Um der Wirtschaft in der Corona-Pandemie wieder auf die Beine zu helfen und die Bürger zum Geldausgeben anzuregen, wird die Mehrwertsteuer ab dem 1. Juli für ein halbes Jahr gesenkt. Der Standard-Mehrwertsteuersatz wird dabei von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Satz von 7 auf 5 Prozent gesenkt. Letzterer betrifft vor allem Lebensmittel und die Gastronomie, der Standardsatz alles andere. Axel Schöll, Schweinfurter Kreisvorsitzender des bayerischen Handelsverbands, sieht diese Maßnahme kritisch und befürchtet für viele Händler Mehraufwand. Im Interview spricht der 47-Jährige über Fehler in der Politik und drohende Konflikte, die die Senkung mitbringen könnte.
Axel Schöll: Nein, der lokale Handel ist sicherlich noch nicht gerettet. Fast überall mussten herbe Einbußen hingenommen werden. Die meisten Kollegen haben aktuell einen Umsatzeinbruch von 20 bis 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vielen fehlt damit ein Viertel, manchen sogar die Hälfte ihrer Einnahmen. April und Mai gehören nun mal zu den wichtigsten Verkaufsmonaten im Frühjahr und die dadurch entstandenen Defizite können wir nicht mehr reinholen. Hinzu kommt das Kaufverhalten der Kunden, welches sich in dieser Phase verändert hat. Die Menschen kommen zwar wieder verstärkt in die Geschäfte, kaufen aber zurückhaltender ein.
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Schöll: Viele Entscheidungen aus der Politik waren in den letzten Monaten nicht nachvollziehbar, nicht verhältnismäßig. Ich denke da etwa an das Öffnungsverbot für Geschäfte mit einer Ladenfläche von über 800 Quadratmetern oder auch die mangelnde Definition von Großveranstaltungen. Hier muss ich die Politik klar angreifen. Es ist schade, dass ein Herr Söder oder ein Herr Aiwanger nicht mal jetzt erkennen, dass dort Fehler gemacht wurden. Das war alles ein bisschen schwach. Hier sonnt man sich noch immer im Schein des Eigenlobs. Und ich glaube, dass noch weitreichende existentielle Schäden auf viele Menschen zukommen werden, die im Nachhinein viele Maßnahmen in Frage stellen werden. Viele Politiker leben leider fernab der Realität.
Schöll: Also was die Bundesregierung genau damit bezwecken möchte, ist mir nicht ganz klar. Die Senkung für ein halbes Jahr ist schlichtweg Blödsinn. In erster Linie bedeutet die Senkung für den Handel einen Haufen Arbeit. Mehr Aufwand für die Buchhaltung, die Kassensysteme müssen alle umgestellt werden, damit auf dem Kassenzettel alles richtig abgedruckt wird. Im Übrigen, und das wissen die wenigsten, handelt es sich bei den wegfallenden drei Prozentpunkten tatsächlich nur um 2,52 Prozent des Verkaufspreises. Die Ersparnis fällt für den Kunden also geringer aus, als vermutet.
Schöll: Ich bin mir da nicht so sicher. Kaufe ich mir einen Schokoriegel für einen Euro, ist dieser ab Juli zwei Cent günstiger. Kaufe ich ein paar Schuhe für hundert Euro, spare ich mir 2,52 Euro. Alles schön und gut. Aber bewirkt das in Summe, dass der Kunde dadurch wirklich mehr kaufen wird? Das glaube ich persönlich nicht. Anders sieht es natürlich bei großen Anschaffungen aus. Die Ersparnis bei einem Porsche für 200 000 Euro ist dann erheblicher. Der Anreiz, das allgemeine Konsumverhalten anzukurbeln, wird dennoch eher verpuffen. Die Politik müsste hier andere Maßnahmen ergreifen.
Schöll: Wenn schon Senkung, dann müsste die Mehrwertsteuer dauerhaft und nicht nur für ein halbes Jahr gesenkt werden. Noch hilfreicher wäre aber, die Einkommenssteuer grundsätzlich zu vereinfachen. Dadurch könnten die Menschen dauerhaft mehr in der Tasche haben und den Handel damit auch wieder mehr unterstützen.
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Schöll: Letztlich entscheidet der Verkäufer, ob er den Erlass an die Kunden weitergibt, oder ob er selber davon profitiert. Entweder er passt die Preise für die Kunden an, oder er belässt es dabei und erhält letztlich selbst etwas mehr vom Verkaufspreis. Das ist jedem selber überlassen. Wenn ich mich hier in der Branche umhöre, dann vernehme ich, dass sich beide Lager ungefähr die Waage halten. Vermutlich mit einem kleinen Übergewicht derer, die die Mehrwertsteuersenkung an ihre Kunden weitergeben wollen.
Schöll: Nein. Händler mit elektronischen Produktetiketten können beispielsweise sehr flexibel reagieren, die Ware selbst ist hierbei nicht ausgepreist. Andere Händler können oder müssen darauf erstmal gar nicht reagieren und die Preisschilder auch einfach gleichbleibend lassen. Entscheidend ist, wie an der Kasse abgerechnet wird. Wir haben beispielsweise 12 000 Paar Schuhe auf Lager; die kann ich jetzt nicht alle neu auszeichnen. Ich ändere die Etiketten deshalb nicht und wenn der Kunde nach dem neuen Mehrwertsteuersatz fragt, erlasse ich ihm die Reduzierung selbstverständlich. Ansonsten hat es auch der gebeutelte Handel verdient, mal einen Euro mehr zu verdienen.
Schöll: Angenommen, wir verkaufen am 25. Juni einen Schuh mit 19 Prozent Mehrwertsteuer, der Kunde bringt diesen aber am 3. Juli wieder zurück. Wie verbuche ich das dann? Hier entstehen neue Fragen und ein Graubereich, der noch geklärt werden muss. Hinzu werden viele leidige Diskussionen kommen, da viele Kunden die neue Regelung nicht richtig verstehen und sich dann vermutlich beim Händler beschweren werden. Die Umstellung der Mehrwertsteuer ist einfach mit viel viel Arbeit verbunden. Und diesen Aufwand ist es nicht wert. Der Konsum soll angekurbelt werden? Das wird so nicht funktionieren, es wird nicht mehr gekauft.
Vorneweg, selbstverständlich kann ein Selbstständiger sein Geschäft führen, wie er will.
Aber ich wundere mich schon, wie verdreht manche Denkmuster sind. Die Wirtschaft hat, bedingt durch Corona, einen Umsatzrückgang. Mit Lockerung der Einschränkungen eröffnet die Politik dem Einzelhandel die Möglichkeit, den Umsatz wieder zu steigern (dabei wird auf Steuereinnahmen verzichtet, dies ist also eine Bereicherung an der Allgemeinheit). Diese Möglichkeit bedeutet -so von der Politik gedacht- Mehrarbeit und Mehrumsatz für den Einzelhandel und Konsumsteigerung bei den Kunden. Scheut der Einzelhandel die Mehrarbeit und wird der Preisvorteil nicht an die Kunden weiter gegeben, wird selbstverständlich der Umsatz nicht gesteigert, dann muss man aber auch nicht schreien, dass die Politik zu wenig tut.
Mehr als Jammern macht "die Politik" schon.
Tipp: Von Nix kommt nix! und: Ja, mein nächstes Paar Schuhe kaufe ich bei ... das ist meine freie Wahl.