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Schweinfurt
Bayernkolleg: „Etwas aus sich machen“
Das Bayernkolleg in Schweinfurt feiert am 15. Juli mit einem großen Schulfest seinen 50. Geburtstag.
Foto: Anand Anders | Das Bayernkolleg in Schweinfurt feiert am 15. Juli mit einem großen Schulfest seinen 50. Geburtstag.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 27.04.2023 04:31 Uhr

Im Januar 1967 wurde das Bayernkolleg Schweinfurt eröffnet. Seither machten hier rund 2500 Schüler auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur. Am 15. Juli wird bei einem Schulfest der 50. Geburtstag gefeiert. Schulleiter Peter Rottmann, seine Stellvertreterin Birgit Weiß, seine Vorgänger Johanna Bonengel und Dieter Jacob, Heimleiter Hermann Göb sowie die Schüler Tobias Edelmann und Moaz Hamami sprechen über die Notwendigkeit der Erwachsenenbildung, die Motivation der Schüler, die Zukunft der Schule und die spezielle Klasse für Migranten.

50 Jahre Bayernkolleg, beschreiben Sie Ihre Schule und was sie ausmacht. Weiter. Bildung. Abitur., steht vorne am Schild.

Peter Rottmann: Ja, ein Auftrag, der nie endet. Wir hatten in den früheren Jahrzehnten immer schon Gruppen, die aus verschiedenen Gründen schlechter zum Zug gekommen sind als andere, individuelle Lebensläufe, die in die Brüche gegangen sind. Wir haben immer wieder Schüler, die eine andere Form von Schule und Bestärkung brauchen. Der zweite Bildungsweg ist nach wie vor sehr, sehr wichtig und wir sind froh, dass es das Kolleg in der Vielfalt der bayerischen Schullandschaft gibt. Es wird weiter nachgefragt, der Bedarf ist da.

Johanna Bonengel: In den 50 Jahren ist eine starke Stabilität in der Motivation der jungen Menschen zu sehen, ihr Wunsch, etwas aus sich zu machen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Da ist das Bayernkolleg ein sehr empfehlenswerter Weg, bei dem es nicht nur um Leistung geht, sondern auch darum den Horizont zu erweitern, die Persönlichkeit zu entwickeln, die Augen zu öffnen für Bildung. Das war am Anfang des Bayernkollegs schon so und hat sich wie ich finde nicht so stark verändert. Manche hatten unverschuldet einen etwas leeren Bildungsrucksack. Zu beobachten, wie sie sich aus dem Milieu, aus dem sie stammen, herausarbeiten, ist toll. Es lohnt sich, für jede einzelne Schülerin, für jeden einzelnen Schüler zu kämpfen, damit er mit dem Abitur in der Tasche das Kolleg verlassen kann.

„Ich erlebe sehr viel Enthusiasmus und Begeisterungsfähigkeit. “

Wie kam das Kolleg als einziges staatliches Kolleg in Bayern neben Augsburg nach Schweinfurt?

Rottmann: Das ist vor allem der Schlüsselrolle von Erwin Lauerbach, Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium und Schweinfurter Stimmkreisabgeordneter, zu verdanken. Er hat die Notwendigkeit des zweiten Bildungswegs in Nordbayern gesehen und diese Idee in München forciert. Es ist eine großartige Leistung, dass es in die Stadt kam. Die Startbedingungen waren gut, die Stadt war sehr kooperativ, stellte auch beim Neubau das Grundstück in der Florian-Geyer-Straße kostenlos zur Verfügung. Damals war eine gewisse Bildungseuphorie, es war der Zug, auf dem man zurecht aufspringen musste. Bonengel: Auch heute noch muss es eine Aufgabe der Politik sein, Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Das Bayernkolleg leistet dazu einen starken Beitrag.

Man spricht gelegentlich von der Null-Bock-Generation, egal in welchen Schularten. Ist das im Bayernkolleg überhaupt vorhanden?

Rottmann: Da kann ich meine Abiturrede von diesem Jahr rausziehen, da steckt ganz viel Lob drin. Ich erlebe sehr viel Enthusiasmus und Begeisterungsfähigkeit, sei es im sozialen Miteinander wie beim E.F.I.-Projekt, wenn ich daran denke, wie das Wohnheim mit der Schule verbunden ist oder wie sich die Schüler vor dem Abitur gegenseitig helfen. Von Null-Bock-Mentalität bekommen wir hier wenig mit. Prinzipiell ist es ja so, dass sich die Leute bewusst für uns entscheiden. Natürlich gibt es manchmal Schüler, die, obwohl sie guten Willens sind, es nicht bis zum Ende schaffen. Aber im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden.

Dieter Jacob: Genau das ist der wichtigste Grund, sie wollten zu uns kommen und wussten, dass wir etwas verlangen. Die meisten haben es begeistert mitgemacht. Die Schüler kamen aus eigenem Antrieb und als Lehrer muss man helfen, dass das Wollen der Schüler umgesetzt werden kann. Da mussten auch wir etwas leisten, nicht nur Unterricht halten im üblichen Stil.

Herrmann Göb: Für Einige ist das Bayernkolleg ein neuer Weg, sie sind vorher nicht mehr in ihrem Beruf weitergekommen und wollen etwas Neues machen.

Muss man pädagogisch anders vorgehen und wenn Ja, wie?

Bonengel: Natürlich, man muss versuchen auf die unterschiedlichen Lebenserfahrungen einzugehen und sie im Unterricht einzubinden, dann können sich auch ganz andere Gespräche auf einem anderen Niveau als bei einem „normalen“ Gymnasiasten ergeben, weil die Erfahrungen eben anders sind. Birgit Weiß: Es wird sehr viel individualisierte pädagogische Arbeit geleistet, es gibt viele Gespräche, man weiß viel mehr über die persönliche Situation der Schüler. Das ist oft sehr hilfreich. Es macht diese Schule besonders aus, dass dieses Engagement für die Schüler auf allen Ebenen geleistet wird.

Was hat Sie bewogen, noch einmal ans Bayernkolleg zu gehen, Herr Edelmann?

Tobias Edelmann: Ich habe eine Lehre als Informatikkaufmann gemacht, wollte dann nach der Ausbildung in die Industrie, da war das Abitur Voraussetzung. Mein Onkel empfahl mir das Bayernkolleg, weil es persönlicher ist und man sensibler behandelt wird.

Wie kamen Sie in die spezielle Klasse für Migranten, Herr Hamami?

Moaz Hamami: Es ist eine lange Geschichte, ich musste vor dreieinhalb Jahren aus Syrien nach Deutschland flüchten. Ich wollte mein Medizinstudium weitermachen und hoffe auch, dass ich das später hier machen kann. Das Bayernkolleg hilft mir auf dem Weg zum Abitur. Die Bedingungen sind für mich toll, denn ich kann auch meine Sprache verbessern, lerne alle Fächer auf Deutsch und die Fachbegriffe. Ich bekomme nicht nur Wissen, sondern auch etwas zum Leben. Ich habe keine Familie hier, wenn ich in die Schule komme, treffe ich gleichzeitig meine Freunde.

Herr Jacob, Sie wurden im Februar 1989 Schulleiter, neun Monate später fiel die Mauer. Waren das ganz andere Zeiten?

Jacob: Nein, das kann man so nicht sagen. Die, die zu uns kamen, wollten einfach lernen. Wir haben das aufgegriffen und ihnen geholfen. Von einer revolutionären Stimmung habe ich nichts wahrgenommen.

Seit 1977 gibt es die Aussiedler-Klassen am Bayernkolleg. Wie sind die Erfahrungen?

Jacob: Gut, die wollten wirklich lernen.

Göb: Es hat sich viel gewandelt. 1989 war es so, dass viele Übersiedler aus Rumänien, Polen und Russland kamen. Vor allem in Rumänien gab es ein Bildungssystem, in dem viel Wert auf Deutschunterricht gelegt wurde, die alles mögliche schon gelesen hatten. Mitte der 1990er Jahre kamen dann fast nur noch Schüler aus der ehemaligen Sowjetunion.

Rottmann: Die Aussiedlerklassen enden auch im nächsten Jahr mit den Schülern, die dann Abitur machen. Es gibt nicht mehr viele, die aus diesen Ländern zu uns ziehen. Es ändern sich die Themen auf der Welt und die Zeitläufe, deswegen hat man eine Umsteuerung und wir haben mit der Einrichtung der speziellen Migrantenklasse darauf reagiert.

Gibt es Schüler, die besonders Eindruck hinterließen, deren Karriere Sie verfolgten?

Rottmann: Natürlich, viele. Es entstehen immer spannende Lebensläufe, wir haben einen Staatssekretär, eine Bundestagsabgeordnete, einen Architekten, der in Afrika viele Projekte mit der UNO gemacht hat. Viele sind in den medizinischen Bereich gegangen, einige wurden Lehrer.

Bonengel: Es gibt auch viele, die wieder in ihren Beruf zurück gehen, die Abitur gemacht haben, um es sich zu beweisen.

„Es lohnt sich, für jeden einzelnen zu kämpfen, “

Sprachsensibler Unterricht ist eine Spezialität des Kollegs, in den Aussiedlerklassen, in der speziellen Klasse für Migranten. Wie gehen Sie vor?

Weiss: Es braucht eine besondere Didaktik und Methodik. Wir haben es nicht einfach eingeführt, sondern das Kollegium ins Boot geholt und sind auf große Bereitschaft gestoßen. Man braucht Lehrer, die bereit sind, sich neu zu orientieren. Wir hatten sehr viele aufwändige Fortbildungen. Entscheidend ist, dass die Kollegen in der Klasse unterrichten wollen und dann hat man auch den Willen, kreativ zu sein und sich immer wieder etwas einfallen zu lassen.

Wie sieht die Zukunft der Schule aus?

Rottmann: Ich denke, der Auftrag bleibt. Die Schule hat eine lebensfähige, immergrüne Idee. Es braucht glaube ich für junge Erwachsene einen Anschluss und wir müssen schauen, dass wir im Sinne der erwachsenengerechten Schule am Ball bleiben und keine Entwicklung verschlafen.

50 Jahre Bayernkolleg in Schweinfurt

Am 9. Januar 1967 wurde das Kolleg, neben Augsburg eines von zwei staatlichen in Bayern, eröffnet. Zunächst im Friedrich-Rückert-Bau angesiedelt, bietet das Bayernkolleg jungen Erwachsenen auf dem zweiten Bildungsweg den Weg zum Abitur. 1972 wurde das heutige Gebäude in der Florian-Geyer-Straße bezogen. Im vergangenen Schuljahr besuchten 306 Schülerinnen und Schüler das Kolleg.

Voraussetzungen für den Eintritt sind ein Mindestalter von 18 Jahren, eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine regelmäßige zweijährige Berufstätigkeit. Zudem muss eine halbjährige Probezeit am Bayernkolleg absolviert werden. Erst dann wird auf der Grundlage der Leistungen, der Arbeitshaltung und unter Berücksichtigung besonderer persönlicher Umstände über den Verbleib entschieden. Das Schul-Jubiläum wird öffentlich bei einem Sommerfest am 15. Juli ab 16 Uhr gefeiert.

Infos unter www.bayernkolleg-sw.de Text: oli

Tobias Edelmann
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