Die Schweinfurter Autoren Gruppe SAG hatte sich für ihre diesjährige Gals das Thema „Fremd und vertraut“ gewählt und literarisch verarbeitet. Am „Ariadnefaden“ entlang moderierte Johanna Bonengel den gut besuchten Literaturabend in der Disharmonie; musikalische Brücken zu den einzelnen Autoren-Interpreten wurden von dem Schonunger Akkordeonvirtuosen Timo Wirth geschlagen.
Nachdem Timo Wirth mit dem kubistisch anmutendem Stück „Manualiter“ des polnischen Komponisten Krzysztof Olczak eröffnet hatte, leitete Moderatorin Bonengel mit dem Gedanken, wie leicht einem „das Fremde vertraut und das Vertraute fremd werden“ könne, über zur Neurologin und Autorin Linde Unrein, die in ihrem Prosatext „Das Ei, die Amsel und der Medizinmann“ auf ironisch-lakonische Weise das Tier-Menschkontinuum am Beispiel einer Amsel erkundet, die in einer ihr fremden Kartonwelt brütet; am Ende umschleicht ein Marder die Brut und einige müssen Federn lassen.
SAG-Gründungsmitglied Hans-Jürgen Heimrich verarbeitet in seinem Erinnerungstext „Vertraut und doch fremd“ autobiografisches Material aus seiner einstigen thüringischen Heimat während der Phase der Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft in den 1960ern, viele Bauern flohen deshalb in die BRD. Dem Thema Flucht widmet sich ebenso der Schriftsteller Hanns Peter Zwißler (SAG Mitbegründer, Mitglied im deutschen Schriftstellerverband). Den Titel seiner kurzen Erzählung „Das Floß der Medusa“, hat er dem Gemälde des französischen Romantikers Théodore Géricault entlehnt, das die Szene eines Schiffbruchs darstellt. Prägnant beschreibt der Autor, wie ein Schiffbrüchiger mit Schwimmweste im Meer treibt, die Insel Lampedusa in Sichtweite, da nähert sich ihm ein Floß mit afrikanischen Flüchtlingen, „schwarze Gliedmaßen“ hängen schlaff heraus…doch aus seiner salzigen Kehle bringt er keinen Hilferuf hervor, so treibt das Floß davon… In der Short-Short-Story „Besuch einer Fremden“ von Martina Müller-Wagner bittet eine fremde, hagere Frau um nichts anderes, als einen Schlafplatz für eine Nacht; die Angesprochene fühlt sich unbehaglich bei dem Gedanken, bietet dagegen Nahrung an und möchte der Situation dadurch rasch entkommen.
Bei seinen musikalischen Intermezzi zwischen den Textvorträgen ringt der vielfach prämierte Timo Wirth (der tatsächlich auch Ringen im griechisch-römischen Stil betreibt) nahezu mit seinem Sabbatini-Akkordeon, er wringt die seltsamsten Töne und zoologische Laute heraus und erweist dadurch seine beeindruckende Meisterschaft auf dem Instrument. Peter Hub, bekannt als Schauspieler und Rezitator, gibt mit in seinem Prosastück „Sie“ einen schwindelnden Blick in „Abgründe der Gefühle“ frei; ein verkorkster „süßer Trauerkloß“ verzehrt sich in seiner ekstatischen Liebe zu einer launig-lustvollen „Hure“ ?– tragisch befreit er sich daraus, indem er die Geliebte mit einem „massiven Aschenbecher“ erschlägt. Die makabre Thematik des Textbeitrags von Peter Hub überdeckt dabei nicht dessen literarische Qualitäten.
Die jüngste der SAG-Gruppe, Anika Peter, hat als Poetry-Slammerin Bühnenerfahrung gesammelt, die Ich-Protagonistin in „Beste Freunde“ bekommt – vor dem Spiegel stehend – ihr Fett weg, später tritt sie noch einmal mit „Das tote Kind…“ hervor, dabei kommt sie kurz ins Stocken, zückt cool den Text aus der Hosentasche und macht unverdrossen weiter. Nach der Pause erörtert der unlängst mit einem Marburger Kurzdramenpreis ausgezeichnete Günter Hein in einem ironisch-satirischen Disput zwischen einem Historiker, einer Muslimin und einer Nonne, was den „Muslimen fehlt“, dabei werden nicht nur Zweifel an der „Unfehlbarkeit des Papstes“, sondern ebenso an der „unbefleckte Empfängnis“ wach. Renate Eckert, Ex-Journalistin und einstige Pressereferentin, las eine Passage aus ihrem Buch „Novemberfeuer“; die literarische Figur Bertram trifft auf seine Ex-Frau Franziska, die nach der Trennung merklich an Souveränität und dadurch für ihn an Anziehung gewonnen hat…so leicht klappt es mit der Rückeroberung aber nicht.
Poetry-Slam-Initiator und Autor Manfred Manger lässt es „zwischenmenschlich dämmern“ …er ruft: „lasst uns“ – bei all den Konflikten – die „Stopptaste drücken“, denn “Morgenland und Abendland sind wie ein Tag“. Bei ihrem gewählten Thema „Fremd und vertraut“ zeigte die Mehrzahl der SAG-Autoren eine ehr naturalistische textliche Umsetzung, anders wie bei „L?art pour l?art“. Das erinnert an die engagierte Literatur der 1970/80er – angesichts der Brisanz von Terror, Rechtspopulismus, Massenflucht und Mainstream ist das aber durchaus wieder eine Option. Andreas Helmerich