zurück
SCHWEINFURT
Aus der Mitte entspringt ein Redefluss
Unsere Mütter, unsere Väter: Um die Härten der Herkunft ging es unter anderem bei Ben Bögelein, Gewinner der Dichterschlachtschüssel 2013.
Foto: Uwe Eichler | Unsere Mütter, unsere Väter: Um die Härten der Herkunft ging es unter anderem bei Ben Bögelein, Gewinner der Dichterschlachtschüssel 2013.
Von unserem Mitarbeiter Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 02.07.2013 17:03 Uhr

Flüsse sind wie Väter: Selbst immer irgendwie auf der Durchreise, ziehen sie ihren Kindern doch Grenzen. Die üblichen Grenzen waren einen Abend lang „im Fluss“ bei der 19. Dichterschlachtschüssel, als Open Air auf der Mainbühne. Geboten wurden harte Biografien und vielschichtige Persönlichkeiten, die Sprache war oft rau, zum Takt ratternder Güter-Züge.

Zum Auftakt des Poesiewettbewerbs gab es optimistische Reime für die „Freunde des Weltuntergangs“, von Moderator Manfred Manger selbst. Bevor der Poetry Slam, zu Klängen der DJ's von „Culture :star: Epic“ mit schwerer Gedankenfracht losflößte, hinein in Stromschnellen der Gefühle. Eine T-Shirt-Karte von Litauen und englische Reime über „konfuse, kreative und kuriose“ Mitmenschen hatte „featured artist“ Tatjana Evgrafova aus Schweinfurt dabei: Für manche Amerikaner ist ihr Heimatland nicht existent oder wandert frei auf der Weltkarte.

Dann der Slam. „Ich will den Director's Cut, die Special Extended Version“: Jonathan Baumgärtner hätte große Ansprüche ans Leben, der aus Wipfeld stammende „Local“ versumpfte stattdessen bei schwarmintelligenten Disco-Besuchern. Um gestresste Menschenlawinen ging es beim Nürnberger Julian Kalks: „Arbeit-schlafen-Mallorca-Arbeit-schlafen-Burnout“ kann es nicht sein. Luise Frentzel aus Gera befasste sich mit totaler Einsamkeit nach einer Drogenkarriere. „Nazis, nein, nicht raus. Bleibt zuhause!“ Marco Chiu, alias „Vorwiegendinmoll“, stellte sich einer deutsch-chinesischen Pigmentstörung ebenso wie einem Rudel Nazis/Verfassungsschützer: Die Faschos werden vom Bremer mittels geistiger Kampfkunst in die Flucht geschlagen, als eine Art Mischung aus Jackie Chan und Schopenhauer.

„Masha denkt, Sex ist Liebe machen“: Schön rotzig ging es bei der Leipzigerin Linn Penelope um Teenagerinnen auf Suche nach emotionaler Süße, aber, „Die letzte Mandel schmeckt immer bitter.“ Nach einem Zwischenplädoyer von Mehrfachsieger Felix Kaden für den Berufsstand des Dichters, dann die Lebensbeichte von Ben Bögelein: „Morgens Lehrer, abends voller“, hieß es in der Schule, wo schon mal Stühle flogen. Wer kann mit makellosem Lebenslauf glänzen, wenn er mit dem Suizid vom Vater konfrontiert wurde? Vom Schalk geritten zeigte sich Steuerberater „Aida“: Der verschmitzte Erfurter „Tanzbär“ hatte sogar ne Freundin - nur leider geriet ihr Beschützer nachts in Panik und zweckentfremdete die Kleine als Wurfgeschoss. Fast so provokant wie im Original: Marie Theres Schwinn, Berliner Schauspielerin, verlas einen brennenden Monolog von Pfarrertochter und Dichterin Gudrun Ensslin auf dem Weg ins Totenreich. „Ich bin umsonst gestorben, aber ich wusste wenigstens wofür!“ hadert die RAF-Terroristin im Hades.

Sebastian Butte (Bremen) versucht im Raum A13 einem Sponsor das Konzept Poetry Slam schmackhaft zu machen. In sowas Massenuntaugliches Geld investieren? „Kein Publikum, keine mediale Stoßkraft.“ Der Heidelberger Daniel Wagner dichtete Fußgängerzonen-Werbesprüche für die schrecklich unkreative NPD: wenn sich hier schon Friseure, Barbesitzer und demnächst Dönerbuden austoben dürfen, a la „Hairforce One“, „Kaiserschnitt“, „Bar Racuda“ oder „Dönerwetter“. Die Fans schicken Luise, Vorwiegendinmoll, Ben und Daniel ins Finale, das per Porzellanschweinchen-Wertung entscheiden wird. Über Anmachsprüche darf sich die Poetin aufregen, so sehr, dass sie zuletzt sogar den Mann ihrer Träume aufschlitzt (dafür gab's die Bronze-Schlachtschüssel). „Einmannrandgruppe“ Marco Chiu ist zwischen Reis und Sauerkraut hin und hergerissen: da bleibt nur, auf faule Griechen zu schimpfen – Platz 4. Ben Bögelein dichtet wenig Nettes über Frauen, manche sind wie Kürbisjoghurt mit ganzen Früchten oder greifen gleich zur Urinierhilfe. Bevor sich Daniel Wagner über ekle deutsche Ortsnamen aufregt, von Darmstadt bis Eiterbach, und jugendliches Dummsprech gleich noch dazu: Silber. Am Ende siegt Ben Bögelein knapp, ganz ruppig-empfindsamer „Underdog“- während sich im vom Publikum gefüllten Bronzekübel immerhin Nüsschen, Handgel und eine Bibel finden.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Arthur Schopenhauer
Biografien
Gudrun Ensslin
Jackie Chan
NPD
Nationalsozialisten
Poetry Slam
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top