zurück
Schweinfurt
Auf den Spuren von Humphrey Potter und der Feuerbüchse
Das war schon Watt: Auf Gerd Otts Schautisch erwacht die Dampfmaschinenwelt zu neuem Leben, hier mit dem revolutionären Modell von James Watt.
Foto: Uwe Eichler | Das war schon Watt: Auf Gerd Otts Schautisch erwacht die Dampfmaschinenwelt zu neuem Leben, hier mit dem revolutionären Modell von James Watt.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 29.01.2023 03:00 Uhr

"Wat is en Dampfmaschin?" Unwillkürlich kommen einem Professor Bömmel und "Die Feuerzangenbowle" in den Sinn, beim Besuch im Miniaturwunderland von Gerd Ott. Der 91 Jahre alte Schweinfurter hat sich der Welt historischer Dampfmaschinen verschrieben, und baut sie im Miniformat nach. Es zischt, tutet, pfeift, klappert und glänzt im Wohnzimmer.

Wer die "Großväter" heutiger Motoren mit staunenden Kinderaugen sieht, der versteht sie vielleicht sogar am besten. 1713 wollte der englische Kinderarbeiter Humphrey Potter lieber spielen, statt eine Dampfmaschine zu beaufsichtigen. Der Junge sollte Hähne öffnen und schließen, um den Zustrom von Kühlwasser zu regeln. Kurzerhand befestigte er Schnüre am sich auf und ab bewegenden Querbalken, dem Balancier, und ließ die "Steam Engine" ihre Arbeit selber steuern.

Rotierender Fliehkraftregler

Die Anekdote vom "Harry Potter des Maschinenbaus" ist womöglich eine Legende. Fest steht, dass viel getüftelt wurde, seit den ersten Dampfmaschinen in der Antike: Der rotierende "Heronsball" oder "Archimedes´ Dampfkanone" brachten es nie zur Serienreife.

Bei "Wat is en Dampfmaschin" denkt man heutzutage an Watt. Gleich am Rand des Schautisches steht eine große Kolbenschieberin mit Schwungrad, wie sie James Watt 1769 nicht erfunden, aber revolutioniert hat. Durch den schottischen Erfinder wurden einige Verbesserungen eingebaut, etwa ein rotierender Fliehkraftregler, zwecks Beherrschung der Drehzahl. "Das Wort hat meine Urenkelin schon mit zwei Jahren gewusst", sagt Ott stolz.

Antriebsstangen und Transmissionsriemen

Watts Vorbild war Thomas Newcomen. Der barocke Newcomer aus England hatte schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts einfache Dampfmaschinen konstruiert, um Bergwerksstollen zu entwässern. Die Kraft kam aus der Kohle, die industrielle Revolution (und damit der Klimawandel) nahm so langsam Fahrt auf. Im Ottschen Wohnzimmer werden die Antriebsstangen und Transmissionsriemen CO2-neutral bewegt. "Meine Dampfmaschinen funktionieren mit Druckluft", sagt Ott, "aus Sauberkeitsgründen." Kleine Figuren zeigen das Größenverhältnis zwischen Mensch und Maschine. Ein Schmied hämmert ein Werkstück an einem Klopfer zurecht, mit cooler Elvis-Presley-Mütze.

Die Apparate sind allesamt Eigenbau, zum Heizen dient schon mal ein Feuertopf fürs Fondue: "Meine Bausätze, das war der Schrottplatz." Der gelernte KfZ-Elektriker hat lange in der Schweinfurter Industrie gearbeitet, bei Fichtel & Sachs etwa, kannte sich aus mit Bosch-Kältetechnik oder Autoradios. 1993 war er Gründungsmitglied des "Arbeitskreises Industriekultur". Als die Sand- und Kiesbaggerei Blum an der Mainlände abgerissen wurde, sollte der markante Greifer-Drehkran für die Nachwelt erhalten werden, was auch gelang.

"Ohne Flammrohr geht nichts"

Aus dem Wunsch, die Erinnerung an Technikgeschichte made in Schweinfurt wach zu halten, ist ein rühriges Museum entstanden an der Gutermann-Promenade. Dessen Leiter Wolfgang Rücknagel schaut an diesem Tag vorbei. Es darf ein bisschen gefachsimpelt werden, über die Vorläufer der Kugellager etwa oder das Heizen des Kessels: "Ohne Flammrohr geht nichts." Bewegliche Teile gibt es einige, geschmiert werden musste damals wie heute reichlich.

An der Mainlände ist auch Gerd Otts Interesse an Feuerbüchse und Fliehkraftregler entstanden. Bei der Sandverladung wurde in seiner Kindheit noch mit Dampfdruck gearbeitet: "Als Fünfjähriger war ich begeistert". Bis 1936 schnaubte die berühmte Meekuh den Fluss herauf, an der Kette, und zog Schleppverbände. Schon in jungen Jahren hat sich Ott ein kleines Modellschiff-Geschwader gebastelt. Bei Kriegsende barg der Teenager dann eine Spielzeug-Dampfmaschine aus einem Bombentrichter am Naturfreundehaus: "Mein Vater hat sie repariert." Das Feuer war entflammt. 1945 wurde das erste eigene Dampfschiff gebaut, aus Backformblech, die "Martha", benannt nach der Mutter. Später folgte ein ganzer Industriepark im Kleinen, ebenso manch Vorführung in der Schule.

Stirling-Motor selbst gebaut

Ein bis zwei Jahre Arbeit brauche es für eine Antriebsmaschine, erzählt Ott. Eine formschöne Dampflok hat Ott anhand von Skizzen nachgebaut, das Original steht im Museum in Luzern. Draußen im Garten gibt es noch einen Wagon nach dem Vorbild der Jungfraujochbahn, der auf Schienen durchs Grüne fährt, elektrisch. Besonders stolz ist der Tüftler auf seinen eigenhändig gelöteten Stirling-Motor. Die explosionssichere Maschine wurde schon 1816 erfunden, durch den schottischen Pfarrer Robert Stirling.

Das physikalische "Knoffhoff" dahinter ist nicht ganz einfach zu verstehen: "Aber es funktioniert". In einem Kolben wird Luft oder ein anderes Gas erhitzt, in diesem Fall mittels Spiritusbrenner, und bewegt sich im Apparat, im Wechselspiel von Abkühlung und Ausdehnung. Der saubere, leise Kleinmotor bietet mehr als "heiße Luft" und wird heute für Umwelttechnik oder in U-Booten eingesetzt. Ein wenig Eigenleben hat so eine Maschine schon. Ein Thüringer Fachmann habe ihm geraten, Edelstahl statt Kupfer für den Zylinder zu verwenden, erzählt Ott. Seitdem schnurrt der Stirling.

Aufbruch in eine neue Zeit: Das Dampfschiff 'Martha' war 1945 das Erstlingswerk Gerd Otts.
Foto: Uwe Eichler | Aufbruch in eine neue Zeit: Das Dampfschiff "Martha" war 1945 das Erstlingswerk Gerd Otts.
Millimeter-Arbeit am Klopfer.
Foto: Uwe Eichler | Millimeter-Arbeit am Klopfer.
Im Wohnzimmer Gerd Otts breitet sich die ganze Welt historischer Dampfmaschinen aus, von der Lok bis zur Bergwerkspumpe. Links vorne steht ein Stirling-Motor, mit Heißluftantrieb.
Foto: Uwe Eichler | Im Wohnzimmer Gerd Otts breitet sich die ganze Welt historischer Dampfmaschinen aus, von der Lok bis zur Bergwerkspumpe. Links vorne steht ein Stirling-Motor, mit Heißluftantrieb.
Ohne Schmieren läuft auch bei einer Modell-Dampfmaschine wenig.
Foto: Uwe Eichler | Ohne Schmieren läuft auch bei einer Modell-Dampfmaschine wenig.
Sein erstes Dampfmaschinen-Modell fand Gerd Ott in einem Schweinfurter Bombentrichter.
Foto: Uwe Eichler | Sein erstes Dampfmaschinen-Modell fand Gerd Ott in einem Schweinfurter Bombentrichter.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Uwe Eichler
Dampfmaschine
Drehzahl
Harry Potter
James Watt
Professoren
Wohnzimmer
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top