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SENNFELD
Auf der anderen Straßenseite wartet ein Stück Freiheit
Mara ist der Lieblingshund von Erika Isigkeit. Dreimal in der Woche fährt die 84-Jährige ins Schwebheimer Tierheim, um mit den Hunden Gassi zu gehen.
Foto: Anand Anders | Mara ist der Lieblingshund von Erika Isigkeit. Dreimal in der Woche fährt die 84-Jährige ins Schwebheimer Tierheim, um mit den Hunden Gassi zu gehen.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:14 Uhr

Mara kommt immer zuerst dran. Denn Mara ist eifersüchtig. Und wehe, wenn Erika Isigkeit doch einmal einen anderen Hund zuerst aus dem Zwinger holt. „Dann schreit sie unerträglich.“

Jeden Montag, Mittwoch und Freitag fährt die 84-Jährige von Schweinfurt nach Schwebheim ins Tierheim, um mit den Hunden Gassi zu gehen. Und das seit über 25 Jahren. Noch nie hat sie einen Tag ausgelassen, ob's regnet oder schneit. Die Hunde sind für sie das Wichtigste. Sie wurde zwar auch schon gebissen, aber „Erika ist eisenhart“, sagt Heide Kahlert, die fünf Jahre lang mir ihr gelaufen ist, aber aus gesundheitlichen Gründen heute keine Tierheimhunde mehr ausführen kann.

Auch die Katzen bekommen etwas Leckeres

Erika Isigkeit ist eine zuverlässige Institution für das Schwebheimer Tierheim. Pünktlich um 8.30 Uhr steht sie an den Gassi-Geher-Tagen vor der Tür. Zwei Stunden darf sie mit den Hunden raus. In der Regel schafft sie es, mit drei Hunden spazieren zu gehen. Ihr erster Weg an diesem Mittwoch führt aber zuerst einmal ins Katzengehege. Aus ihrer Jacke zieht sie ein Alufolienpäckchen, in dem sich Futter befindet. „Was meine Katzen nicht aufgefressen haben, bekommen die Tierheimkatzen.

“ Erika hat nämlich zwei Stubentiger zuhause – Afrika und Peter. Die Tierheimkatzen sind scheu, machen sich erst über die Leckereien her, wenn niemand mehr im Gehege ist.

Ganz anders die Hunde. Sie kommen sofort angerannt, springen am Zwinger hoch und bellen lautstark, wenn sie Erika sehen. „Hallo Daisy, ich komme später zu dir.“ Daisy ist ein Pensionshund und wartet auch darauf, ausgeführt zu werden. Aber gegen Mara hat der kleine Terrier keine Chance. Auch Tobi muss hintenan stehen. Er teilt sich seit zwei Wochen den Zwinger mit Mara – seit dem Tod von Sally. Die beiden siebenjährigen Schäferhund-Mischlinge waren zusammen ins Tierheim gekommen, weil ihre Besitzer zu alt waren und sich nicht mehr kümmern konnten. Sally hatte Krebs, ist jetzt gestorben. Deshalb durfte Tobi zu Mara in den Zwinger. Die beiden haben schon dicke Freundschaft geschlossen.

Die 84-Jährige hält jedes Tempo mit

Mara wedelt mit dem Schwanz, als die Tierpflegerin die Zwingertür öffnet. Es ist immer das gleiche Ritual. Zuerst wird das Geschirr angelegt, dann gibt es ein Leckerli und danach geht es los. Mara kennt den Weg: zur Tür hinaus, über den Eselspfad zur Bundesstraße, und auf der anderen Straßenseite wartet ein Stück Freiheit. „Ich laufe immer an den Feldern entlang“, sagt Erika. Hier haben die Hunde viel zu schnuppern, können an der langen Leine auch mal ein Stück rennen. Mara nutzt das gleich aus und spurtet voraus. Kein Problem für die 84-Jährige, trotzt ihres hohen Alters hält sie das Tempo mit. „So wie die Hunde marschieren, marschiere ich auch.“

„Ich war früher Turnerin und habe Achtkampf gemacht“, erklärt Erika stolz. Beruflich war die gebürtige Berlinerin bei der Hoechst AG in Frankfurt beschäftigt, privat kam sie durch ihren Schweinfurter Lebensgefährten in die Kugellagerstadt. Als sie 1990 in Vorruhestand ging und im gleichen Jahr ihr Lebensgefährte starb, suchte sie eine Aufgabe. „Um nicht in ein Loch zu fallen, bin ich ins Tierheim gegangen und habe Hunde ausgeführt“, erklärt Erika.

Und nicht nur das: Sie holte auch Futterspenden bei Firmen ab, kaufte mal eine neue Waschmaschine fürs Tierheim oder finanzierte die Überdachung des Katzengeheges. Und dann bringt sie natürlich jedes Mal Leckerli für die Hunde mit. In 25 Jahren kommt da ein ganz schönes Sümmchen zusammen. Aber für die Hunde ist Erika nichts zu teuer und nichts zu viel.

„Die Hunde halten mich fit“

Mara soll kurz mal für den Fotografen posieren und ein Stück des Weges zurücklaufen. Wie angewurzelt bleibt sie stehen, hat wohl Sorge, der Spaziergang könnte schon vorbei sein. Nur durch Zureden und mit Leckerli lässt sie sich überzeugen. „Wenn ich nur zwei Hunde ausführe, dann laufe ich die große Runde“, sagt die 84-Jährige. Dabei geht es über Stock und Stein oder auch mal durch Matsch. Erika ist schuh- und kleidertechnisch bestens ausgerüstet. „Die Hunde halten mich fit“, sagt sie lachend und legt gleich einen Zahn zu, weil Mara an der Leine zieht.

Mara ist ohne Zweifel Erikas Lieblingshund. Sie hat gehört, dass es einen Interessenten für die siebenjährige Hündin geben soll. „Das wäre schlimm für mich, wenn sie wegkommt.“ Fügt aber gleich hinzu: „Wenn es ein gutes Zuhause ist, dann könnte ich es akzeptieren.“ Erika Isigkeit hat schon viele Hunde kommen und gehen gesehen. Sie ist froh über jeden Hund, der ein neues Zuhause hat. Ben ist so ein Glückspilz. Der eineinhalbjährige Golden Retriever kam als Fundhund ins Schwebheimer Tierheim. Er war an einem Parkplatz ausgesetzt worden. Seit drei Wochen besucht ihn sein neues Frauchen und geht regelmäßig mit ihm Gassi. Bald darf sie ihn mitnehmen.

Tobi verlangt immer Streicheleinheiten

Ben ist noch ungestüm, und Tobi, mit dem Erika gerade die zweite Gassi-Runde dreht, weicht erst einmal zurück. Tobi ist seit drei Wochen im Tierheim. Ein süßer, brauner Mischling, so richtig zum Knuddeln mit seinem rot-karierten Halstuch. „Am Anfang war er ganz ängstlich“, doch zu Erika hat er inzwischen Vertrauen gefasst. Immer wieder bleibt er mal stehen und verlangt Streicheleinheiten oder ein Leckerli.

Als Letzter ist Tacco dran. Der kleine Jack Russel hüpft schon ganz aufgeregt in seinem Zwinger herum. Er wurde von seinen Vorbesitzern misshandelt, man sieht es an seiner Schnauze. Hinten im Gehege warten noch Luis und Autum und Sancho, der Huskey. Sie werden von anderen Ehrenamtlichen ausgeführt. Etwa 25 Gassi-Geher kommen regelmäßig ins Tierheim, alle müssen vorab einen Gassi-Geher-Führerschein machen. Dazu bietet das Tierheim dreimal im Jahr Kurse an, die immer großes Interesse finden. Übrig bleiben am Ende aber doch nur wenig Ehrenamtliche, die danach regelmäßig zum Hundeausführen kommen. So ein Durchhaltevermögen wie Erika Isigkeit weiß das Tierheim deshalb zu schätzen und überrascht die 84-Jährige mit einem großen Blumenstrauß zum 25-Jährigen. Und sie verspricht: „Solange mir der liebe Gott Gesundheit schenkt, gehe ich auch weiterhin ins Tierheim.“

„Solange mir der liebe Gott Gesundheit schenkt, gehe ich auch weiterhin ins Tierheim.“
Erika Isigkeit geht seit 25 Jahren mit Tierheim-Hunden Gassi
Tobi ist erst seit drei Wochen im Schwebheimer Tierheim und noch etwas scheu. Zu Erika Isigkeit hat der Mischling schon Vertrauen gefasst.
Foto: Anand Anders | Tobi ist erst seit drei Wochen im Schwebheimer Tierheim und noch etwas scheu. Zu Erika Isigkeit hat der Mischling schon Vertrauen gefasst.
Mara kennt den Weg – dreimal in der Woche wird die Tierheimhündin von Erika Isigkeit ausgeführt.
Foto: Anand Anders | Mara kennt den Weg – dreimal in der Woche wird die Tierheimhündin von Erika Isigkeit ausgeführt.
Streicheleinheiten: Tobi lässt sich gerne von Erika Isigkeit graulen.
Foto: Anand Anders | Streicheleinheiten: Tobi lässt sich gerne von Erika Isigkeit graulen.
 
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