"Früher hatten die Menschen noch einen Namen, waren nicht überall nur eine Nummer, telefonierten noch mit einem echten Gegenüber, nicht nur mit der Warteschleife". Eine Erfahrung mit der Erich Preßler (88) sicher nicht alleine dasteht, vor allem wenn es sich wie bei ihm um Senioren handelt. "Digital abgehängt, wie in Mensch zweiter Klasse" fühlt er sich wie viele Menschen seiner Generation, vermisst die menschliche Flexibilität wenn es zum Beispiel um die Terminvergabe bei Ärzten oder die Kommunikation mit Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen geht.
Mit dem Telefon stößt man heute schnell auf Grenzen
Der Bergrheinfelder führt, wie er selber sagt ein "analoges Leben", lediglich das gute alte Festnetz-Telefon ist sein akustisches Tor zur Welt. Seine Frau Edelgard (80), mit der er demnächst 59 Jahre verheiratet sein wird, besitzt immerhin ein Handy. Und mit dem Telefon - jeder kann das ja mal selber ausprobieren - stößt man schnell an Grenzen. "Wollen Sie ein blablabla, dann drücken Sie die 3" oder "im Moment sind alle Apparate besetzt". Erich Preßler kennt alle diese Ansagen und meist, so seine Erfahrung, enden diese Gespräche nach dem Motto "Außer Spesen nichts gewesen" im Nichts. Vor allem dann, wenn ihm die freundliche Computerstimme rät, den Vorgang online zu erledigen, denn eine E-Mail-Adresse oder einen Computer hat er nicht.
Etwas eigene schuld, warum bei ihm der Bruch zur digitalen Welt so deutlich ausgefallen ist, räumt er ein. Kinder und Enkel hätten schon die Geduld aufgebracht, ihm den Einstieg zu erleichtern, aber "Für mich war es zu spät". Jahrzehntelang war er mitverantwortlich für die Warendisposition in einem Schweinfurter Großbetrieb. Die Kommunikation mit Kunden in aller Welt lief per Telefon, große Schränke mit Karteikarten waren die Kundendateien und sozusagen das "Gehirn der Produktion" - und auf und mit ihnen musste mindestens genauso virtuos gearbeitet werden, wie dies heute mit Computerprogrammen der Fall ist. "Es war alles menschlicher, 'Nein' und 'geht nicht' gab es so gut wie nie, wir haben immer versucht eine gute Lösung für alle zu finden und sie auch gefunden", erinnert er sich. Als die Computer kamen, stand schon sein Eintritt ins Rentnerleben am Horizont.
Früher gab es weniger "Nein" und "Geht nicht"
"Nein und geht nicht", bekomme man heute viel häufiger zu hören, zum Beispiel, wenn man wirklich zügig einen Facharztermin braucht, oder wenn Vorgänge, die früher per Brief erledigt werden konnten, heute nur noch online möglich sind. An der Neugierde auf Neues hat es dem Senior, der auch mit 88 Lenzen noch geistig und körperlich äußerst aktiv ist, nie gemangelt. Mit seiner Frau hat er zahlreiche Weltreisen gemacht, vor allem Afrika hat es ihm angetan. Viele Fotos in der Wohnung und unzählige Dias künden von diesen Erfahrungen. Zuletzt waren sie 2017 in Oman - erstmals mit einer Digitalkamera im Gepäck. Und erstmals war er alles andere als zufrieden mit den fotografischen Ergebnissen. "Ich hätte meine alte Kamera mitnehmen sollen", so sein Fazit, aber es werde auch zunehmend schwerer ein Fotogeschäft zu finden, das überhaupt noch Diafilme annimmt.
Grüße aus der analogen Welt
Doch abgesehen von gelegentlichem Ärger hat sich Erich Preßler hervorragend eingerichtet in seinem analogen Leben. Jahrzehntelang hat er Gymnastikstunden geleitet und Wintersportler auf die Saison vorbereitet. Er selbst war ein sehr erfolgreicher Leichtathlet, hat über die 400 und die 800 Meter so manche Meisterschaft und Pokale gewonnen. Noch heute gehört die tägliche Gymnastik in der Natur fest zu seinem Tagesablauf. "Die Gymnastik ist wie mein tägliches Brot", so der 88-Jährige, der sich aber auch viel Zeit nimmt für ein immer mehr in Vergessenheit geratenes Steckenpferd. "Ich schreibe im Jahr mehr als 100 Grußkarten", berichtet er. In Schönschrift, mit selbst verfassten Versen und ausgewählten Foto- oder Blumenmotiven, sind diese Grußkarten keine schnell dahingekritzelten Dreizeiler, sondern kleine völlig analoge Kunstwerke, die von denen die sie bekommen, sorgsam aufbewahrt werden.
Die digitale Welt und Erich Preßler werden wohl in diesem Leben keine Freunde mehr. Statt sich mit Dateien zu quälen, geht er lieber in die Küche um seiner Frau beim Kochen zu helfen und sich um Salat und Fleischküchli zu kümmern. Denn auch auf diesem Gebiet ist er ein ausgewiesener Experte -und dafür braucht es wahrlich noch kein Internet.