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Schweinfurt
Als in Schweinfurt noch Autos gebaut wurden
Nur rund ein Dutzend Einzelfahrzeuge soll die Gesamtproduktion des kleinen „Pinguin“ in Schweinfurt umfasst haben. Ein Historiker hat sich auf Spurensuche begeben.
Der vermutlich gut ein Dutzend Mal gebaute „Pinguin“, hier ein Exemplar Ende der 1950er-Jahren in Privatbesitz, unterschieden sich alle mehr oder wenig in Aussehen und Ausstattung und wurden häufig mit dem „Fuldamobil“ verwechselt.
Foto: Archiv Jörg Militzer | Der vermutlich gut ein Dutzend Mal gebaute „Pinguin“, hier ein Exemplar Ende der 1950er-Jahren in Privatbesitz, unterschieden sich alle mehr oder wenig in Aussehen und Ausstattung und wurden häufig mit dem ...
Historiker Jörg Militzer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:32 Uhr

Obwohl vermutlich schon lange kaum ein Kraftfahrzeug ohne Kugellager aus Schweinfurt über die bundesdeutschen Straßen rollt, hat sich die Stadt am Main nicht wirklich einen Namen als „Automobil-Stadt“ machen können. Doch genau das hätte sie werden können, wie der in Ostwestfalen lebende Historiker Jörg Militzer zu berichten weiß.

Seit vielen Jahren widmet er sich der rund ein Dutzend Einzelfahrzeuge umfassenden „Gesamtproduktion“ des kleinen „Pinguin“ und sucht für ein nun abschließendes Buch zum Thema die Hilfe der Schweinfurter. Doch eins nach dem anderen.

Es ist gut sieben Jahrzehnte her, dass sich aus dem Mangel der frühen  Nachkriegsjahre heraus eine kleine Schar automobilbegeisterter Konstrukteure und Kaufmänner anschickte, einen der damals so beliebten „Kleinstwagen“ auf gerade einmal drei Räder zu stellen. Bereits 1953 waren zwei Prototypen in einer kleinen Halle im westfälischen Herne fertiggestellt und rollten im Oktober auf eigener Achse zur „Internationalen Fahrrad- und Motorrad-Ausstellung“ nach Frankfurt. Obwohl unzählige Prospekte verteilt und auch die Presse die schnittige Karosserie des „Porsche auf drei Rädern“ hervorhob, zeigten sich einige Mängel die von einer schnellen Serienfertigung Abstand nehmen ließen.

Also folgten personelle Veränderungen in der Konstruktionsabteilung und ein gänzlich neues Fahrgestell trug die nun ebenfalls überarbeitete Karosserie. Um ganz sicher zu gehen, so forderte es wohl auch ein potentieller Lizenznehmer, sollten einige der so modifizierten Fahrzeuge mehrere zehntausend Kilometer lange „Bewährungsproben“ absolvieren. Diesmal wohl recht erfolgreich, steuerten damals blutjunge Automobilisten die Wägelchen an den Rhein, durch den Schwarzwald und vorbei am Bodensee, bis in die Alpen. Davon überzeugt zeigte sich auch der Industrielle Rudolf Stierlen, der Mitte 1954 das Projekt in sein Schweinfurter Werk der „Rotenburger Metallwerke“ umziehen ließ.

 

„Werksfoto“ einer späteren Ausführung des „Pinguin“, allerdings noch mit dem alten „Besatzungskennzeichen“ B92 (= Stadt Schweinfurt). In Lack und Chrom spiegelt sich die Fabrikhalle, von der noch Fotos gesucht werden.
Foto: Archiv Jörg Militzer | „Werksfoto“ einer späteren Ausführung des „Pinguin“, allerdings noch mit dem alten „Besatzungskennzeichen“ B92 (= Stadt Schweinfurt). In Lack und Chrom spiegelt sich die Fabrikhalle, von der noch Fotos gesucht werden.

Konstruktion, Werkzeuge und auch Mitarbeiter wechselten daraufhin von der Ruhr an den Main und sollten nun an der Ernst-Sachs-Straße 5 die Produktion von landwirtschaftlichen Geräten und Dosenverschließ-Maschinen ablösen oder zumindest ergänzen. Die fortan gebauten „Pinguine“ unterschieden sich durch den jetzt von Fichtel & Sachs gelieferten 200-ccm-Motor, der das gleichgroße ILO-Aggregat ablöste, und auch äußerlich wurden die Automobile behutsam von Fahrzeug zu Fahrzeug laufend modifiziert.    

Doch es zeigte sich schnell, dass die nun aufkommenden Mitbewerber vom Schlage des Messerschmitt Kabinenrollers, der BMW Isetta oder des Goggo-Mobils den Markt längst für sich erobert hatten. Obwohl noch bis weit in das Jahr 1955 weiter „experimentiert“ wurde, gab Finanzier Stierlen nicht nur das Kleinwagenprojekt, sondern den gesamten Schweinfurter Standort auf.

Während die Immobilie in den Besitz der Firma Kugelfischer überging und abgetragen wurde, hieß es lange, dass die gebauten Fahrzeuge allesamt verschrottet wurden. Dass dem nicht so ist, hat Historiker Militzer an mehreren Beispielen schon nachweisen können. Während eines der Fahrzeuge – das von Zeitzeugen auch als „Rotenburger Dreirad“ bezeichnet oder mit dem „Fuldamobil“ verwechselt wurde – mit seinem Besitzer Erich Lhotzky ins Rheinland umzog, sind die anderen zum Teil noch bis in die frühen 1960er-Jahre im Raum Schweinfurt unterwegs gewesen.

Kontakt zu Familien gesucht

Als Besitzer sind demnach ein Bernhard Iff in Pfersdorf, ein Herr Geisler in Schonungen oder auch Franz Borst in Schweinfurt bekannt. Weitere Fahrzeuge sollen Josef Burger, Richard Gräf, Walter Naumann und Willi Werner besessen haben. Zu all diesen ehemaligen Besitzern bzw. deren Familien sucht der in Bünde lebende Historiker nun den Kontakt, wie auch zu ehemaligen Mitarbeitern der „Rotenburger Metallwerke“. So etwa Gerhard Gutgesell, ein Herr Löwerick oder auch Betriebsleiter Moll.

Über Hinweise und natürlich Fotografien zu den „Rotenburger Metallwerken“ und den dort gebauten Kleinwagen würde sich Militzer freuen. Kontakt: Telefon (05223) 6530230.

 
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  • J. M.
    Liebe christel2,
    es tut mir leid bei Ihnen für Entsetzen gesorgt zu haben, doch wer sagt Ihnen, dass ich "nur eine Seite des Industriellen Stierlen" beleuchte? Mir sind die von Ihnen genannten Punkte durchaus bekannt, aber bei meinem eigenen „Qualitätsanspruch“ reichen mir Adressbucheinträge allein nicht aus. Und bislang habe ich die von ihnen erwähnten "entsprechenden Akten der ehemaligen jüdischen Firmen" selbst (noch) nicht eingesehen. Gerne können Sie mir die Archive und Bestände dieser Akten benennen oder ihre Ausarbeitungen zum Thema einmal zukommen lassen, die ich dann ggf. auch berücksichtigen werde. Darüber hinaus halte ich es aber durchaus für legitim, in einem wie hier vorliegenden kleinen Presse-Aufruf, nicht auf jede Einzelbiografie der beteiligten Personen näher einzugehen. Dafür bitte ich aber auch um Verständnis.
    Gerne können Sie mich auch über die genannte Telefonnummer kontaktieren.
    Mit besten Grüßen
    Jörg Militzer
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  • E. B.
    An den Autor dieses Artikels:
    Ich bin entsetzt, dass ein Historiker nur die eine Seite des Industriellen Stierlen beleuchtet. Stierlen hat 1936, dem Gründungsdatum der RMW, einen jüdischen Betrieb arisiert. Und 1938 dann in Schweinfurt die Firma Walter & Kuffer, Landmaschinen, ebenfalls jüdischen Ursprungs, arisiert. Das läßt sich alles wunderbar aus dem Adreßbuch entnehmen. Zudem habe ich die entsprechenden Akten der ehemaligen jüdischen Firmen eingesehen. Herr Stierlen hat sich nach 1945 der Wiedergutmachung entzogen und ich bin heute noch entsetzt darüber, wie elegant so etwas ging.
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