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SCHWEINFURT
Bauverein feiert Jubiläum
Liebevoll eingerichtet: Das Haus in der Georg-Groha-Straße 25, hier das Wohnzimmer, wurde mit Möbeln aus den vergangenen Jahrzehnten ausgestattet.
Foto: Fotos (5): O. Schikora | Liebevoll eingerichtet: Das Haus in der Georg-Groha-Straße 25, hier das Wohnzimmer, wurde mit Möbeln aus den vergangenen Jahrzehnten ausgestattet.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 04.05.2017 03:54 Uhr

Für Architektur hat die Chefin der Kunsthalle, Andrea Brandl, ein Faible. Kein Wunder, sie arbeitet ja in einem nicht nur Freunde moderner Architektur beeindruckenden Gebäude. Doch nicht nur die opulente Kunsthalle, auch das Haus im Grünen findet Brandls Gefallen. Zumal, wenn es so von Stadthistorie erfüllt ist wie das Gebäude in der Georg-Groha-Straße 25: „Das hat Charme“, befindet Brandl, wenn sie sich in dem Anfang der 1920er Jahre erbauten Haus des Bauvereins in der Gartenstadt umschaut.

Ja, Charme hat dieses kleine Häuschen mit gut 130 Quadratmetern Nutzfläche und einem kleinen Garten tatsächlich. Auf den ersten Blick ist es nur ein grauer Leerstand. Doch zweite Blicke lohnen sich meist und da ist dieses Haus, das der Bauverein angesichts seines 100. Geburtstages als symbolträchtigen Ort der Ausstellung seiner Geschichte ausgewählt hat, eine Schatztruhe – die Einblick gewährt in die im Rahmen der Industrialisierung aus England nach Deutschland schwappende Gartenstadt-Bewegung und die moderne deutsche Architektur des beginnenden 20. Jahrhunderts mit hellen Räumen.

Übergreifendes Projekt

Das Jubiläum des Bauvereins, der am 13. August 1917 ins Genossenschaftsregister eingetragen wurde, macht sich die Ausstellung „Made in SW“ zunutze, um einen übergreifenden Rahmen zu spannen. Zum einen der Blick auf die Historie des Bauvereins mit der vom 5. Mai bis 10. September zu sehenden Ausstellung in der Georg-Groha-Straße. Zum anderen die Ausstellung im Bunker an der Blauen Leite, kuratiert von Daniela Kühnel, zum Thema „Schweinfurt und seine Gartenstadt“, die Ende Juni eröffnet wird. Als verbindendes Element hat Kühnel einen Gartenstadt-Rundgang entworfen.

Der Wandel Schweinfurts zur Industriestadt Anfang des 20. Jahrhunderts brachte in der Kugellagerindustrie Arbeitsplätze, doch an Wohnraum mangelte es. Teilweise waren die Arbeiter angesichts der Wohnungsnot sogenannte „Schlafgänger“, mieteten sich nur für einige Stunden ein Bett. Der Schweinfurter Stadtbaurat Curt Römer regte 1917 den Bau der Gartenstadt an sowie die Gründung des Bauvereins als gemeinnützige Genossenschaft. Jedes Mitglied musste einen Geschäftsanteil für 200 Mark erwerben, was für einen Industriearbeiter mit einem Stundenlohn von 60 Pfennig eine Herausforderung war.

In Unterfranken eine der größten Genossenschaften

„Was der Einzelne nicht vermag, vermögen viele“, den Grundgedanken des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen verwirklichte der Bauverein. 2017 gibt es deutschlandweit 2000 Wohnungsbaugenossenschaften mit gut drei Millionen Mitgliedern. Der Schweinfurter Bauverein mit derzeit 1800 Wohnungen ist zumindest in Unterfranken eine der größten Genossenschaften.

Das Haus in der Georg-Groha-Straße 25 ist quasi die Wurzel des Bauvereins, die Erschließung der Gartenstadt war das erste Projekt der Genossenschaft. Die Häuser waren für die damalige Zeit gut ausgestattet, hatten Keller, Waschküche, Wohnküche, Speisekammer, Abort, einen Stallanbau zur Kleintierhaltung sowie einen großen Gemüsegarten zur Versorgung der Familie. Welches Genossenschaftsmitglied ein Haus bekam, entschied das Los.

Authentisch ausgestattet

Das in den vergangenen Wochen liebevoll mit authentischen Möbeln und über Jahre gesammelten Accessoires wie Einmachgläser, alte Telefone, Radiatoren oder Waschzubern ausgestattete Haus besticht durch seine Authentizität. Von 1920 bis in die 1990er Jahre wohnten hier mehrere Generationen der Familie Werberich, die baulichen Veränderungen sind sehr gering. Der Garten, der die Grundlage der Lebensmittelversorgung jeder Arbeiterfamilie bildete, wurde durch die Mitarbeiter des Bauvereins reaktiviert.

Daneben wird im Haus die Geschichte des Bauvereins präsentiert – von der Gründungsversammlung im Juli 1917 bis zu den Zukunftsplänen der Genossenschaft. Ganz besonders verbunden mit dem Bauverein ist die Gründung des Stadtteils Gartenstadt. Zwischen 1917 und 1920 kaufte man die Grundstücke in den Fluren „An der Pfanne“, „Galgenleite“ und „Blaue Leite“. 1919 entwarf der Münchner Architekt Theodor Fischer, ein gebürtiger Schweinfurter, einen Bebauungsplan mit zahlreichen Einfamilienhäusern und großzügigen Gärten. Das geplante Zentrum mit Marktplatz und Brunnen wurde wohl aus Kostengründen nicht gebaut.

Erste Häuser 1920

Im Frühjahr 1920 wurden die ersten 36 Häuser gebaut, Architekt war der Schweinfurter Rudolf Metzger. Die Häuser in der Gartenstraße, Josef-Säckler-Straße, Georg-Groha-Straße und der Fritz-Soldmann-Straße stehen heute noch. Neben den Wohnhäusern, später auch Mehrfamilienhäuser, entstand auch eine komplette Infrastruktur. So wurde eine Gastwirtschaft mit Metzgerei gebaut. Einen weiteren Schub bekam die Genossenschaft in den 1970er und 1980er Jahren. Zum einen wurden 1969 und 1970 drei Hochhäuser mit bis zu elf Geschossen für insgesamt 400 Menschen gebaut. Zum anderen errichtete der Bauverein einen Großteil der Wohnungen im Stadtteil Deutschhof, die heute den größten Teil des Bestandes ausmachen.

Im vergangenen Jahr wurde das bisher umfangreichste Modernisierungsprojekt abgeschlossen, die energetische Sanierung von 248 Wohnungen. Binnen zwölf Jahren wurden dafür 30 Millionen Euro investiert. Außerdem besitzt der Bauverein im Moment 28 Bauplätze im Baugebiet „Eselshöhe West“, um dort Ein- und Mehrfamilienhäuser zu bauen.

„100 Jahre Bauverein Schweinfurt“. Ausstellung im Haus in der Georg-Groha-Straße 25 in der Schweinfurter Gartenstadt, 5. Mai bis 10. September. Vernissage: 4. Mai, 19 Uhr vor Ort.

Begleitprogramm: Die „Gartenstadtrunde“ ist über den Museums-Service MuSe (Tel. 0 97 21/ 51 47 44) bzw. friederike.kotouc@schweinfurt.de buchbar. Es gibt auch Kombiführungen in Verbindung mit der Ausstellung „Made in SW“ im Bunker an der Blauen Leite.

Am 4. Juli um 19.30 Uhr liest Klaus Gasseleder Geschichten rund um die Gartenstadt, begleitet von „Mad Bob“ Bickel am Klavier.

„Zeitzeugen im Gespräch“ heißt die Veranstaltung am 12 Juli um 19 Uhr im Großen Saal Maria Hilf. Reservierung unter Tel. (0 97 21) 37 05 662.

Ein Luftbild der Gartenstadt aus den 1930er Jahren.
Foto: Stadtarchiv SW/Luftbild Strähle 0017 | Ein Luftbild der Gartenstadt aus den 1930er Jahren.
 
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