Wer heute das Wort "Postkutsche" hört, der denkt an Indianerpfeile, Banditen oder schussfeste Kutscher, die Passagiere wie Ladung schon mal mit der Winchester verteidigen mussten. Vielleicht auch noch an den legendären Auftritt von Minister Walter Scheel, der 1973 im ZDF "Hoch auf dem Gelben Wagen" schmetterte, für einen guten Zweck. Um 1900 gehörte die Postkutsche aber auch in Franken zum Alltag.
In Geldersheim, wo bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein "Kariolwagen" die Briefe ausgefahren hat, ist im E-Mail- und Paketdienst-Zeitalter wenig von der "guten alten Zeit" übrig geblieben. Nicht einmal ein Foto der leichten Postkutsche hat überdauert. Geblieben ist eine Aufnahme der ledernen, gewichtssparenden Posttruhe, die zwischendurch auf dem Sperrmüll gelandet ist. Das Bild befindet sich heute im Privatarchiv von Heimatforscher Alfred Popp, in dessen Regalen sich die Ordner zur Alltagsgeschichte der Biegenbachgemeinde reihen.
Im Rokoko war noch die "Thurn- und Taxis-Post" durchs Heilige Römische Reich gerollt, benannt nach der Regensburger Postmeisterdynastie. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Briefzustellung im Königreich Bayern staatlich. "Schmiergeld" meinte ursprünglich das Geld, das Passagiere zum Schmieren der Achsen zu zahlen hatten. Am echten Bakschisch hat es womöglich 1785 gefehlt, als Geldersheim seine Post nach Schweinfurt abgeben musste.
Im Schatten der Nachbar-Poststationen
Ganz klar sei allerdings nicht, welche Art Posteinrichtung sich damals im regional bedeutsamen Dorf befunden hat, sagt Popp. Postalisch konnte der ehemalige Pfalzort nicht ins gleiche Horn stoßen wie die Etablierten: "Geldersheim war immer im Schatten der früheren Nachbar-Poststationen Werneck und Poppenhausen." 1858 wurde das bislang von Werneck aus belieferte Dorf dem Bestellbezirk des Postamts Schweinfurt angeschlossen. Vom Landpostbotendienst versorgt wurden außerdem Grafenrheinfeld, Bergrheinfeld, Oberndorf, Euerbach, Ober- und Niederwerrn, Schwebheim und Röthlein - laut Bericht im "Schweinfurter Tagblatt", vom 28. September 1860.
Als 1871 die Eisenbahn zwischen Schweinfurt und Gemünden losdampfte, übernahm ein Postbote die Zustellung vom Bahnhof Oberwerrn aus Richtung Biegenbach. Seit 1886 gab es in Geldersheim eine "Postablage" zwecks Abholung, gegen ein jährliches Aversum (Gehalt) von 108 Mark.
Bürgermeister Andreas Hümmer stieg als erster ins lokale Briefmarken-Business ein. Am 3. Oktober 1892 vermeldete das Königliche Oberpostamt Würzburg dann, dass eine eigene Geldersheimer "Postexpedition" eingerichtet werden sollte - auf hartnäckiges Ersuchen der Bürger, die somit eine echte Zweigstelle bekamen. Aus dem gleichen Jahr scheint auch die Truhe im "Westernstil" zu stammen.
Schuhmacher versah Dienst als Postillion
Den Dienst als Postillion und Zusteller versah Schuhmachermeister Nikolaus Kempf, Haus Nummer 135: "Durch eine täglich einmalige Kariolfahrt und durch eine Botenpost wurde die Expedition mit Oberwerrn verbunden, die Unterhaltung derselben durch Errichtung eines Poststalles dem Expediteur Treutlein gegen jährliche Vergütung von 900 Mark und Überlassung der anfallenden Passagiergelder und Zuteilung eines Kariolwagens übertragen".Es gab Schalterstunden, auch Reisende durften im jungen "ÖPNV" mitkariolen. Um die Pferde hatte sich der Agent selbst zu kümmern.
Bald gehörte nicht mehr allein Hufeklappern zum Posthandwerk. 1895 piepte es bereits in einer Telegrafenstation – dank Morseapparat. Später folgte High Tech in Form eines "Telephons", das beim Gastwirt Josef Schmitt installiert wurde. 1904 kam der Poststalldienst dann zum Landwirt und Steinhauer Michael Endres.
Postamtmann verunglückte tödlich
1912 verunglückte Postmann Kempf am Oberwerrner Bahnhof tödlich, Witwe Margarete übernahm die Dienstgeschäfte. Wenige Monate vor dem Ersten Weltkrieg, für den im Sommer 1914 zahllose Zivilpferde ausgespannt wurden, wurde die Post auch westlich von Schweinfurt schon mit dem Automobil ausgefahren. Die Benzinkutsche übernahm das Geschäft.
Im Krisenjahr 1922 musste die Post wieder mit dem Handwägelchen in Oberwerrn abgeholt werden. "Täglich bei Wind und Wetter", staunt Popp, der die Chronologie der heimischen Postgeschichte niedergeschrieben hat: "Dies war schon eine Leistung, die heute niemand mehr auf sich nehmen möchte".Seit 1925 fungierte Sattlermeister Rudolf Kippes als Postagent, bis weit in die 50er Jahre hinein.
Alfred Popp hat den Nebenjob-Briefträger noch gut gekannt: "Als Kinder mussten wir oft die Bindertücher, vom Mähbinder, oder Stränge von den Pferdfuhrwerken zur Reparatur zum Sattlermeister Kippes bringen." Der Geschichtensammler erinnert sich, dass die Lausbuben den Handwerker mit dem Ruf "Kippes, die Russen kumma" zur Weißglut bringen konnten: "So gab es in seiner Werkstatt Schläge mit der Peitsche, oder er warf die Sachen, die wir mitbrachten, zum Fenster hinaus". Hoch auf dem Geldersheimer Postwagen knallte die Peitsche da schon lange nicht mehr.