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GEROLZHOFEN
Bildhauer Hillenbrand: Die gemeißelte Trauer
Der Bildhauer aus Gerolzhofen hat bleibende Werke hinterlassen – und musste zahlreiche familiäre Tragödien erdulden.
Von unserem Redaktionsmitglied Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:27 Uhr

Die imposante Kreuzigungsgruppe vor der Leichenhalle auf dem Gerolzhöfer Friedhof ist ein Blickfang. Wenn man genau hinschaut, dann erkennt man am unteren Ende des Kreuzstammes den kleinen Schriftzug „Hillenbrand“. Wer hat hier seinen Namen eingegraben? Wer war der Mann, der solche Bildhauerwerke schuf? Eine Spurensuche.

Geboren wurde Johann Hillenbrand am 11. Juli 1856. Dann taucht er urkundlich erst wieder im Jahre 1877 auf, als er Elisa Förster heiratet, die Tochter des Landwirts Johann Förster. Er zieht in das stattliche Anwesen seiner Schwiegereltern in der Rügshöfer Straße 10 (heute Metzgerei Antoni) ein und übernimmt nach dem Tod des Schwiegervaters die Besitzungen.

Im Heiratsmatrikelbuch der katholischen Pfarrei steht neben dem Namen Hillenbrand der Zusatz „von hier“, er ist also gebürtiger Gerolzhöfer. Zu dieser Zeit gab es aber nur eine Familie mit diesem Namen in der Stadt: die Landwirts-Familie Hillenbrand im ehemaligen Pfarrhof hinter der Stadtpfarrkirche. Noch heute gehört das Grundstück dieser Familie.

Bauer Kaspar Jeth hatte den freigewordenen Renaissance-Bau aus der Zeit Julius Echters im Jahr 1810 gekauft, nachdem die Pfarrei einen geräumigen Gasthof in der Salzstraße erworben und zum neuen (und heutigen) Pfarrhaus umgebaut hatte. Witwe Agnes Jeth übereignete 1852 den Hof an ihren „Tochtermann“, sprich Schwiegersohn Johann Hillenbrand. Dieser war am 23. März 1823 in Bischwind geboren worden und hatte 1852 Apollonia, die Tochter von Kaspar und Agnes Jeth, geheiratet. Der spätere Bildhauer Johann Hillenbrand jun. ist ganz offensichtlich ein Sohn von ihnen. Vermutlich ein Bruder von ihm ist Josef Hillenbrand, der am 9. Juli 1858 zur Welt kommt und später mit seiner Frau Dorothea, geb. Ziegler, den Bauernhof hinter der Kirche übernimmt.

Anno 1877 wird Johann Hillenbrand im Alter von 21 Jahren, nachdem er sich in der Rügshöfer Straße niedergelassen hat, in einem Versicherungsverzeichnis als „Bildhauer und Ökonom“ bezeichnet. Offenbar führt er die Landwirtschaft und betätigt sich daneben als Bildhauer. Im gleichen Jahr wirbt er im Bezirksamtsblatt mit aufwändig gestalteten Anzeigen für seinen jungen Betrieb: „Fertigen von Figuren in Stein und Holz, Stationen und Kruzifixe für Kirchen und Kirchhöfe, Grabmonumente in Marmor, Granit und Syenit sowie in allen Sorten Sandsteinen. Auch werden daselbst israelitische Grabsteine mit schöner hebräischer Schrift zur Ausführung gebracht.“

Zunächst wird Hillenbrand kleinere Aufträge erhalten haben, zum Beispiel für Grabsteine auf den Friedhöfen der Stadt und den umliegenden Dörfern. Bei einem außerordentlichen Großauftrag in Gerolzhofen kommt er allerdings noch nicht zum Zuge. 1879 gibt Pfarrer Andreas Huller für die Pfarrei einen neuen Kreuzweg für den städtischen Friedhof in Auftrag. „14 Stationen in hellem und grünlichem Sandstein“ sollen es werden. Den Auftrag erhält am 12. September 1879 der damals sehr renommierte Bildhauer Valentin Weidner aus Kissingen. Dieser Weidner- Kreuzweg ist heute aus dem städtischen Friedhof verschwunden. Er wird im Museumsdepot der Stadt eingelagert – und wartet dort auf seine Wiedererweckung.

Valentin Weidner soll dann von Pfarrer Huller noch einen zweiten Auftrag bekommen: Das kinderlose Ehepaar Adam und Elisabetha Treutlein hat sein ganzes Geld für mildtätige Zwecke, insbesondere für die Kinderbewahranstalt, gespendet. Im Gegenzug, so legen es die beiden testamentarisch fest, soll die Stadt ihnen auf dem Friedhof „ein Grabmal oder einen Ölberg“ errichten.

Der Kostenvoranschlag des Kissinger Bildhauer-Stars erweist sich aber als zu teuer. Die Stadt habe nur 1400 Mark zu Verfügung, heißt es, eine Erhöhung des Etats sei nicht möglich. Weidner zieht zurück. Damit ist die Chance für den einheimischen Bildhauer Johann Hillenbrand gekommen. Der Gekreuzigte mit Johannes und Maria wird sein größtes Werk in seiner Heimatstadt. Am unteren Ende des Kreuzstammes meißelt er seinen Namen ein. Wann das Kreuz aufgestellt wurde, ist unbekannt. Es fehlen die entsprechenden Unterlagen im Stadtarchiv.

Anfang 1880 zieht Hillenbrand einen weiteren Großauftrag an Land, diesmal aus Herlheim: Er soll für den dortigen Friedhof einen neuen Kreuzweg liefern. Mitte 1880 steht sein Werk kurz vor dem Abschluss. Der Bote vom Steigerwald, damals eine Gratisbeilage zum Bezirksamtblatt für Gerolzhofen, berichtet in seiner Ausgabe vom 5. Juli 1880 vom bevorstehenden Aufbau des Kreuzwegs. Es handele sich um „Reliefbilder aus schönem Kehlheimer Kalkmarmor“, die „sehr gelungen ausgeführt“ seien. Der nicht namentlich in Erscheinung tretende Autor des Berichtes schwärmt weiter, das Werk werde „für unseren jungen Künstler eine bleibende Empfehlung sein“, zumal Hillenbrand „bisher noch keine Gelegenheit hatte, in diesem Fach sein Talent die gebührende Achtung zu verschaffen“.

Am Sonntag, 25. Juli 1880, findet schließlich „nachmittags um 1 Uhr“ die feierliche Einweihung der Stationen auf dem Herlheimer Friedhof statt. Aus Würzburg ist extra Domkapitular Joseph Schork angereist, der „durch herrliche Ansprachen bei derartigen Festlichkeiten sich einen großen Ruf erworben hat“. Schork war zunächst seit 1860 Domprediger gewesen, ab 1871 Dompfarrer und Domkapitular in Würzburg. 1891 wird er dann zum Erzbischof von Bamberg ernannt, wo er Anfang 1905 stirbt.

Daneben fertigt der Künstler weiterhin Grabsteine an. Im Mai 1881 schaltet er im Steigerwaldbote eine Anzeige und bietet fünf Mark Belohnung demjenigen, „welcher mir genaue Auskunft zu geben vermag, wer die am Grabstein der königlichen Rentamtsdienersgattin Besendörfer dahier vergoldete Inschrift böswillig verdorben hat“.

Der Kreuzweg in Herlheim scheint das Geschäft von Johann Hillenbrand tatsächlich weiter angekurbelt zu haben. Denn ein knappes Jahr später bringt er am 4. Juni 1881 das nächste Großprojekt zum Abschluss: eine Mariensäule in der Dorfmitte von Schallfeld. Der Steigerwaldbote berichtet: „Schallfeld hat am vergangenen Samstag eine bemerkenswerte Zierde erhalten durch die Aufstellung einer Mariensäule an der Landstraße Gerolzhofen–Wiesentheid im Gärtchen des dortigen Pfarrhofs.“ Hillenbrand, der sich durch seine Stationen in Herlheim und durch „schöne Grabmonumente im Kirchhof zu Gerolzhofen“ schon einen Namen gemacht hatte, habe damit erneut ein „höchst gelungenes Werk“ abgeliefert. „Möchte genanntes Kunstwerk diesen eifrigen und strebsamen Künstler in noch weitem Kreise bestens empfehlen.“

Parallel zur Schallfelder Mariensäule (die erst 2005 einen neuen Platz fand und 2006 restauriert wurde) hat Hillenbrand in seiner Werkstatt auch noch an einem anderen Projekt gearbeitet: ein Kreuzweg mit 14 Stationen für den Friedhof in Brünnstadt. Vier Wochen nach Schallfeld liefert der Bildhauer am 5. Juli 1881 seine Kreuzwegstationen auf dem Brünnstädter Gottesacker ab. Der Steigerwaldbote jubelt, diese Arbeit zeige, dass sich das Kunsttalent Hillenbrands „höchst vorteilhaft“ entwickle. „Er versteht es, dem leblosen Stein durch lebhafte Darstellung des Geheimnisses ungewöhnlichen Reiz zu verleihen.“

Im Jahr 1881 entsteht auch ein Bildstock, der heute an der Straße von Mutzenroth nach Oberschwarzach steht. In der Denkmalliste ist er so beschrieben: „Auf abgeschrägtem Inschriftensockel ein hoher, sich verjüngender abgefaster Schaft, Aufsatz mit Relief der Pieta, Seitenfiguren Hl. Wendelin und Hl. Sebastian; bezeichnet von Johann Hillenbrand.“

Es ist die Zeit, wo Johann Hillenbrand auf der Höhe seines Schaffens ist. Es ist sicherlich eine große Ehre für ihn, dass er beim Landwirtschaftlichen Bezirksfest, das am 29. September 1882 in Gerolzhofen abgehalten wird, mit einer Silbernen Medaille für „vorzügliche Arbeit“ ausgezeichnet wird.

Neben der Bildhauerei wagt sich Hillenbrand Mitte der 1880er Jahre auch auf ein damals gänzlich neues Gebiet vor: die Fotografie. 1887 wirbt er in einem Zeitungsinserat, dass er in Zeilitzheim als Fotograf auftritt. Von ihm geschossene Aufnahmen haben sich nach aktuellem Kenntnisstand aber nicht erhalten.

Der berufliche Erfolg ist die eine Seite. Im Privatleben hat der Bildhauer aber ungeheure Tragödien zu verkraften. Am 7. Juli 1877 stirbt das „Bildhauerskind“ Josephine Hillenbrand im Alter von nur einem Jahr und sechs Wochen. Da Hillenbrand Elisa Förster laut den Unterlagen im Stadtarchiv aber erst am 28. Januar 1877 geheiratet hatte, deutet vieles darauf hin, dass er die kleine Josephine damals mit in die Ehe gebracht hatte und eine erste Ehefrau bereits gestorben war.

Regelrecht dramatische Züge nimmt für Johann Hillenbrand dann das Jahr 1883 an, also in der Zeit, wo er eigentlich seinen beruflichen und künstlerischen Erfolg genießen könnte. Offenbar hat sich eine hochansteckende Krankheit in der Familie breitgemacht: Seine Tochter Ursula Paula stirbt am 4. Mai im Alter von drei Jahren. Nur wenige Tage später, am 16. Mai, wird sein Stammhalter, der Sohn August, im Alter von fünf Jahren vom Tod dahingerafft. Nur zwei weitere Tage später stirbt auch die einjährige Tochter Maria. Und als ob das nicht schon genug wäre, muss der Bildhauermeister mitansehen, wie am 13. August seine Frau Elisa einen Sohn zur Welt bringt, der kurz nach der Entbindung stirbt. Bei einer Nottaufe bekommt das sterbende Baby schnell noch den Namen Johann.

Im Jahr darauf dann schon wieder ein Schicksalschlag: Am 4. Dezember 1884 bringt Ehefrau Elisa wieder ein Kind zur Welt, das kurz nach der Geburt stirbt. Welches Geschlecht der Säugling hatte, ist in den Kirchenbüchern nicht vermerkt. Der Schlusspunkt der unfassbaren Leidensgeschichte ist am 22. Mai 1888: Hillenbrands kleiner Sohn Martin Ludwig stirbt im Alter von nur einem Jahr.

Sage und schreibe sieben Kinder musste Bildhauer Johann Hillenbrand zu Grabe tragen. Wie kann man das ertragen?

Offenbar hat keines seiner Kinder das Erwachsenenalter erreicht. Es gibt keinen Nachfolger für seinen Betrieb. Vielleicht sind die Schicksalschläge die Ursache für den beruflichen Niedergang des einst so bekannten Bildhauers. Ist er krank geworden? Ist er seelisch und körperlich am Ende? Am 29. Januar 1891 jedenfalls ist sein Anwesen in der Rügshöfer Straße 10 zur Versteigerung ausgeschrieben. Er muss ausziehen.

Johann Hillenbrand, Bildhauer und Fotograf, kommt danach im Alter von 35 Jahren im kleinen Häuschen der Witwe Lengle am Marktplatz 7 (heute zwischen Weinstube und Betty-Stumpf-Haus) unter. Von einer Ehefrau ist da nicht mehr die Rede. Auch von Johann Hillenbrand verliert sich die Spur. Wann und wo er gestorben ist, bleibt wegen fehlender Matrikeleinträge ungeklärt.

Bildhauer Hillenbrand: Die gemeißelte Trauer
Bildhauer Hillenbrand: Die gemeißelte Trauer
Bildhauer Hillenbrand: Die gemeißelte Trauer
Das Treutlein-Kreuz am Gerolzhöfer Friedhof: Johann Hillenbrands bekanntestes Werk.
Foto: Klaus Vogt | Das Treutlein-Kreuz am Gerolzhöfer Friedhof: Johann Hillenbrands bekanntestes Werk.
 
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