In einem anonymen Drohbrief werden alle 44 Schweinfurter Stadträte als Volksverräter verunglimpft und aufgefordert, das Land zu verlassen. Sollten sie dem nicht Folge leisten, wird ihnen unverhohlen gedroht: „Wir kriegen dich!, Auf unserer Liste stehen sie ganz oben“. Den Drohbrief mit zahlreichen Rechtschreibfehlern wie dem klein geschriebenen „sie“ erhielten die meisten Stadträte am Dienstag. Er lag in den Briefkästen der Privatwohnungen, was einige Stadträte erschüttert.
Am Mittwochmittag wurden die Etatberatungen unterbrochen, um einem Beamten der Kripo Schweinfurt, Abteilung Staatsschutz, die Anzeigen und Drohbriefe übergeben zu können. Eine Sitzungspause am Vormittag nutzten die meisten Stadträte dazu, ihre Anzeige schriftlich zu formulieren. Einige hatten schon am Dienstag bei der Polizeiinspektion persönlich Anzeige erstattet.
„Eigentlich sollte man nicht reagieren, das wollen die doch“
Der stets gleichlautende Drohbrief war am dritten Tag der Haushaltsberatungen das Thema. Die Vorgehensweise wurde durchaus unterschiedlich bewertet. „Eigentlich sollte man nicht reagieren, das wollen die doch“, meinte etwa CSU-Fraktionschef Stefan Funk. Auch sein Parteifreund Jürgen Royek hätte den Verfassern, die angesichts der Wortwahl offenbar in der rechten Szene zu suchen sind, „lieber keine Plattform geboten“, die sie wegen des medialen Interesses jetzt hätten.
Einige Stadtratsmitglieder drückten offen ihre Ängste aus. Bürgermeisterin Sorya Lippert (CSU) gestand ein, dass ihr beim Lesen „mulmig war“ und „man sich irgendwie nicht wohlfühlt“. Ihre Kollegin Ayfer Rethschulte (Grüne) erinnerte, dass auch die Familien der Stadträte betroffen seien. Sie nannte die anonymen Drohungen eine feige Tat.
„Natürlich ist das eine Bedrohung, die wir ernst nehmen müssen“, stellte auch Ralf Hofmann (SPD) fest. Die Gruppen-Anzeige aller Stadtratsmitglieder sei die einzige richtige Reaktion. Bedroht fühlt sich auch Herbert Wiener (SPD), der hofft, dass die Täter identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Polizei auf der Suche nach Fingerabdrücken und DNA-Spuren
Christiane Michal-Zaiser, die auch Rechtsanwältin ist, ist wie Parteikollege Adi Schön (beide proschweinfurt), bis vor kurzem Polizeibeamter, von der Wortwahl betroffen. Beide stehen aber hinter der Anzeigenerstattung. Das zeige, „dass wir stärker sind“ (Michal-Zaiser), und die „Täter sehen, dass was passiert“ (Schön). Thomas Schmitt (Grüne) forderte die verunsicherten Kollegen auf, sich von Neonazis und Demokratiefeinden nicht einschüchtern zu lassen.
Einige Stadträte hatten den Brief bereits geöffnet, andere noch nicht, was für die Polizei bei der Suche nach Fingerabdrücken und DNA-Spuren eher einen Erfolg ermöglicht. Aufgrund des beleidigenden und volksverhetzenden Inhalts hat das Kommissariat für Staatsschutzangelegenheiten bei der Kriminalpolizei Schweinfurt die Ermittlungen übernommen. Inwieweit Bedrohungen vorliegen, werde noch geprüft, sagte ein Beamter. Konkrete Morddrohungen gingen aus den Briefen jedoch nicht hervor, teilt die Pressestelle des Präsidiums mit.
Einen ähnlichen Fall gab es in Sachsen-Anhalt
Klar ist, dass nicht alle Briefe über ein Briefzentrum versandt wurden, die meisten aber wohl über das Briefzentrum 97 Würzburg Ost. Die Privatadressen der Stadträte herauszubekommen, bedurfte keiner großen Mühe: Sie stehen auf der Homepage der Stadt. Den Brief erhielt auch der AfD-Stadtrat Richard Graupner.
Ein ähnlicher Fall ist aus Sachsen-Anhalt bekannt. Dort trat im März 2015 der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz wegen Drohbriefen und Anfeindungen durch Neonazis zurück. Markus Nierth, parteiloser Theologe, hatte um das Leben seiner Familie gefürchtet. In Tröglitz war der Konflikt um eine Flüchtlingsunterkunft Hintergrund für die Drohungen gewesen.