„SLAMM! TCHOK! WHAMM!“, schreit Alfred Gulden ins Publikum. „Zerfetzt. Zigtausend Bilder. Grell ausgemalt“, liest er weiter. Zwei Celtis-Gymnasiastinnen vom Kunst-Additum-Kurs, die in der ersten Reihe sitzen, schauen sich fragend an.
Spannend waren Lesung und Künstlergespräch mit Alfred Gulden und Bettina van Haaren in der Kunsthalle Schweinfurt. Den knapp 50 Zuhörern verspricht Gulden eine „Querfeldeinreise“ durch die drei Bücher „Atem“, „Siebenschmerzen“ und „TotenRoteln“ der beiden Künstler. Es wird ein unvergesslicher Trip.
Die Lesung bestreitet Gulden (Schriftsteller, Filmer und Musiker) allein. Zahlreiche gelbe Klebezettel in den Büchern versprechen eine längere Lesung. Bettina van Haaren (Künstlerin und Professorin an der TU Dortmund) lächelt abwartend dazu. Anne Hess, Mitarbeiterin der Kunsthalle, die das Podium als Moderatorin ergänzt, muss lange warten, ehe sie die Künstler vorstellt und das Gespräch in Gang bringt.
Zur Lesung: Alfred Gulden, Jahrgang 1944, ähnelt Mick Jagger. Sein Gesicht erzählt Bände, seine blonde Mähne versprüht Unangepasstheit, seine Stimme ist raumeinnehmend. In den „Atem“-Gedichten gibt der Tod die Grundmelodie vor. Gulden artikuliert sehr gut, liest schnell. Kurze Erklärungen lässt er nebenbei einfließen. Sein Lohn: höchste Konzentration im Publikum. In den „Siebenschmerzen“-Gedichten zitiert er manchmal Sätze aus Kinderreimen oder Kirchenliedern, fragmentiert sie, setzt sie neu zusammen, schafft Kurzfilme im Kopf.
Während Gulden rezitiert, kann man leider van Haarens Zeichnungen in „Atem“, Aquarelle in „Siebenschmerzen“ und Schwarz-Weiß-Hochdrucke in „TotenRoteln“ nicht sehen. Anders beim Gedicht „1 Gesang – zu Bildern von Bettina van Haaren“ aus dem letzten Buch: Hier hat Gulden Fotos von den „Waldwasen durchlöchert“-Gemälden, die derzeit in der Kunsthalle zu sehen sind, in ein mehrstrophiges Gedicht verwandelt. Es ist surrealistisch, wie die Gemälde. Ein Fantasiereigen über die Malerin und ihre Motive: „Es dreht sich um eine Frau, die tagträumt. Wie die Hasen, sagt sie, mit offenen Augen.“
Zum Künstlergespräch: Wie sie zueinanderfanden, war eine der ersten Fragen. Sie lernten sich über eine Initiative kennen, die bildende, dichtende und komponierende Künstler zusammenbrachte. „Mich interessierte sofort Bettina, ich war entsetzt über ihre Bilder“, erzählt Gulden grinsend. Dass sie einander inspirierten, merkten sie schnell. „Wir sind beide Geschichtenerzähler“, sagt van Haaren. Er, der alte Jazz- und Rockfan, der den Charme eines springlebendigen Alt-68er ausstrahlt. Sie, die 1961 Geborene, die intellektuelle Eleganz verströmt und uneitel ihren Körper mit allen Alterungsprozessen der Kunst preisgibt.
Auf die Frage, wie ihre Bücher entstehen, antwortet van Haaren: „Wir suchen ein Thema. Bisher hatten wir drei, wie unsere Buchtitel verraten.“ Dann tauschen sie sich aus, philosophieren, diskutieren. „Meist per Mail“, sagt Gulden. Die Werke werden nicht ausgetauscht oder bekrittelt. „Ich freue mich jedes Mal, wie viel geistige Kommunikation es gibt, wenn ich Bettinas Bilder dann im Buch sehe“, bekennt Gulden.
Eine Zuhörerin ist begeistert von van Haarens ausgestellten Gemälden und fragt nach einer Interpretation. „Es gibt keine schlüssige Interpretation. Bilden Sie sich ihre eigene Meinung“, fordert van Haaren sie auf. Ihre Kunst soll anregen über Zeitthemen, wie Schönheitschirurgie, Vergänglichkeit oder Kunst nachzudenken. Das gibt sie vor allem den sechs Celtis-Schülern vom Kunst-Additum-Kurs abschließend mit.
Dann kabbeln sich Gulden und van Haaren noch, wie sie die Lesung am besten beenden, bevor sie „offen für Fragen sind, die sie nicht fragten“. Gulden setzt sich durch: „Ich lese noch zwei kleine Gedichte.“ Es werden drei – und van Haaren lächelt weise. Der Beifall ist groß, ebenso der Andrang beim Signieren der Bücher.