
Rechnen muss eine Gefängnisleitung natürlich immer damit. Gefangenenrevolten wie jetzt in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in Bayerns größtem Jugendgefängnis in Ebrach sind aber nicht unbedingt das, was man sich wünscht.
Zum einen sind da die bangen Minuten und Stunden, bis klar ist, was überhaupt hinter den Gefängnismauern passiert ist – eine Geiselnahme zum Beispiel oder mehr. Dann, wenn alles vorüber ist, beginnt die Aufarbeitung mit Justizministerium, Polizei, Staatsanwaltschaft und natürlich auf der internen Schiene. Zuletzt hatten Gefangene am 29. November 2003 revoltiert. Die Situation war damals sehr zugespitzt.
Die negativen, aber auch positiven Seiten
So räumte die seinerzeitige Gefängnisleiterin Renate Schöfer-Sigl später ein, dass die Unruhen unter den Gefangenen im Jahr 2003 zu den unerfreulichen Ereignissen während ihrer Zeit in Ebrach zählten. Andererseits seien die Vorkommnisse auch mit vielen positiven Erfahrungen verbunden gewesen.

Verlegung der Randalierer
Besonders hilfreich empfand Renate Schöfer-Sigl die Unterstützung durch andere Justizvollzugsanstalten. Diese seien spontan bereit gewesen, Rädelsführer und Unruhestifter in einer Nacht- und Nebelaktion aufzunehmen.
Eine Gruppe von über 30 gewaltbereiten Gefangenen randalierte an jenem Samstag im November 2003 in einem Flügel des Haus 3 genannten Zellenbaus. Sie ignorierte alle Anweisungen der vor Ort tätigen Bediensteten.
Chaotische Situation 2003
Herbert Kusche, er war Leiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes als er Ende 2014 in Ruhestand ging, fand eine überaus chaotische Situation vor, als er an jenem Tag in die JVA gerufen wurde, wie er sagt. Durch eine eingeschlagene Scheibe einer Gittertüre sei es gelungen, Kontakt zu den Meuterern aufzunehmen. Die Anstaltsleitung habe sich inzwischen vor Ort befunden. Die herbeigerufenen Einsatzkräfte der Polizei standen für einen Zugriff bereit.
Herbert Kusche: „Viel Verhandlungsgeschick und stundenlanges, unermüdliches Zureden bewog die Gefangenen schließlich in ihre Hafträume zurückzukehren und sich auch wieder einschließen zu lassen.“
Albrecht Ruß: „Den Tag werde ich nicht vergessen“
Albrecht Ruß war damals bei der Revolte mittendrin. Der in Koppenwind verheiratete gebürtige Brünnstädter arbeitete als Sportbeamter 38 Jahre lang von 1967 bis zum 1. März 2005 im Strafvollzug in der JVA Ebrach. Der damals 58-Jährige sagt heute noch: „Den Tag werde ich nicht vergessen“.
Den Aufstand habe die zahlenmäßig starke Fraktion der Russlanddeutschen geprobt. Albrecht Ruß: „Sie haben demonstriert, dass sie das Sagen im Knast haben und Bambule gemacht. Dazu haben sie die Leute zusammengeholt und sich in einem Flügel verbarrikadiert.“
Reden und Verhandeln als Erfolgsrezept
Die Polizei sei schon dagewesen und natürlich habe es Warnungen gegeben. Zu zweit hätten sie dann aber doch mit den Aufständischen gesprochen. Sein Vorteil sei dabei wohl gewesen, als Sportbeamter keine Uniform getragen und durch den Sport Zugang zu den Gefangenen gehabt zu haben. Die Rädelsführer hätten sich dann auch durch Reden als sehr zugänglich erwiesen. So sei es durch die Verhandlungen gelungen, den Aufstand friedlich zu beenden.
Banale Forderungen
Wie vereinbart, hätten sich die Gefangenen wieder zurück in ihre Unterkünfte begeben, ohne dass es zu Gewalt gekommen sei. Bei den Forderungen sei es um ganz banale Sachen gegangen. Albrecht Ruß: „Für uns waren es Kleinigkeiten.“
Wieso es an diesem Tag passierte, wisse bis heute keiner so richtig. Es habe vorher keine Anzeichen für eine derartige Revolte gegeben, obwohl es immer wieder Probleme mit den Russlanddeutschen gab.
Albrecht Ruß im Rückblick: „Unter ihnen herrschte eine unwahrscheinliche Gruppendynamik und Hierarchie.“ Die Aktion müsse aber abgesprochen und geplant gewesen sein, da die Gefangenen aus verschiedenen Häusern zusammengezogen worden waren.
Lehren aus dem damaligen Vorfall gezogen
Die Gefängnisleitung hatte damals unterschiedliche Lehren aus dem Vorfall gezogen. Dazu gehörten zum Beispiel seitdem unterschiedliche Aufschlusszeiten in den Zellenbauten und auf den Stockwerken. Das zahlte sich jetzt aus, als die Gefangenen aus dem dritten Stock die aufständischen Häftlinge im zweiten Stock zwar „anfeuern“, sich aber nicht mit ihnen räumlich zusammenzuschließen konnten.
Diesmal waren es 18 Häftlinge, unter denen sieben Rädelsführer ausgemacht werden konnten, die im zweiten Stock von Haus 2 randalierten, Feuer legten, ihrer Zerstörungswut freien Lauf ließen und durch Aufdrehen der Duschen den Flur unter Wasser setzen.
Hafners Herausforderung
Der aus Gerolzhofen stammende Gefängnisleiter Gerhard Weigand weilte zu diesem Zeitpunkt auf einer Tagung für Anstaltsleiter in Trier. Aufgrund der Ereignisse eilte er am Mittwoch umgehend zurück an seinen Arbeitsplatz nach Ebrach.
Da Weigand bei den Vorkommnissen außer Haus war, lastete die ganze Verantwortung bei dem jüngsten Gefangenenaufstand auf den Schultern seines Stellvertreters Ralf Hafner. Um 3 Uhr kam er schließlich ins Bett. Um 7 Uhr war er nach einer kurzen Nacht bereits wieder im Dienst, um eine erste Dienstbesprechung zu halten, dem Justizministerium Meldung zu erstatten und sich den Aufgaben und Anfragen zu stellen, die nach einem derartigen Ereignis auf die Gefängnisleitung einprasseln.
Gerolzhöfer Feuerwehr vor Ort
Vor Ort war auch die alarmierte Freiwillige Feuerwehr aus Gerolzhofen unter ihrem Kommandanten Roland Feller.
Während die Feuerwehrkollegen aus Ebrach und Großgressingen bereits im Innern des Gefängnisses hinter der Sicherheits-Schleuse der Dinge harrten, hielten sich die 15 Mann aus Gerolzhofen mit ihrer Drehleiter, dem Tanklöschfahrzeug und dem Einsatzleitwagen vor der JVA in Bereitschaft, bis Entwarnung gegeben werden konnte.
In dieser Zeit konnten sie verfolgen, wie ein Polizeiauto nach dem anderen vorfuhr und auch die Spezialeinsatzkräfte der Polizei eintrafen, berichtete Michael Mößlein.