Sprach- und weltgewandt waren Mongolen schon immer. Als 1241 die schlauen Asiaten beim schlesischen Liegnitz auf ein Heer aus Deutschen und Polen trafen, sollen sie ihre Feinde mit einer Art Nebelwerfer eingeräuchert und im perfekten Polnisch „Rückzug!“ gebrüllt haben.
Trotz der daraus resultierenden Niederlage der Schlesier: Die mongolischen Pferde vertrugen das europäische Gras und Klima schlecht, zuhause starb Großkhan Ögedei. In der Mongolei werden Gruppenentscheidungen bis heute groß geschrieben, also kehrten die Eroberer zurück, um die Erbfolge im Riesenreich zu klären. Am Rand war das Abendland, wieder mal, gerettet.
Elektromobile surren durch das Grasland
777 Jahre später surren Elektromobile durchs Grasland, um Einheimische und Touristen zu einem Stadion zu bringen, wo bei einem Naadam-Fest Mönchsgesänge erklingen. Im 17. Jahrhundert wurde das nahe Urga (das heutige Ulan-Bator) zur Hochburg des tibetischen Buddhismus, das Volk Dschingis-Khans sanfter.
Ein zarter Wind weht über die Steppe, die nach Blumen und Kräutern duftet: „August ist bei uns der schönste Monat“ hat der Sumchef von Altanbulag den Schwanfelder Besuchern mit auf den Weg gegeben. Durch den vielen Regen ist das Gras so grün wie lange nicht mehr, allerdings gab es Unwetterschäden.
Die russischen UAZ-Busse kämpfen sich durch tiefe Furten. Ein einheimisches Auto ist eingesunken und muss von den Altanbulagern herausgezogen werden. Deren Sorgenkind ist ob des Hochwassers die 70 Jahre alte Holzbrücke am Tuul, eine wichtige Verbindung im Sum.
Ausgewilderte Urpferde grasen
Nördlich vom Fluss liegt der Nationalpark Hustain Nuruu, die „Birkenberge“, wo Przewalskis grasen: ausgewilderte Urpferde, die sich mit dem Fernglas beobachten lassen. Ein Motorradfahrer lotst die Busse zum Touristencamp. Dort verbringen die Schwanfelder ihre erste Nacht, in einer archaischen Landschaft wie aus dem „Herrn der Ringe“. Pferdeäpfel oben auf dem Hügel, zwischen bizarren Felsformationen, Edelweiß und Murmeltierbauten, lassen am Morgen vermuten: Die Przewalskis haben wiederum die „Eindringlinge“ beäugt.
Tafeln in der Filzjurte
Zweimal geht es zu Nomaden in die Filzjurte, wo getafelt wie zu Dschingis-Khans Zeiten, neben Solarpaneelen und Satellitenschüsseln, während die Smartphones dudeln. Die Schale mit der vergorenenen Stutenmilch, Airag oder Kumys, nimmt man höflicherweise mit der rechten Hand entgegen. Das Herumreichen der Schnupftabakflasche gehört zur mongolischen Geselligkeit wie das frischgeschlachtete Schaf.
Schwanfeldlied und Stutenmilch
Trotz des Indianerlebens, mit Pferden an der langen Laufleine, traumhafter Stille und „Bioklo“, herrscht nicht nur Naturromantik: Der Fluss Tuul ist durch die Abwässer von Ulan-Bator verschmutzt. Ein UN-Truppenübungsplatz bereitet den Nomaden ebenfalls Sorgen, die nicht von den Weiden lassen wollen, es gab Unfälle.
Alles Handarbeit
„Die Kinder möchten ein modernes Leben“, heißt es. Die Älteren würden sich schon über etwas Fortschritt bei ihrer harten Arbeit freuen. Wolle, Filz, Felle, Halfter, Seile, alles wird von Hand gefertigt. Eine Tochter ist aus der Hauptstadt gekommen, melkt die Kühe, spricht perfekt Englisch und will Journalismus studieren, in Missouri.
Am frühen Morgen schlagen überall die Hunde an. Thomas Hertlein hat vor der Gästejurte plötzlich ein schwarzes Etwas an der Hose hängen: zum Glück nur der Wachhund. „Ab und zu schleichen Wölfe um die Herden“, meint der Herr des „Hauses“ lapidar beim Frühstück.
Spuren der Seidenstraße
Neben Steinfiguren der Urtürken finden sich noch Grenzsteine der alten Seidenstraße in der Gegend. Geht es nach den Politikern in Zuunmod, der Hauptstadt des Töw-Aimag, rücken Ost und West wieder näher zusammen: Im Dezember soll ein neuer internationaler Flughafen eröffnet werden, am Rande von Altanbulag, einem von 27 Sums der Provinz. Die gilt als die Kornkammer von Ulan-Bator.
Besonders stolz ist man auf eine computerisierte Gemüsefarm: ein Joint Venture mit Korea, von wo aus das „Smart Farming“ per Kamera überwacht wird. Maidar City nennt sich die von einem Kölner Architekten entworfene Ökostadt, die Ulan-Bator als Kapitale ablösen soll. Das auch ein neues Kohlekraftwerk geplant ist: nicht nur Richard Köth sieht es mit Sorge.
In einem der Hochhäuser von Ulan-Bator, wo die Schwanfelder vor Ingenieuren über Natursteinbearbeitung, fränkische Wasserkraftwerke und alternative Energien in Schwanfeld referieren, werden kritische Stimmen laut. Die Politik müsste sich endlich kümmern, Pilotprojekte schaffen, Windkraft aufs Land, Solarenergie in Stadthäuser bringen, heißt es bei den Einheimischen.
Sicher ist, der Kontakt wird nicht abreißen. Nötig wäre Hilfe für das (nicht nur von Stromausfällen geplagte) Krankenhaus in Altanbulag, wo unter anderem ein Ultraschallgerät benötigt wird. Richard Köth stellt sich spontan die Vermarktung von Filzprodukten über „Eine Welt“ vor, ebenso einen Arbeitskreis in Schwanfeld. Auch die Sache mit der Müllgrube lässt ihm keine Ruhe: „Die muss abgedichtet werden.“
Wieviel Moderne verträgt die Mongolei?
Wieviel Moderne verträgt die Mongolei zwischen Touristencamps, Wollfabriken, Kaschmirboutiquen, ohne ihren rustikalen Charme zu verlieren? Die Kinder, die beim Naadam-Fest in Altanbulag, eine Art „Highland Games“ mit Musik, Tanz, Pferderennen, Ringen sowie Schagain Charval (Knöchelschießen per Holzschiene) antreten, erinnern in ihren Kunststoffrüstungen noch an kleine Steppenkrieger. Wild schreiend treiben die Jockeys ihre Pferdchen über die Piste, durch eine Landschaft, die so offen ist wie die Zukunft. Als einem der Steppkes der Helm herunterfällt, springt sein Vater aus dem Begleitauto, hebt ihn auf und rast hinterher. „Wo ein Mongole seinen Hut hinwirft, fühlt er sich zuhause“, lautet ein mongolisches Sprichwort.