Die Autorin Asta Scheib, bekannt als kenntnisreiche und stilsichere Spezialistin für historische Biografien, darunter Ottilie von Faber-Castell, Katharina von Bora oder Lena Christ, zeichnet in ihrem neuen Roman den Lebensweg von Carl Spitzweg nach. Und enthüllt dabei bislang völlig unbekannte Seiten des vielen als eher verschroben und harmlos geltenden Künstlers. Im Rahmen der großen Spitzweg-Ausstellung liest sie am Donnerstag, 8. Mai, um 19 Uhr im Museum Georg Schäfer aus „Sonntag in meinem Herzen“.
Asta Scheib: Das kann sehr gut sein. Dennoch bin ich erstaunt, weil die meisten Menschen mit Spitzweg eher den Biedermeier-Maler mit seinen verschrobenen Figuren und dem kleinen Glück im Winkel verbinden. In einer Ausstellung 1986/1987 im Haus der Kunst in München wurde Spitzweg mit den Karikaturisten seiner Zeit gespiegelt, die damals schon weltberühmt waren. Da habe ich gedacht: Wo ist denn jetzt der verschrobene Hagestolz? Da sah ich plötzlich Satire, Zeitkritik. Ich habe dann beschlossen, diesen Maler zu rehabilitieren. Leute wie Daumier, Doré, Gavarni haben ganz neue Möglichkeiten aufgezeigt, und an denen hat sich Spitzweg sehr orientiert. Ich kenne ja auch seine Zeichnungen, und ich weiß nicht, was schöner ist: seine Gemälde oder seine Zeichnungen.
Scheib: Clara Lechner hat es gegeben. Sie war seine Geliebte. Sie ist belegt bei Siegfried Wichmann, dem Spitzweg-Papst überhaupt. Vor zwei, drei Jahren konnte ich ihn noch befragen. Das muss eine sehr hübsche junge Frau gewesen sein, und man hat Spitzweg mit ihr in der Gesellschaft gesehen. Die beiden hätten mit Sicherheit geheiratet, aber sie starb sehr früh an der Schwindsucht, also TBC. Es war für ihn ganz entsetzlich, dass er ihr nicht helfen konnte. Damals wurden Apotheker ja nicht selten wie Ärzte angesehen. Das war lebenslang für ihn ein Malus. Nach ihrem Tod hat er sich ganz auf die Malerei geworfen. Selbstverständlich sind die Dialoge Fiktion, das Buch ist ja schließlich ein Roman und kein Sachbuch. Ich bin Schriftstellerin und nicht Wissenschaftlerin.
Scheib: Ihre erste Vermutung ist richtig. Es gibt ja von Goethe den – sinngemäßen – Satz „das Erfundene behauptet sich neben dem Gewesenen“. Umberto Eco sagt sogar, das Fiktive sei stärker als das Gewesene, weil es die eine Wahrheit ja auch nicht gibt. Wenn Sie 20 Kunsthistoriker lesen, haben Sie 20 Versionen von Spitzwegs Leben.
Scheib: Den stärksten Input habe ich durch die Briefe bekommen. Die sind in der Staatsbibliothek, und ich konnte sogar einige studieren, die noch nicht transkribiert sind. Spitzwegs Abgötter waren ja die beiden Neffen, die Söhne seines jüngeren Bruders, der in zweiter Ehe dann noch zwei Töchter hatte. Und diese Kinder waren auch Spitzwegs Kinder. Es hat allein an seinen jüngeren Bruder Hunderte von Briefen geschrieben. Alles, was ihm wichtig war, musste er dem Eduard schreiben. Einmal schreibt er über den älteren Bruder „Warum musste Simon so früh so weit weggehen?“ oder „Warum musstest Du nach Triest gehen?“ Welche Not hinter diesen dürren Worten steckt. Welch schlechte Luft im Elternhaus. Der Vater hat da, glaube ich, alles vergiftet.
Scheib: Ich glaube, das ist eher der Zeit geschuldet. Bei Lena Christ habe ich kein Wort erfunden. Die Brutalität der Mutter, die das uneheliche Kind als Schande für das eigene Ego angesehen hat, ist durch Zeugenaussagen vor Gericht belegt. Bei Spitzwegs Vater war das eine andere Ebene. Der war ein gebildeter Mann und hatte schon sehr viel von der Welt gesehen. Aber er war gefühlsarm, das kann man sagen. Und den Sohn, der ihm nicht gehorchte und ein Künstler werden wollte, den empfand er als Bedrohung für den guten Ruf der Familie.
Scheib: Genau das wollte Spitzweg ja sagen: Er wollte die Armee lächerlich machen und den Krieg. Ein Soldat stopft seine Unterhosen, ein anderer strickt – ich bitte Sie! Mehr kann man die Obrigkeit doch nicht lächerlich machen. Auf der anderen Seite hat Spitzweg sehr viel Geld gegeben, um Veteranen zu helfen.
Scheib: Das ist der größte Irrtum, dem man erliegen kann. Eine reine Lüge. Es ist belegt, dass Spitzweg die durch die Säkularisierung völlig verarmten Mönche und Nonnen unterstützt hat. Er war der großzügigste Mensch. Er hat ja auch seinen Malerkollegen immer wieder ausgeholfen, von denen viele in Armut lebten. Die Zigarrenkisten hatten einen ganz anderen Grund: Ihm hat das kleine Format gefallen, das hat er erfunden. Sie müssen sich vorstellen: In den Wohnungen hing alles voll mit Stoffen und Bildern, da war kaum mehr Platz an den Wänden. Auch so ein Irrtum, den man nicht in der Welt lassen kann. Immerhin ist Spitzweg inzwischen weltberühmt und der „Arme Poet“ Umfragen zufolge der Deutschen liebstes Bild.
Scheib: Das ist eine große Ehre für mich, dass ich vor dieser wunderbaren Sammlung lesen kann.
Karten im Vorverkauf für 8 (ermäßigt 6) Euro an der Museumskasse, an der Abendkasse 10 Euro (6 Euro).