanische Sprichwort ihrem Vorwort vorangestellt. Es ist jedes Mal eine eigene Welt, die mit der Vergangenheit eines Dorfes zu verschwinden droht. Insofern gilt es, die Berichte der älteren Generation rechtzeitig zu sichern.

„So war das Leben früher“, nennt sich Band 2 der Befragungen alteingesessener Nieder- und Oberwerrner. Erzählt wird von vielen kleinen, mal amüsanten, mal tragischen Dingen des Alltags, über die man sonst in keinem Geschichtsbuch etwas erfährt.

Mundartdichterin und Hobbyautorin Gisela Bartenstein-Eschner sowie Siegfried Eschner haben ihren Ruhestand genutzt für Gespräche und fürs fleißige Sammeln von Erinnerungen und Denkwürdigkeiten. Der Ehemann übernahm Buch- und Bildgestaltung, die Autorin hat die Erlebnisse der letzten Zeitzeugen niedergeschrieben, auf insgesamt 200 Seiten und mit vielen Fotos aus Alt-Niederwerrn und -Oberwerrn. Zum Beispiel Hochzeitsfotos, wo noch stolz mit Säbel und Pickelhaube posiert wird oder riesige Ochsen als Traktor dienten und strenge Nonnen den ersten Oberwerrner Kindergarten geleitet haben.

Erstmals gibt es vier Stammbäume bekannter Familien, als Fundgrube für die Ahnenforscher, darunter auch die Vorfahren der Autorin selbst. Außerdem Berichte zu echten Dorf-Institutionen, wie der Bäckerei Gäb, der Brauerei Stremel oder dem Obsthof Lehnemann. Wer weiß schon, dass die Pfauen und Papageien des Schweinfurter Tiergartens im Winter in den großen, warmen Hallen von Georg Stremel untergebracht waren.

Das grausame Schicksal der jüdischen Nachbarn in der Nazizeit wird ebenso beleuchtet wie das harte Los der Zwangsarbeiter, die oft Bunker und Stollen graben mussten. Einige der Heimatlosen haben sich nach der Befreiung mit wilden Plünderungen und Überfällen gerächt, besonders brutal in der Storchenmühle. Es gab aber auch an der Wern Zeichen der Menschlichkeit, etwa ein orthodoxes Weihnachtsfest, bei denen einmal „die Russen“ von Einheimischen bewirtet worden sind.

Viele Erzählungen der Zeitzeugen drehen sich um die schweren Luftangriffe im Krieg, als ein Kommandobunker der Schweinfurter Luftabwehr in der heutigen Ludwigstraße Niederwerrn gestanden hat. Die Dorfbewohner harrten bei Alarm in den großen Gewölbekellern aus, etwa der Brauerei.

Es gab immer wieder Opfer auch unter der Landbevölkerung. In den Fluren wurden Vernebelungsfässer aufgestellt, deren allgegenwärtige giftige Schwaden viele Feld- und Stallhasen zum Opfer gefallen sind. Letztere sollten mit feuchten Tüchern oder Säcken vor den Käfigen geschützt werden.

Im April 1945 kam das „Ende mit Schrecken“, als beide Dörfer von amerikanischer Artillerie beschossen worden sind, bis überall die weißen Tücher aus den Fenstern hingen. Die zahllosen, teilweise zimmergroßen Bombentrichter, etwa am Geldersheimer Flughafen, dienten bald zur Abfallentsorgung – etwa für den Kaffeesatz, der von den GIs hineingeworfen und von den Einheimischen herausgefischt wurde, um den kostbaren Bohnenkaffee zu trocknen und erneut aufzubrühen.

Andererseits brachten „die Amis“ im wahrsten Wortsinn Schwung in die heimische Wirtschaft: im Stremelsaal, der Kuhstall-Bar am Kirchgässlä, dem Keller der Schramms-Bar und der „Genickschuss-Bar“, benannt nach der Eifersuchtstat eines hitzköpfigen Spaniers.

Die gute alte Zeit war nicht unbedingt ruhiger als heute: „In Niederwerrn war früher immer was los“, erinnerte sich etwa Herbert Schipper. 1959 flüchtete ein Häftling aus dem Schweinfurter Gefängnis und verschanzte sich im Turm von St. Bruno, umstellt von einem „höllischen“ Großaufgebot an Polizei. Die Schulkinder wurden vorsorglich evakuiert und bekamen schulfrei.

Möglich wurde auch der zweite Band des Geschichtsprojekts durch Sparkassen-Direktor Johannes Rieger, der die Druckkosten gesponsert hat.

Hinweis: Das Buch gibt es bei Aktiv-Markt Maul, Elektro-Haag, im Atelier „Kunst am Buchweg“ Oberwerrn sowie bei der Gemeinde. Der Erlös kommt sozialen Zwecken zu Gute.

 
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