Es war ein etwas anderer historischer Stammtisch, den der Ortsgeschichtliche Arbeitskreis da veranstaltete. Diesmal hieß es nicht für die eigenen Bürger "in Erinnerungen zu schwelgen", sondern an den Erinnerungen anderer teilzuhaben.
Seit 44 Jahren unterhält die evangelische Kirchengemeinde eine Partnerschaft mit Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Anlässlich der Teilung Deutschlands vor 70 und des Mauerfalls vor 30 Jahren, waren Gäste aus Parchim eingeladen worden. Manfred Arndt, damals dort Internist und Stadtrat, erzählte, wie das war, in der Zeit von September 1989 bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990. Knapp 50 Gäste waren gekommen und man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so aufmerksam und konzentriert lauschten sie den Erzählungen einer friedlichen Revolution. Es waren vor allem die Geschichten in der Geschichte, die Arndt eingebettet in Jahreszahlen und historische Ereignisse präsentierte und die die Zuhörer fesselten.
Er erzählte von der ersten Demonstration am 15. Oktober mit 1000 Menschen, am Tag darauf waren es bereits 5000 und am 4. November 10 000. "Wir wollten freie Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit und die Abschaffung des wehrkundlichen Unterrichts", erzählte Arndt. An eine Wiedervereinigung habe damals keiner gedacht oder geglaubt. Ziel war "eine Demokratisierung des Sozialismus". Arndt saß mit Mitstreitern aus dem Neuen Forum zusammen, als am 9. November die Nachricht über die Grenzöffnung verbreitet wurde. Keiner konnte es so recht glauben, berichtete er, aber die ersten Parchimer fuhren los an die Grenze und rüber nach Hamburg. Bis auf einen waren sie alle am nächsten Morgen zurück und gingen zur Arbeit.
Im Keller Akten verbrannt
Er erzählte, wie 150 Leute vor der Stasi-Kreiszentrale standen, um die Akten zu sichern. Nach Stunden durften zehn von ihnen rein. "Da war uns schon ein bisschen mulmig." Dort hieß es wieder stundenlang warten, während sie sich mit einem Stabsoffizier unterhielten. "Das waren intelligente und geschulte Leute", erzählte Arndt. Was die Demonstranten damals nicht merkten, im Keller der Zentrale wurden die Akten bereits verbrannt. "Die haben gefeuert, auf Teufel komm raus."
"Das alles war nicht ohne", erklärte Elke Arndt. "Unser Sohn war damals Abiturient und jede Aktivität wurde dem Schulleiter gemeldet. Es war "eine emotionale Zeit", betonte sie. Auf die Frage ob man denn die inoffiziellen Mitarbeiter (IM), der Stasis gekannt habe, meinte Arndt: "Die, die am freundlichsten waren und gut mit Menschen konnten, waren am gefährlichsten."
Mit Helge Krüger war auch ein Republikflüchtling anwesend, der ein Jahr und zehn Monate im Gefängnis saß und später für 96 000 DM von der Bundesrepublik freigekauft wurde, nachdem seine Ausreiseanträge immer wieder abgeschmettert wurden. "Früh kam der Bürgermeister, ich packte Koffer und abends saß ich im Zug nach Westen", erzählte er. Die Folgen seiner Republikflucht spürte nicht nur er, sein Schwager durfte nicht mehr zur Jagd, sein Bruder wurde aus dem Nationalkader der Boxer rausgeschmissen.
Dass die Revolution gelungen und friedlich geblieben sei, so Arndt, sei wohl nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass sie fast zeitgleich im ganzen Land ausbrach. Bis zur Volkskammerwahl im März 1990 aber sei die Aufbruchsstimmung und Euphorie des Herbstes schon "fast vorbei" gewesen, meinte Arndt. Das machte er unter anderem am Erfolg der PDS fest, die landesweit auf rund 15 Prozent der Stimmen kam. "Das war eins zu eins die alte SED", bekräftigte er.