Seit 15 Jahren verleiht die Erich-und-Erna-Kronauer-Stiftung ihren gleichnamigen Preis in der Rathausdiele, der feinsten Stube der Stadt, an Historiker und Publizisten. Erst jetzt, anlässlich der achten Preisverleihung an den Historiker Dr. Stefan Scheil am Samstag, machen SPD, Gewerkschafter und die Initiative „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ mobil gegen den Preis und die Stiftung. Der Vorwurf: Die Stiftung zeichne einzig Geschichtsrevisionisten aus, deren Ziel es sei, die Schuld Nazideutschlands am Zweiten Weltkrieg zu leugnen oder zu relativieren, indem Nazi-Gräuel gegen andere aufgerechnet werden.
„Schweinfurt gegen Geschichtsverfälschung – kein Preis für Ewiggestrige“. Unter diesem Titel stand die Veranstaltung am Montagabend in der mit rund 250 Zuhörern voll besetzten Rathausdiele. Dem diesjährigen Preisträger Scheil warf die SPD-Kreisvorsitzende Kathi Petersen vor, er verharmlose die Schuld der Nazis, indem er behaupte, nicht Hitler habe den Zweiten Weltkrieg gewollt, sondern er sei mehr oder weniger von den Westmächten und Polen hineingedrängt worden. Ziel sei es, aufzuklären über den Revisionismus, der die historische Wahrheit leugne.
Die SPD hat ja einen Antrag an Oberbürgermeister Sebastian Remelé gestellt, der Kronauer-Stiftung die Rathausdiele für ihre Preisvergabe nicht mehr zu überlassen. Dies wies der OB bei seinem Grußwort zurück und führte rechtliche Gründe an. Diese sei gewidmet und müsse Schweinfurter Vereinen für „Veranstaltungen kultureller Art“ zur Verfügung gestellt werden. Er betonte aber, dass es aus seiner Sicht am verbrecherischen Wesen des Dritten Reiches keine Zweifel gebe und auch nicht der „alleinigen Kriegsschuld Hitlers“. Remelé wird bei der Preisverleihung ein Grußwort sprechen.
Auf Remelés Bemerkung, dass von dem designierten Preisträger bisher keine rechtlich bedenklichen Äußerungen bekannt seien und die Freiheit der Meinung zu respektieren sei, sagte der Hauptredner, Professor Wolfgang Benz: „Bezüglich der Meinungsfreiheit bin ich völlig solidarisch mit dem Oberbürgermeister, es geht hier aber nicht um Strafbarkeit, sondern um die Betrachtung der historischen Tatsachen.“ Scheil berücksichtige und zitiere in seinen Werken und Aufsätzen nur, was seinen Thesen entspreche.
Dass Hitlers Überfall auf Polen der Beginn eines Präventivkrieges gewesen sei, sei eine „absurde These“, so Benz, bis 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Die Einkreisung Deutschlands, das ein Opfer des Machtkalküls der Westmächte und Polens gewesen sei – für Benz eine Legende. Das Bedürfnis nach einem patriotischen Geschichtsbild habe in nationalkonservativen Kreisen Jahrzehnte überdauert, so Benz. Und: „Scheils Metier ist die Spekulation im Gewand der Geschichtsphilosophie.“ Er publiziere in Gazetten der Rechten wie „Junge Freiheit“ und „Sezession“. Benz Fazit: Den rechtskonservativen Revisionisten gehe es nicht um historische Wahrheit und Geschichtswissenschaft, sondern um die Etablierung einer neuen Weltsicht, um „Ideologieproduktion“.
- Stefan Scheil nimmt Stellung. Hier seine Erklärung im Wortlaut:
Richtig deutlich wurde Dr. Alexander Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und Sprecher von „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“. Dass in Schweinfurt seit über einem Jahrzehnt mit Billigung der Stadtspitze durch Grußworte durch die Kronauer-Stiftung „ganz offen Geschichtsfälschung“ gefördert werde, sei „für den Betrachter von außen ein überraschender Skandal“.
Nicht der diesjährige Preisträger sei das Problem, „sondern der Preis selbst und seine offen ausgesprochene revisionistische Zielrichtung“. Die Kronauer-Stiftung unterstelle, dass die deutschen Zeithistoriker in ihrer Mehrheit ein falsches Geschichtsbild zeichneten, das „den Deutschen“ Unrecht tue und ihnen einseitig Schuld auflade. Die Zeithistoriker täten dies, so lege es die Stiftung nahe, weil sie es bequem haben wollten, einem „Mainstream“ folgten oder es nicht wagten, einer – von wem auch immer verordneten – „Political Correctness“ kritisch zu widersprechen. Scheil und die anderen Preisträger stellten sich demgegenüber als Kämpfer für die eigentliche Wahrheit dar, mutig und unbeirrt, verfolgt und missachtet von der übrigen Wissenschaft.
Schuld am Zweiten Weltkrieg sind, so Schmidt, in den Augen der Revisionisten immer und hauptsächlich „die anderen“. Als herausragendes Beispiel für diese abstruse Sichtweise benennt er den „eigentliche Mentor und Ideengeber für den Historikerpreis, Professor Ernst Nolte“, der mit einer bizarren These zum Holocaust den Historikerstreit in den 1980er-Jahren mit ausgelöst habe: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ,asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potenzielle oder wirkliche Opfer einer ,asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ,Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz?“
Das Nolte-Zitat bezeichne die Nazi-Verbrechen skandalöserweise als „asiatisch“, gestehe den Nazis ein Bedrohungsgefühl zu und sehe Auschwitz als Folge des Gulag, so Schmidt. Dies in Frageform, mit einem „vielleicht“ dazwischen – man werde ja noch fragen dürfen. So funktioniere die Verdrehung geschichtlicher Fakten, würden Naziverbrechen kleingeredet, relativiert und die Schuld anderen zugeschoben.
Scharf kritisierte Schmidt Äußerungen der Ex-Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser aus ihrer „Tischrede“ zur letzten Verleihung des Preises 2012 an den Mitinitiator und Nolte, der sich „den mit 10 000 Euro dotierten Preis sozusagen selbst für sein Lebenswerk“ verliehen habe. Grieser damals: „Ich teile nahtlos die Einschätzung des heutigen Laudators über den Zustand der ,Freiheit‘ in unserem Land. Nach über zwei Jahrzehnten im öffentlichen Leben kenne ich zur Genüge die Zwänge der political correctness. Heute, während seiner Rede, habe ich mich seit langem wieder einmal ,frei‘ gefühlt!“
Der Laudator Professor Günther Scholdt habe „in bekannter Weise Ernst Nolte als verkannten Kämpfer für Freiheit und Wissenschaft“ gefeiert und seine Kritiker als Zensoren und Vernichter der Meinungsfreiheit diffamiert. Das sei traurig und schade dem Ruf Schweinfurts, so Schmidt. Und: „Wirklich frei darf sich derjenige fühlen, der zu dieser Szene Abstand hält. Ein Oberbürgermeister hat in diesem ewig gestrigen Hinterzimmer nichts verloren.“ Die 250 Zuhörer spendeten frenetischen Applaus für die klaren Worte.
Zuvor hatte der Gewerkschafter Robert Günthner vor rechten Ideologen in Bayern gewarnt und eine offene Gesellschaft gefordert.