Es ist der 10. Januar 2022. Gegen 18.20 Uhr klingelt es in einer Gemeinde im Landkreis Schweinfurt an der Tür einer heute 59-Jährigen. Die Frau, gerade von der Arbeit gekommen, öffnet in der Dunkelheit und in der Annahme, es sei ihr Sohn, arglos die Haustür und will sich wieder ihrem Abendessen zuwenden. Einer ihrer Söhne, der nicht mehr im Haus wohnt, kommt öfter um diese Zeit vorbei, raucht vor der Tür noch seine Zigarette fertig, bevor er herein kommt. Auch deshalb habe sie gar nicht erst groß hingeschaut, wer da vor der Tür steht, schildert sie im Zeugenstand.
Dass es nicht ihr Sohn ist, wird ihr klar, als der "Besucher" auf der Türschwelle mit den Worten "bist du die ....?" fragend ihren Vornamen in den Flur hinein ruft. Als sie nachschauen geht, wer denn nun tatsächlich gekommen ist, geschieht es: Der Mann, dessen Gesicht sie im spärlich beleuchteten Eingangsbereich nicht erkennt, der aber eine Mütze getragen haben soll, sticht unvermittelt auf sie ein. Ein Stich in den Bauch und mehrere Stiche in den Brustbereich, alle zehn bis 15 Zentimeter tief, verletzen die Frau so schwer, dass nur künstliches Koma und eine Notoperation ihr Leben retten werden.
Schwer verletzt und im Schock geht sie noch die Treppe hoch, um ihren anderen, mit ihr im Haus lebenden Sohn zu alarmieren. Der Sohn, der das Klingeln und die Schreie seiner Mutter zunächst nicht gehört hatte, da er schon etwas eingedöst war wie er im Zeugenstand schilderte, eilt gemeinsam mit seiner blutenden Mutter nach unten, wählt den Notruf und übergibt das Telefon der Schwerverletzten, die selbst noch den Notruf absetzt. Der Sohn schaut unterdessen im Hof nach, ob da noch jemand ist, aber der Täter hat sich schon aus dem Staub gemacht.
Große Suchaktion im Anschluss an die Tat blieb zunächst erfolglos
Da zunächst unklar ist, ob sich der Täter vielleicht noch auf oder in der Nähe des Anwesens aufhält, zieht die Polizei sämtliche Register, Suchhunde und ein Hubschrauber kommen zum Einsatz, doch ohne Erfolg. Die Polizei ruft eine "Soko Klingel" ins Leben, führt auch Ermittlungen im familiären Umfeld der Geschädigten durch. Eine Woche nach der Tat meldet die Sonderkommission eine Festnahme.
Der Festgenommene, inzwischen 25 Jahre alt, muss sich seit Dienstag vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Schweinfurt verantworten. "Versuch des Mordes" lautet der Vorwurf im Sicherungsverfahren, das von der neuen Vizepräsidentin am Landgericht, Claudia Guba, geführt wird. Sicherungsverfahren deshalb, weil die Staatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift davon ausgeht, dass der Tatverdächtige, der derzeit in einem Bezirkskrankenhaus untergebracht ist, an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Eine Erkrankung, die dazu führt, dass der 25-Jährige mindestens im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt haben könnte, sollte er der Täter sein. Auch deshalb werden medizinisch-psychiatrische Gutachten im Verlauf des Verfahrens eine wichtige Rolle spielen.
Sollte der Mann, der von der Geschädigten in der Dunkelheit nicht erkannt wurde, den sie nur als "klein und mit Wollmütze" ausgemacht hat, der Täter sein, dann wäre er ihr kein Unbekannter, denn es handelt sich um einen früheren Bekannten aus dem weiteren familiären Umfeld, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
Der Beschuldigte schweigt zur Tat
Der Beschuldigte selbst machte am ersten Verhandlungstag keinerlei Angaben zur Tat, nahm ohne sichtbare Emotionen am Verfahren teil. Aus den Zeugenaussagen der ermittelnden Polizeibeamten geht hervor, dass bei der Festnahme des Tatverdächtigen in seiner Wohnung ein Klappmesser, ein zerstörtes Handy und reichlich frisch gewaschene Wäsche gefunden wurden. Ein DNA-Abgleich war negativ. Indizien, die den Mann belasten könnten, wie zum Beispiel die Auswertung des Bewegungsprofils des Mobiltelefons, werden im weiteren Verlauf des Verfahrens zur Sprache kommen. Insgesamt sind acht Verhandlungstage angesetzt.