zurück
Schweinfurt
Benefizkonzert in der Disharmonie: Reifeprüfung der Republik
Singen gegen die Angst - und das Vergessen: Das 'Boulevard Ensemble' trat in einer randvollen Disharmonie auf.
Foto: Uwe Eichler | Singen gegen die Angst - und das Vergessen: Das "Boulevard Ensemble" trat in einer randvollen Disharmonie auf.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 02.11.2024 02:34 Uhr

Der Anfang ist immer am schwersten: Unter diesem Motto übernahmen "Piano Man" Jörg Schöner und Chansonnier Eberhard Fasel den Auftakt, mit hoffnungsvollen Klängen aus der Nachkriegszeit, beim Benefizkonzert in der randvollen Disharmonie. Auch musikalisch herrschte Neuanfang, in der heilen Schlagerwelt der 50er Jahre.

Das Grauen von Weltkrieg und Diktatur wurde mehr oder weniger überwunden, mitunter verdrängt. Ein Menschenleben später sind die Misstöne zurückgekehrt, heute heißt es statt Aufbruchsstimmung eher: Wehret den Anfängen. Am Eingang der Kulturwerkstatt mahnte ein Plakat mit dem Zitat des Philosophen George Santayana: "Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen."

Medley mit Songs von Udo Jürgens

Schon im Sommer hatte Schöner zum "Nie wieder ist jetzt"-Konzert in die Alte Kirche in Schonungen eingeladen, um ein Zeichen für Demokratie, Freiheit und Vielfalt zu setzten. Die Kinder und Enkelkinder wachsen in eine krisengeschüttelte Welt hinein, stellte der Musikschullehrer in Schweinfurt fest. Kriege, Klimawandel, Künstliche Intelligenz und Desinformation erschüttern vermeintlich Unumstößliches. Mit Musik will Jörg Schöner dagegen halten, im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Auch im Jahr 1930 ahnten die Wenigsten, was da mit dem Ende der Weimarer Republik nahte. Die "Comedian Harmonists" trällerten noch von "Wochenend und Sonnenschein", als Coverversion von "Happy Days Are Here Again": bis heute optimistische Hymne der US-Demokraten. Es kamen keine glücklichen Tage, in der Nazizeit erhielten die jüdischen Ensemblemitglieder Auftrittsverbot. Zum Aufklang zählte ein Medley mit Songs von Udo Jürgens, die gar nicht mal so unpolitisch waren: Ein angeblich "ehrenwertes Haus" schottet sich ab gegen Underdogs, während sich manche Menschen einfach zu viel Sahne auf die Teller schaufeln.

Warnung vor Faschismus in neuen Erscheinungsformen

"Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten": Norbert Lenhard zitierte Bebel, für die "Initiative gegen das Vergessen", der das Benefizkonzert zugutekam. Am 10. November, um 11 Uhr, soll der Erinnerungsort Denkzeichen im Châteaudun-Park übergeben werden, in Gedenken an die deportierten und ermordeten jüdischen Schweinfurterinnen und Schweinfurter.

Lenhard warnte eindringlich vor Faschismus in neuen Erscheinungsformen. Es gehe nicht um die Verhinderung von Kritik oder abweichender Politik, aber sehr wohl darum, die Rückkehr autoritärer Herrschaftsformen zu verhindern, sagte er weiter. Marietta Eder von "Schweinfurt ist bunt e.V." berichtete dann von einem Treffen mit einer AfD-Aussteigerin – und warnte auch vor klassischen Rechtsextremisten in Schweinfurt, dem "Dritten Weg".

'RedPack' aus Würzburg bot bestens, beswingte Unterhaltung.
Foto: Uwe Eichler | "RedPack" aus Würzburg bot bestens, beswingte Unterhaltung.

Ein verschmitztes Wortspiel bot schon der Bandname von "RedPack": Evangelos Fitros, Matthias Ernst und Klaus Wolf sind ein Rat Pack auf flotten roten Sohlen, das mit Jazz und Swing bestens unterhielt– vom Kriminaltango bis zu "Mrs. Robinson". Im Welthit von Simon & Garfunkel steckte schon 1968 Kritik an der knallbunten Kandidatenkür amerikanischer Präsidentschaftswahlen. Bekannt ist der Klassiker dank Dustin Hoffman als neurotischer Verführer in "Die Reifeprüfung".

Reise in die 70er und 80er Jahre

Fast schon elegisch wurde es bei Mad Bob und Fritz Wenzel sowie einer sangesstarken Elke Neugebauer. Das Trio widmete sich, passend zur Zeitumstellung, der "Summertime", dem "Moondance" von Van Morrison oder dem Preis der Freiheit: Mit "Find the Cost of Freedom" hatte Neil Young im prominenten Quartett gegen Schüsse auf Vietnamkriegs-Demonstranten protestiert.

In die 70er und 80er Jahre nach New York, Rio oder Tokyo, führte last but not least das "Boulevard Ensemble", alias Fritz Wenzel, Manuel Grimm, Jörg Schöner und Sängerin Christine Schöner. Zu hören gab es nicht zuletzt "Blondie". Die Rockband hatte sich 2014 geweigert, bei Putins Olympiade in Sotschi aufzutreten, aus Solidarität mit der juristisch bedrängten LGBT-Community in Russland. Als Finale wurde von allen Künstlern des Abends die echte, krisenfeste Freundschaft gefeiert.

Flotte Schlager gegen die Erben autoritärer Schläger: Jörg Schöner und Eberhard Fasel eröffneten den Abend mit Fliege.
Foto: Uwe Eichler | Flotte Schlager gegen die Erben autoritärer Schläger: Jörg Schöner und Eberhard Fasel eröffneten den Abend mit Fliege.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Uwe Eichler
Benefizkonzerte
Blondie
Comedians
Das dritte Reich
Disharmonie Schweinfurt
Dustin Hoffman
Klaus Wolf
Neil Young
Norbert Lenhard
Piano Man
Schweinfurt ist bunt
Sängerinnen
Udo Jürgens
Van Morrison
Weltkriege
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top