Nach der umfangreichen Beweisaufnahme und vielen Tagen Hauptverhandlung ist für den Staatsanwalt ist klar: Der Angeklagte hat sich in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt und damit als „Organ der Rechtspflege“ schamlos an vielen seiner Mandanten bereichert. Er hat Versicherungsleistungen nicht an sie ausgezahlt, sondern für sich selbst verbraucht; hat sie unrechtmäßig mit überhöhten Gebühren belastet, sie in Zivilklageverfahren gegen ihn getrieben, die weiteres Geld und Nerven kosteten. Er hat das Konto einer psychisch kranken Betreuten auf schamloseste Weise geplündert, sich von der Postbank ein 50.000-Euro-Darlehen mit falschen Angaben ergaunert und einen Einbruch in seine Praxis getürkt.
Das alles ist erwiesen – durch die Beweisaufnahme und das Geständnis des Ex-Anwalts. Die Kammer hat ihn längst rausgeschmissen. Für Betrug in 26 Fällen, versuchten Betrug in sechs Fällen sowie Vortäuschen einer Straftat soll Patrick S. (38), wenn es nach dem Staatsanwalt geht, fünf Jahre und drei Monate im Gefängnis sitzen. Auf 106.000 Euro – „netto, steuerfrei“ – summiere sich die Schadenssumme, die der Anwalt und seine Frau zwischen Frühjahr 2011 und Herbst 2012 verursachten. Dazu kämen laut Insolvenzverwalter weitere 156.000 Euro Schulden.
Wie die Verteidigung angesichts dieser Zahlen zu der Behauptung kommt, Patrick S. und seine mitangeklagte Ehefrau Tamara S. (27) hätten keineswegs in Saus und Braus, sondern recht normal gelebt, erschließt sich dem Anklagevertreter nicht. Wofür sie das viele Geld aus den Betrügereien ausgegeben haben, verraten die Angeklagten nicht.
Als dreiste Verzweiflungstat sieht der Anklagevertreter den vorgetäuschten Einbruch in die eigene Kanzlei im März 2012, als die Serveranlage kaputt und die finanzielle Lage bereits sehr mies gewesen sein müsse. Der Anwalt und die Gattin richteten nächtens ein rechtes Chaos an, warfen Akten durch die Gegend, zerkratzten die Tür – und meldeten morgens den Einbruch. Polizei wie die Versicherung glaubten erst mal dem Organ der Rechtspflege. „Für sie war es nicht vorstellbar, dass ein Rechtsanwalt einen Einbruch fingiert“, so der Staatsanwalt. Der alte Server wurde im See bei Sennfeld versenkt, die Versicherungssumme von rund 10 000 Euro kassiert, eine neue Serveranlage bestellt – und nicht bezahlt.
Dass der 38-Jährige mit der Andeutung, der Einbruch könne einen privaten Hintergrund haben, den Verdacht auch noch auf eine Ex-Freundin lenkt, ist für den Anklagevertreter im Grund schon eine weitere Straftat: falsche Verdächtigung. „Diese völlig unschuldige Frau hatte Glück, dass sie zu diesem Zeitpunkt im Ausland war, sonst wäre sie vielleicht verhaftet worden.“
Tamara S., gelernte Kinderpflegerin, „Büroleiterin“ in der Kanzlei des Gatten für 750 Euro brutto, hat unter anderem einen Mietvertrag über Büroräume abgeschlossen, aber die Miete nicht bezahlt – so wenig wie Tierarztrechnungen über knapp 500 Euro und den Hochzeitsfotografen für 1180 Euro. Unmittelbar vor seiner Hochzeit Ende 2012 hatte der Rechtsanwalt innerhalb weniger Tage 8000 Euro vom Konto der Betreuten geholt. Er brachte sie um alle Ersparnisse – über 17 000 Euro.
Die 27-jährige „Büroleiterin“ kennt allerlei üble Wörter. Einen Kriminalbeamten nannte sie „ungevögelt“ und „weniger als der letzte Dreck unter den Fingernägeln“, den Gerichtsvollzieher schmähte sie als „Idiot“ und „Arschloch“. Gegen sie beantragt der Staatsanwalt wegen vierfachen Betrugs, Beleidigung und Vortäuschen einer Straftat zwei Jahre Haft – ohne Bewährung. Beider Geständnisse seien zwar strafmildernd zu werten, von Reue und Schuldeinsicht seien sie nicht getragen, sondern von taktischen Erwägungen.
Neben der großen Kriminalität hat sich Ex-Rechtsanwalt Patrick S. im Bereich Ordnungswidrigkeiten rekordverdächtig bewegt: Bußgeldbescheide für rund 200 Parkverstöße im „Wert“ von rund 5283 Euro hat er, wie der Vorsitzende der Großen Strafkammer bekannt gab, nie bezahlt. Er habe, sagt er, „dieses Problem immer notorisch beiseite geschoben, um mich um die Probleme in der Kanzlei zu kümmern“. Anstelle der Bußgelder hat er bislang 140 Tage Erzwingungshaft abgesessen. Die Untersuchungshaft wurde dafür „unterbrochen“.
Am 26. Februar um 11 Uhr wird der Prozess fortgesetzt mit den Plädoyers der beiden Verteidiger.
Bei der Ausbildung hätte der Anwalt sicher auch ohne Betrug sein Auskommen haben können, nur die Gier war sicher größer als der Verstand und die Moral.