Das Bundeskriminalamt warnt vor weiteren schweren Gewalttaten fremdenfeindlicher Rechtsextremisten gegen Asylbewerber, Flüchtlingshelfer und auch Politiker. Ein BKA-Sprecher bestätigte am Donnerstag Medienberichte über eine entsprechende vertrauliche Lagebewertung und sprach von einem „wirklich ernst zu nehmenden Problem“. Im laufenden Jahr habe es bereits fast 580 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben – nach lediglich 198 im gesamten vergangenen Jahr. Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die „abscheuliche Bilanz“ beschäme ganz Deutschland.
Zunächst hatten die „Süddeutsche Zeitung“ sowie der NDR und der WDR über die Lagebewertung berichtet, die einige Tage vor dem Anschlag auf die inzwischen gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker entstand. Demnach befürchtet die Wiesbadener Behörde, dass auch Betreiber von Unterkünften, Politiker sowie Personen, die äußerlich für Asylbewerber gehalten würden, ins Zielspektrum fremdenfeindlicher Täter geraten könnten.
Bereits im Sommer baute „Die Rechte“, aus deren Reihen einige der im Raum Bamberg festgenommene Personen stammen, eine Drohkulisse gegenüber dem Kolitzheimer Bürgermeister Horst Herbert (CSU) auf. Die rechtsextreme Partei wollte im Ortsteil Stammheim im Landkreis Schweinfurt ihre Landesparteizentrale eröffnen. Die Bürger und Herbert wehrten sich, woraufhin die Partei die Privatadresse von Herbert und seinen Ratskollegen im Internet veröffentlichte. Auch angesichts der jüngsten Entwicklungen bleibt Herbert gelassen: „Ich habe mich damals nicht davon beeinflussen lassen und lasse mich jetzt auch nicht davon beeindrucken“, sagte er gegenüber der Redaktion.
Keine Neonazi-Zentrale in Stammheim
Wert legt er darauf, dass „Die Rechte“ mit ihrem Vorhaben, eine Landesparteizentrale in Stammheim zu eröffnen, aufgrund einer „Nutzungsuntersagung“ gescheitert sei. Die Neonazis hätten „nur zwei Veranstaltungen bei uns abgehalten: ihren Landesparteitag an Pfingsten und einen Grillnachmittag vier Wochen später“, betont er. „Vor allem Personen aus der Bamberger und Nürnberger Szene seien damals dort aktiv gewesen.“
Unterdessen registrierte das BKA im laufenden Jahr bundesweit 576 lagerelevante und gegen Asylunterkünfte gerichtete Straftaten (Stand 19. Oktober). Für 523 seien rechtsmotivierte Täter verantwortlich, bei den übrigen 53 könne dies nicht ausgeschlossen werden, sagte Sprecher Markus Koths. Überwiegend handele es sich um Sachbeschädigungen, Propagandadelikte und Volksverhetzungen. Auch 91 Gewaltdelikte wurden gezählt – nach 28 im gesamten Jahr 2014. Darunter waren in diesem Jahr 46 Brandstiftungen, vergangenes Jahr waren es sechs.
Es gebe bisher keine bundesweite Strategie rechter Täter, es handele sich um lokale Aktivitäten, berichtete BKA-Sprecher Koths. Hetze gegen Flüchtlinge im Internet oder auf lokaler Ebene könne dabei anfeuernd wirken. Zukünftig möglich seien zudem neue Protestformen wie etwa Blockaden von Bahnstrecken oder Autobahnen, um die Ankunft neuer Flüchtlinge zu verhindern. Die Polizei müsse sich dieser Gefahr bewusst sein und etwa mit Personen- oder Objektschutz reagieren, sagte Koths.
Den Berichten zufolge ist laut BKA davon auszugehen, dass die rechte Szene ihre „Agitation“ weiter verschärft. Das ansonsten sehr heterogene Spektrum finde hier einen „ideologischen Konsens“. Neben Brandstiftung griffen die meist männlichen Täter zu Waffen wie Zwillen mit Stahlkugeln und Holzknüppeln sowie Buttersäure. Sie handelten oft in Gruppen und kämen aus der Nachbarschaft. 34 Prozent der Tatverdächtigen ließen sich einer rechtsextremistischen Szene zuordnen. Die meisten Angriffe auf Unterkünfte seien im August in Nordrhein-Westfalen gezählt worden.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, der Anstieg fremdenfeindlicher Gewalt sei „beschämend für unser Land“. „Jede Attacke auf ein Flüchtlingsheim ist ein Angriff auf unsere tolerante Demokratie.“ Und weiter: „Wer Straftaten begeht gegen Flüchtlinge, Polizisten oder Helfer, der muss auch mit der ganzen Härte des Rechtsstaates rechnen.“
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke warf dem BKA vor, die Auswirkungen der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden zu lange verharmlost zu haben. Der Zusammenhang zwischen deren Hetze gegen Asylbewerber und Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte liege auf der Hand. Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sagte in Bamberg, man werde das nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Würzburger Arzt Josef Schuster, prangerte Pegida und die Stimmungsmache gegen Asylsuchende an: „Die Hetze gegen Flüchtlinge hat ein Ausmaß erreicht, das absolut erschreckend und völlig inakzeptabel ist“, sagte er in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“. Die Führung der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden habe endgültig ihr wahres Gesicht enthüllt. „Mit eindeutig rechtsextremen Parolen schürt sie auf unverantwortliche Weise die Stimmung gegen die Flüchtlinge.“
Kritik von Schuster und Schick
Auch der katholische Bamberger Erzbischof Ludwig Schick fand deutliche Worte Richtung Pegida: Wer als „besorgter Bürger“ an solchen Veranstaltungen teilnimmt, unterstütze Hassprediger und Scharfmacher, „die den Gewalttätern den Nährboden bereiten“. Auf den geplanten Anschlag von Neonazis in Bamberg reagierte er erschüttert. Die verhinderten Verbrechen, „die aus Hass gegen Fremde geplant wurden“, dürften nicht über die große Hilfsbereitschaft der Bamberger Bürger für Flüchtlinge hinwegtäuschen, sagte Schick. Durch verbale Attacken gegen Fremde oder abfällige Äußerungen auf Demonstrationen und im Internet werde der Nährboden für Gewalt und Terror gelegt. „Wir haben in der Geschichte immer wieder erlebt, dass aus Gedanken Worte und aus Worten schließlich Taten wurden.“
Traurige Bestätigung erfuhren die Worte Schicks im nordrhein-westfälischen Havixbeck. Aus offensichtlich fremdenfeindlichen Motiven hat ein Mann dort einen 31-jährigen Albaner niedergestochen. In einem Regionalbus hatte der 52-Jährige zunächst die Einkaufstüten des Jüngeren durchwühlt, wie die Staatsanwaltschaft Münster am Donnerstag berichtete. Anschließend soll der Mann den Albaner mit den Worten „Ausländerschwein“ und „Kanake“ beleidigt haben. Als die beiden dann ausstiegen, sprach der 31-Jährige den Mann auf sein Verhalten an. In diesem Moment stach der Ältere zu.
Makler zieht sich aus Alfa zurück
Derweil trat der Berliner Immobilienmakler Uwe Fenner, Vize-Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (Alfa), von diesem Amt zurück und verließ auch die Partei von Ex-AfD-Chef Bernd Lucke. Fenner, Immobilienmakler, hatte in einem Rundbrief Wohnungseigentümern an der Berliner Bundesallee dringend zum Verkauf ihrer Immobilie geraten – wegen einer Anlaufstelle für Flüchtlinge in der Nachbarschaft und des dadurch zu erwartenden Wertverlustes. Dafür wurde er heftig kritisiert. Alfa hatte sich in diesem Jahr unter der Führung Luckes bundesweit von der „Alternative für Deutschland“ abgespalten wegen des Streits um rechte Tendenzen in der AfD. Text: dpa/ben