
Die 7-Uhr-Nachrichten von Bayern 3 lenkten am 27. August 1988 die Aufmerksamkeit des gesamten Sendegebietes auf Schweinfurt. Und weil eine junge Reporterin mit sehr kräftigen Farben malte, wurden die Ereignisse im Vorfeld des Festivals „Monsters of Rock“ bundesweit zur Topmeldung. An den Stränden Italiens oder Kroatiens konnten die Urlauber in „Bild am Sonntag“ tags drauf lesen: „25 000 Rocker belagern Schweinfurt“.
Das war zwar nicht ganz falsch, aber schon gar nicht ganz richtig. Bereits im Vorfeld war zwar klar, dass zu einem derartigen Festival nicht nur brave Musikfans kommen würden. Aus England hatten Schweinfurt Horrormeldungen erreicht, in ihnen war die Rede von Toten und Schwerverletzten. Wird es in Schweinfurt nicht geben, versicherte die Agentur Argo, als die Diskussion darüber immer heftiger wurde und versprach, alles besser zu organisieren. Was dann auch auf das eigentliche Konzert zutraf.
20 Jahre liegt es nun zurück, das Festival vom letzten Augustwochenende 1988, das die Politik noch eine ganze Weile beschäftigen sollte. Konservative und die damals noch mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten lagen Wochen danach in erbittertem Clinch: Die CSU warf der Stadtverwaltung unter OB Kurt Petzold grobe Fahrlässigkeit vor. Der damalige CSU-Fraktionschef Edmund Hornung sprach von einer „Dummheit“, ein Festival dieser Art überhaupt zu genehmigen. Der CSU-Kreisvorsitzende Hans Gerhard Stockinger wusste dies noch zu toppen und griff ganz tief ins Polemikfach: „Die Summe, die die Stadt als Genehmigungsgebühr kassiert hat, ist der Judaslohn für den Verrat der berechtigten Interessen der Schweinfurter Bürger.“ Rainer Wichtermann schüttelte darüber für die SPD nur den Kopf und nannte ein solches Denken pervers.
Petzold warf Stockinger versuchten Rufmord vor und wies darauf hin, dass von den Fans allein 12 000 aus der näheren Umgebung stammten, man ihnen ein derartiges Ereignis nicht einfach vorenthalten durfte. Eine Wiederholung wollte er jedoch nicht in Aussicht stellen.
In den Leserbriefspalten gingen die Meinungen weit auseinander. Kritiker und Verteidiger des Festivals meldeten sich sehr engagiert zu Wort.
Eine Woche vor dem Event in Schweinfurt war das Rockfest bereits bei der Auftaktveranstaltung in England zum reinen Horrortrip geworden. Menschen wurden totgetrampelt, zahlreiche der 80 000 bis 100 000 tobenden Zuschauer verletzt. Der Wirbel im Vorfeld rief die Kirchen auf den Plan. Am Bergl veranstaltete die Auferstehungskirche kurzerhand eine Gebetskette gegen größere Ausschreitungen.
Diese gab es dennoch, und das nicht zu knapp. Rund 7000 der erwarteten 40 000 Rocker reisten bereits am Freitagabend an und breiteten sich in der Innenstadt aus, nachdem die Eintrittskarte nur zum einmaligen Eintritt auf das Festivalgelände an der Uferstraße berechtigte. Bis die Veranstaltung am Samstag begann, hatten die „Monsters“ bereits in der City Zeichen gesetzt.
Schweinfurt lag zwar nicht in Schutt und Asche. Es gab aber viel Dreck, Müll und Scherben. Und man sah Gestalten, die man derart geballt im Stadtbild noch nie gesehen hatte. Besonders Oberndorf bekam die ganze Bandbreite zu spüren. Vorgärten, Gehsteige und Grünflächen wurden als Latrine benutzt („Die pinkeln uns einfach an die Haustür“), Scheiben gingen zu Bruch, Ladentüren wurden zertrümmert.
Jägerzaun verfeuert
Abgerissene Blumenkästen, verschwundene oder beschädigte Briefkästen vervollständigten das Bild ebenso wie der Jägerzaun, der sich, so der damalige Stadtrat Bernd Köppel, in Rauch auflöste.
Auch wenn viele Gastwirte ihre Lokale an diesem Wochenende bewusst geschlossen und zum Teil sogar verbarrikadiert hatten, war Alkohol in der Stadt billiger zu haben als auf dem Festivalgelände. Dort kosteten 0,4 Liter Bier vier Mark. Für die Fans ein guter Grund, sich im Einzelhandel und den Tankstellen selbst zu versorgen und dann gleich an Ort und Stelle, auf Grünstreifen oder in Parks und Vorgärten, zu campieren, wie am Kennedy-Ring oder sogar direkt am Landgericht. Es wurde kräftig gesoffen, leere Flaschen flogen einfach auf die Straße, wo sich Scherbenteppiche bildeten, Kassettenrekorder liefen in voller Lautstärke. 150 empörte Anrufer ließen bei der Polizei bereits vor Konzertbeginn die Drähte glühen. Urinlachen, Erbrochenes und Glasscherben wurden gemeldet und trugen ihr Teil zu abschließenden Schadenersatzforderungen über 100 000 DM bei.
Die Polizei verstärkte ihre 600- Mann-Truppe kurzfristig auf 960 Beamte, und die hatten alle Hände voll zu tun. 163 von 418 Einsätzen hatte die Polizei allein in der Nacht von Freitag auf Samstag zu bewältigen. Neben 78 Rowdys gingen den Beamten Rauschgift, Springmesser, NS-Embleme, Totschläger und Diebesgut ins Netz. 423 Helfer und 20 Ärzte der Hilfsdienste behandelten hauptsächlich Kreislaufbeschwerden. Bei 418 Einsätzen war in 156 Fällen die Einlieferung ins Krankenhaus nötig. Ein 19-jähriger US-Soldat schwebte nach einer Messerstecherei vorübergehend in Lebensgefahr.
Polizei und Festivalbesucher gingen fair miteinander um. Der damalige Polizeisprecher Karl-Heinz Knöchel berichtete, dass es keine Angriffe auf seine Beamten gegeben habe, Kritik an den Einsätzen wurde auch nicht laut.
Bürger und Besucher verärgert
Um der Verärgerung der Bürger Luft zu verschaffen, richtete die CSU eine knappe Woche nach dem „größten europäischen Hardrock-Festival“ ein Bürgerforum im Gemeindesaal der Pfarrei St. Josef in Oberndorf ein. Veranstalter Michael Bauer (Argo-Konzerte) hatte in der gesamten Diskussion zwar einen schweren Stand, zeigte sich aber, abgesehen von den Ausschreitungen, mit dem Zusammenspiel von Behörden, Polizei und Sanitätern zufrieden. Beim Festival selbst sei es zu keinen größeren Problemen gekommen, sagte Bauer damals und fand den Programmablauf gut. Sieben „Monsters of Rock“ hatten am Samstag zwischen 11 und 21.45 Uhr den Fans kräftig eingeheizt. Darunter „Kiss“, Ex-Van-Halen-Sänger David Lee Roth (der aus dem Hotel geflogen war, weil er mit dem Mountainbike die Treppe rauf wollte), „Anthrax“ und der Hauptact „Iron Maiden“, dessen Bühnenbild von begeisterten Fans bereits bei einer der Vorgruppen enthüllt wurde: Sie rissen den verhüllenden, schwarzen Vorhang ab. Weniger euphorisch war denjenigen zumute, die auf dem doch wohl zu schmalen Gelände am Main im hinteren Teil standen. Sie sahen weder Stars noch Videoleinwand.


