Ob er stolz sei – Hilmar Spiegel zögert einen kurzen Moment. Dann antwortet er umso bestimmter: "Stolz darauf werde ich nie sein, aber es ist eine Anerkennung für mich." Dabei würde es ihm keiner verdenken, wenn er in diesem Moment von Stolz gesprochen hätte, auch wenn dies seinem Wesen wirklich nicht entspricht.
Dann dreht sich der 78-jährige Zeilitzheimer in seinem Büro kurz um und holt ein dunkles Kästchen hervor. Er legt es auf den Schreibtisch. Bei geöffnetem Deckel zeigt sich, worum es eigentlich geht: goldfarben glänzt die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Spiegel hat den umgangssprachlich als Bundesverdienstkreuz bezeichneten Orden vergangene Woche von Landrat Florian Töpper überreicht bekommen. Verliehen hat sie ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Auszeichnung für besondere Verdienste
Es ist die einzige allgemeine Verdienstauszeichnung, die die Bundesrepublik zu vergeben hat. Überreicht bekommen sie Menschen, die besondere Leistungen vollbracht haben auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem, geistigem oder ehrenamtlichem Gebiet. Spiegel ist einer von nur drei jüngst Geehrten aus dem Landkreis Schweinfurt.
Wer darauf wartet, dass Spiegel den Orden auf geschwellter Brust vor sich her trägt, der wartet wohl vergeblich. "Ich bin immer ein Gleicher unter Gleichen gewesen", stellt er seine Verdienste in den Zusammenhang seiner Mitstreiter im Historischen Arbeitskreis Zeilitzheim, die er als den "harten Kern" bezeichnet. Es ist ihm wichtig, deren Namen hier zu lesen: Christina Ott, Kurt Scheuering, Alexander von Halem, Reinhold Holzheid, Robert Scheuering und Gunter Herbert. Ihnen allen gehört in Spiegels Augen ein Stückchen von der Verdienstmedaille.
Laudatio des Landrats Töpper
Doch es hat auch seinen Grund, weshalb letztlich Spiegel es ist, der die Auszeichnung erhalten hat. Seit 27 Jahren ist er einer der beiden Archivpfleger des Landkreises Schweinfurt. 15 Gemeinde-Archive liegen in seinem Sprengel, lobte Landrat Töpper Spiegels Wirken in seiner Laudatio. Seit über 30 Jahren sei er Vorsitzender des Historischen Arbeitskreises Zeilitzheim und habe unter anderem diverse Ausstellungen und Vorführungen verwirklicht. Die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte Zeilitzheims sei ihm ebenso wichtig gewesen, wie die schmerzliche Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit. Zudem ist Spiegel laut Töpper aktiver Musiker: seit 1959 als Bläser im Posaunenchor Zeilitzheim und seit fast 60 Jahren im Männerchor. Der Landkreis würdigte sein ehrenamtliches Engagement bereits 2014 mit einer Ehrenurkunde.
Wenn Spiegel mit eigenen Worten das beschreibt, was er macht und was ihn seit so vielen Jahren antreibt, dann hört sich das charmant bodenständig an: Er sammle halt seit über 50 Jahren Artefakte, die mit der Geschichte seines Heimatortes zusammenhängen. Dabei ist er nicht einmal dort geboren, sondern im hessischen Watzenborn. Doch im zarten Alter von drei Monaten kam er hierher, so dass zurecht behauptet: "Ich bin Zeilitzheimer."
Pfarrer hat in ihm das Feuer entzündet
Sein zentrales Anliegen ist es, dafür zu sorgen, dass die Nachwelt nicht vergisst, was früher passiert ist – nicht nur in Zeilitzheim, sondern in der ganzen Gemeinde Kolitzheim. Das Feuer, das in ihm bis heute lodert, entzündet hat, wenn man so will, der evangelische Ortspfarrer Friedemann Preu. Dieser hat ihn als jungen Mann dazu ermutig, sich um die Ortsgeschichte zu kümmern.
Er brauchte Spiegel nicht lange dazu überreden. Eigentlich hatte dieser Archäologie studieren wollen, landete dann jedoch beruflich als Verkäufer bei der BayWa. Seiner heimlichen Berufung als "Heinrich Schliemanns Erbe" – den Titel in Anspielung an den berühmten Archäologen hatte ihm Preu einst im Spaß verliehen – folgte Spiegel also nur zu gerne.
Im Februar 1987 eröffnete er eine erste Ausstellung im evangelischen Gemeindehaus. "Zeilitzheim im Wandel der Zeit" lautete deren Titel. Sie zeigte bereits vieles von dem, was Spiegel zusammengetragen hatte: Fotos, Dokumente, Bodenfunde ... alles mit Bezug zu Zeilitzheim. Bis heute haben er und seine Mitstreiter aus dem Historischen Arbeitskreis zwölf Ausstellungen initiiert, etwa zur 525-jährigen Geschichte des örtlichen Weinbaus, über die Kirchenburg oder über die Geschichte der einst fast 50 Handwerker im Ort.
Akribisch geführte Aufzeichnungen des Dorflehrers
Pfarrer Preu hatte Spiegel zu treuen Händen drei alte Bücher, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, übergeben. Spiegel transkribierte die in altdeutscher Schrift verfassten Inhalte über Jahre hinweg ins moderne Deutsch. Besonders angetan haben es ihm zwei Bücher: ein Tagebuch des evangelischen Lehrers Johann Christoph Sandner, der von 1671 bis 1720 in Zeilitzheim lebte und alles notierte, was in seiner Zeit im Ort passiert ist, wer wem Geld geliehen hat, wie der Alltag verlaufen ist und wen der Blitz erschlagen hat. Ebenfalls Lehrer war Johann Brückner, der 1931 eine Zeilitzheimer Ortschronik verfasst hat. "Und ich sehe mich da gewissermaßen in einer Linie mit den beiden", sagt Spiegel. Er möchte das Geschehen seiner Zeit, und alles, was er zur Vergangenheit herausfindet, für die Nachkommen festhalten.
Ein Ergebnis davon steht in der Regalwand in seinem Büro. In 370 Ordnern sind Spiegels Erkenntnisse und Ergebnisse abgeheftet. Diese möchte er der Gemeinde hinterlassen. Es ist neben weiteren Schriften und der historischen Sammlung im Zeilitzheimer alten Rathaus das Kernstück von Spiegels jahrzehntelanger Arbeit. Für ihn sind es "Puzzlesteine der Dorfgeschichte", die er zusammengetragen und geordnet hat.
Erlöse kommen ganz Zeilitzheim zugute
Wichtig war ihm immer, dass seine Kontakte zu Behörden und Ämtern sowie die Früchte der Arbeit, die der Historische Arbeitskreis geleistet hat, der Dorfgemeinschaft nutzen. Erlöse von über 10 000 Euro etwa flossen komplett in Anschaffungen für den Ort.
Dass das Stöbern in Vergangenem nicht nur schöne Seiten hat, hat Spiegel ebenfalls erfahren. Nach zwei Ausstellungen zu Themen der NS-Zeit – über den von der Luftwaffe genutzten Fliegerhorst Gerolzhofen-Herleshof und über das Reichsarbeitsdienst-Lager in Zeilitzheim – erhielt er plötzlich Mails von fremden Absendern, die ihn mit "Kamerad" ansprachen.
Weitere Aufgaben warten auf ihn
Doch dieses Kapitel hat er ebenso abgehakt wie die Idee, seine Aufgabe als Kreisarchivpfleger zu beenden, sobald er alle Archive seines Sprengels geordnet hat. Dies ist jetzt fast geschafft – doch es warten neue Aufgaben auf ihn. Jetzt müsse eine Lösung für die umfangreichen Registraturen der Gemeinden her.
Für ihn verhält es sich damit nicht anders als mit den Archiven. Deren Bedeutung bringt er Skeptikern gegenüber so nahe: "Archive sind nichts anderes als eine Sammlung von Schriftstücken, die über die Lebensleistung der Vorfahren Auskunft geben." Wer diese auflöst, oder verkommen lässt, vergeht sich also quasi an den Ahnen. Das möchte der frisch gebackene Träger der Verdienstmedaille nicht zulassen.