Der Dschungel wartet vor der eigenen Haustür. „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ nennt sich eine Komödie, bei der sich Menschen dank Schrumpfmaschine zwischen baumhohen Grashalmen und Insektengiganten wiederfinden. Der Berliner Künstler Yadegar Asisi hat ebenfalls eine Methode gefunden, den Mikrokosmos im Kleingarten zu vergrößern. „Paradies auf Erden - Carolas Garten“ nennt sich sein aktuelles Projekt, ein 360 Grad-Riesengartenpanorama: Ab nächstem Winter wird der Besucher im Leipziger Panometer die Welt aus der Pollenperspektive erleben. Bestaunt werden darf im historische Gasometer eine 20 Meter-Biene auf der Megablüte und manch überlebensgroßer Krabbler im Hintergrund.
Asisi, der 1955 als Sohn persischer Dissidenten in Wien geboren worden ist, hat schon öfters das größere Blickfeld gewählt. Die Völkerschlacht von Leipzig wurde ebenso als Rundbild gezeigt wie das antike Rom, Dresden 1945, die Titanic oder die Aussicht vom Mount Everest. Über 30 Meter hohe und mehr als 100 Meter breite Aufnahmen von „Great Barrier Reef“ und „Amazonien“ gab es 2015 sehen: der Regenwald leuchtete in Rouen. Mitgewirkt haben damals die Niederwerrner Biologen Mirko Wölfling und Britta Uhl, als Doktoranden der Uni Wien. Für die Insekten-Auswahl in „Carolas Garten“ stellt Diplombiologe Wölfling nun seine naturkundliche Sammlung zur Verfügung. In Niederwerrn wurden die Schaukästen von zwei Mitarbeitern des Asisi-Teams, Lucas Tietjen und Manh Trung Doan, unter die Lupe genommen, zwecks Film & Foto-Casting.
70 000 Exponate in einer Wohnung
In der Wohnung an der Wiesenburg stapeln sich mehr als 70 000 Exponate: Vögel, Meerestiere und Säugetiere ebenso wie jede Menge Schmetterlinge und Käfer. Lebende Degus (pelzige Nager aus Chile), ein Einsiedlerkrebs, eine flugunfähige Taube namens Einstein und große afrikanische Achatschnecken finden sich ebenfalls, letztere als Biomüll-Verwerter. Ebenso wie die Hauptdarstellerin, eine Biene: als getrocknetes Double, fürs ebenfalls anwesende Fernsehen. Die echte „Riesenbiene“ wurde bereits unters Elektronenmikroskop gelegt, im Würzburger Labor von Stefan Diller: zwecks besserer Reflexion mit Gold und Palladium bestäubt. Im Januar hatte sich das Mini-Model durch einen sonnigen Wintertag aus den Bau locken lassen. In einer Nussschale war das Kälteopfer vorsichtig abtransportiert worden: „Man sieht bei tausendfacher Vergrößerung jede Delle, jedes Staubkorn“, sagt Britta Uhl.
Auch für die sonstige Szenerie haben die Niederwerrner Ideen: Ein Marienkäfer etwa, der Blattläuse vertilgt, ein flatternder Purpurzünsler oder ein Kartoffelkäfer. Ameisen werden bestimmt zu sehen sein, glaubt Uhl. „Man kann im Garten eine unglaubliche Vielfalt erleben, wenn man genau hinsieht.“ Alles sei darin mit allem verbunden, zu jeder Jahreszeit gebe es andere Geschichten.
Ökosystem in Gefahr
Auch dieses Ökosystem ist in Gefahr, Stichwort Bienensterben: „Den Zeigefinger wollen wir aber nicht heben“, sagt Kameramann Tietjen. Es gehe um Kunst. Für die Ästhetik ist Fotograf Doan mitverantwortlich, ein gelernter Architekt: Mittels Serienaufnahmen und Computertechnik („Stacking“) sollen selbst Nebenrollen gestochen scharf in Szene gerückt werden. Künstler Asisi steuert Skizzen und Bilder bei. „Carolas Garten“ ist Hommage an eine gute Freundin und Mitarbeiterin, die verstorbene Gartenbesitzerin aus Leipzig. Ihr Paradies auf Erden könnte dem kosmischen Winzling Mensch wieder Demut vor den kleinen Dingen des Lebens lehren.