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Geldersheim
Archäologische Grabung in Geldersheim findet Hinweise auf Siedlung der Merowinger-Zeit
Einblick in die Ursprünge von Geldersheim: Im Neubaugebiet sind Siedlungsspuren aus der Merowingerzeit aufgetaucht.
Foto: Uwe Eichler | Einblick in die Ursprünge von Geldersheim: Im Neubaugebiet sind Siedlungsspuren aus der Merowingerzeit aufgetaucht.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 23.04.2022 02:25 Uhr

Zu sehen gibt es wenig und zugleich viel – je nachdem, mit welchem Blick man die Ausgrabungsstätte am "Oberen Schweinfurter Weg III", dem künftigen Neubaugebiet, betrachtet. Grabungsleiter Michael Jaschek erkennt sehr viel in der dunkel verfärbten Erde, aus der Knochenreste ragen. Die Abfallgrube deutet auf eine alte, merowingerzeitliche Siedlung aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert nach Christus hin.

Erst 2013 hat der einstige Pfalzort Geldersheim Jubiläum gefeiert, 1250 Jahre nach der Ersterwähnung in einer Urkunde des Klosters Fulda. Im Jahr 763 galt das "Heim des Gelthari" schon als prosperierendes Zentrum der Gegend, dank fruchtbarem Lösserdeboden und guter Wegeanbindung.

Geldersheim älter als gedacht

"Geldersheim ist 100 bis 150 Jahre älter geworden", so deutet Experte Andreas Pross die jüngst gefundenen Knochen, Alltagsutensilien, Pfosten- und Keramikreste. Der Feldforscher leitet eine Bamberger Spezialfirma für archäologische Ausgrabungen, die im Auftrag des Landesdenkmalamts nach Relikten der Vergangenheit schürft. Bamberger und Würzburger Studenten helfen mit, ebenso der Bauhofbagger.

Elch-Schäufele: Knochen- und Geweihreste lassen darauf schließen, dass die Urgeldersheimer keine Vegetarier waren.
Foto: Uwe Eichler | Elch-Schäufele: Knochen- und Geweihreste lassen darauf schließen, dass die Urgeldersheimer keine Vegetarier waren.

Über die Merowinger weiß man wenig. Das älteste Kleinkönigsgeschlecht der Franken taucht am Wendepunkt der Spätantike zum Frühmittelalter auf, als nebulöse Vorgänger der Karolinger, die in Geldersheim mit einer gleichnamigen Straße verewigt sind. Thriller-Qualitäten hatte das Treiben der Wegbereiter von Karl dem Großen & Co in jedem Fall. Legendärer Stammvater war Merowech, der aus einer Begegnung seiner Mutter mit einem stierköpfigen Seeungeheuer entstanden sein soll.

Überreste von Tieren gefunden

Eine Wasserkreatur hat sich auch am Biegenbach verewigt. Ganz unten in einer Abfallgrube fand sich das Kieferfragment eines Bibers. In der Nähe nagen bis heute "Nachfahren". Der Überrest einer Elchschaufel weist Schnittspuren auf. Die Bewohner der Siedlung scheinen laut den Archäologen wohlhabend gewesen zu sein, mit viel Fleisch im Topf. "Vegetarier waren es keine", stellt Jaschek fest. Der Umriss eines Grabens deutet auf ein größeres, vermutlich strohgedecktes Haus hin. Darum herum befanden sich Gruben und kleine Nebenhütten, die teilweise als Grubenhaus im Boden versenkt waren, für die Vorratshaltung.

Ofenreste sind ebenfalls zum Vorschein gekommen. Außerdem Bröckelchen des Lehms, mit dem die Hüttenwände bestrichen waren. Gefunden wurden Nadeln und Spindelsteine oder "Wirteln", zum Verspinnen von Wolle mit einer Handspindel. Dazu gesellt sich Töpferware, entweder im Thüringer Stil oder "Mayener Ware", benannt nach einer Produktionsstätte im heutigen Rheinland-Pfalz. Laut den Fachleuten sind es typische Siedlungsfunde, die von Haushalt und Handwerk künden, in der Morgenröte des frühesten Mittelalters. "Ein Kamm ist an dieser Stelle schon ungewöhnlich", sagt Dr. Andreas Büttner. Der Vertreter des Landesdenkmalamts in Bamberg meint das Highlight der Funde, ein feinzinkiges, liebevoll verziertes Haarpflege-Accessoire, das vor Ort gefertigt worden sein muss.

Erinnerung an haarige Zeiten: Dieser schön gearbeitete Kamm kam ebenfalls zum Vorschein.
Foto: Uwe Eichler | Erinnerung an haarige Zeiten: Dieser schön gearbeitete Kamm kam ebenfalls zum Vorschein.

Was sich damals am Biegenbach ereignet hat, darüber kann nur spekuliert werden. Es war ungefähr die Zeit, als die wilden, langmähnigen Franken von Westen her das Reich der Thüringer aufrollten, die um 500 noch rund um Altschweinfurt siedelten. Ortsnamen wie Rannungen und Schonungen erinnern an die Ureinwohner, ebenso das Gräberfeld in Zeuzleben, das 1983 durch einen Landwirt entdeckt worden ist. Germanische Warlords durchstreiften nach dem Abgesang des Weströmischen Reichs die Lande. Streitaxt und Schwert saßen locker, neben Holzschild und Lanze. Andreas Pross spricht augenzwinkernd von "Game of Thrones". Antike Dichtkunst stand weiterhin in Ehren, so dass die blutigen Herrscherdramen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sein dürften.

531 wurden die Kämpfer des Thüringerkönigs Herminafried an der Unstrut geschlagen, die siegreichen Franken überquerten den Fluss (angeblich) über die Leiber der Erschlagenen hinweg. Überliefert ist das Klagelied der Königsnichte Radegunde, deren Familie nach und nach ausgelöscht worden ist – was den Poeten an das Schicksal der Trojaner erinnert hat: "Wie rasch stürzen stolze Reiche zu Boden! Lang sich hinziehende Dachfirste, die in Zeiten des Glücks da gestanden haben, liegen nun, durch die furchtbare Niederlage gebrochen, verbrannt am Boden. Die Halle, die vorher in königlichem Schmuck geprangt hatte, bedeckt jetzt an Stelle der gewölbten Decke, Trauer erregend, glühende Asche". Radegunde musste den Frankenkönig Chlothar ehelichen und wurde nach Nordfrankreich verschleppt. Die Zwangsverheiratete floh in ein Kloster und erhielt posthum den Rang einer Heiligen. Heute ist Radegunde die Schutzpatronin der Töpfer und Weber.

Die Funde am Ortsrand von Geldersheim deuten auf eine florierende Siedlung schon vor der Ersterwähnung im Jahr 763 hin.
Foto: Uwe Eichler | Die Funde am Ortsrand von Geldersheim deuten auf eine florierende Siedlung schon vor der Ersterwähnung im Jahr 763 hin.

Wann genau und warum "Urgeldersheim" im Acker versunken ist, weiß niemand. Fest steht, dass im Zweiten Weltkrieg Stabbrandbomben auf die Flur geregnet sind, deren Reste vor den Grabungen entfernt wurden. Dr. Büttner fürchtet heutzutage vor allem Raubgräber. Seine Botschaft: Jetzt, gegen Ende der Untersuchungen, ist für moderne fränkische Plünderer keine lohnende Beute mehr zu holen.

 
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