Landwirtschaft und Tierhaltung – beides haben Erich Walter aus Dingolshausen über weite Strecken seines Lebens begleitet. Der 66-Jährige hat Landwirtschaft studiert, sein Studium mit einer Promotion beendet und lange Jahre als Verkaufsleiter für einen Futtermittel-Hersteller gearbeitet.
Insoweit war es nicht abwegig, dass er in diesem Jahr im Karwendelnaturpark in Tirol als Almhirte auf Zeit 19 Stück Jungvieh betreut hat, droben in den Bergen, in Höhenlagen zwischen 1000 und 1350 Metern. Die Hütte der Feuersingeralm, die zur Gemeinde Schwaz gehört, ist nur mit Allradfahrzeugen zu erreichen, der Weg dorthin ist sehr steil. Es war für den Rentner nicht das erste Mal. Was ihn zum Arbeiten dorthin lockt, wo andere Urlaub machen, erzählt er im Interview.
Erich Walter: Ich war als Student bereits Almhirte und wollte dies nach Abschluss meines Berufslebens unbedingt wieder tun. Mein letzter Almsommer lag 40 Jahre zurück.
Walter: Es gibt vieles nicht, zum Beispiel keinen elektrischen Strom, keinen Kühlschrank und kein elektrisches Licht, kein Telefon, keine Events, keine Geschäfte. Man ist meistens draußen. Ich sah oft tagelang keinen Menschen. Die Lebensmittelversorgung ist auf ein bis zwei Wochen im Voraus zu planen.
Walter: Auf der einen Seite ist es wirklich Natur pur. Man ist meist im Freien oder vor der Hütte und genießt die Natur – Berge, Weiden, Blumen, Tiere – um sich. Den Ablauf der Natur, etwa die Sonne oder plötzliche Wetterumschwünge mit Extremniederschlägen, erlebt man hautnah. Auf der anderen Seite sind die täglichen Dinge mit einfachsten Methoden und entsprechend aufwendig zu erledigen. Es gibt kein Badezimmer, nur ein Plumpsklo, Körper- und Textilwäsche geschieht auf der Wiese mit Hilfe eines Eimers. Es gibt wenige technische Geräte. Die Tiere sind zu versorgen. Täglich sind sie ein bis zwei Mal im steilen Gelände zu suchen und zu kontrollieren. Einen großen Teil der Arbeit macht der Almputz aus: Unerwünschter Bewuchs, wie Farn, Fichten, Laubhölzer und vor allem Disteln sind zu entfernen. Das ist harte körperliche Arbeit, die nie endet.
Ich hatte eine klare Tagesstruktur: Einheizen, Frühstück, Haushalt, Arbeit auf der Alm, Abendverpflegung. Zwischen den Pflichten hatte ich Zeit für mich zum Lesen oder einfach nur, um zu sitzen und zu schauen. An besonderen Tagen ging ich Bergwandern. Die Tierbetreuung fand dann davor oder danach statt.
Selbstverständlich besuchte ich meine Nachbarn, die die Almwirtschaft mit ihrer Familie intensiv betreiben. Die meisten haben Milchviehbetriebe und haben diese im Sommer auf den Berg verlegt, halten dort ihre Kühe und melken sie dort. Nur für die nötigen Arbeiten, wie das Einholen von Winterfutter, fahren sie ins Tal. Die Milch wird am Berg abgeholt. In meiner Region hat keiner selbst Käse gemacht. Für alle ist es eine Herzensangelegenheit, von Juni bis September auf die Alm zu gehen. Meine Milch holte ich bei einer jungen Bauernfamilie, die ihr erstes Kind erwarten. Milchholen dauerte drei Stunden. Ein anderer Nachbar war Rentner wie ich.
Das kann man so sehen. Andererseits sind die Tage mit Almpflichten und Hausarbeiten ausgefüllt. Mein Auto hab ich kaum bewegt.
Die Anforderungen an einen Hirten sind Kenntnisse im Umgang mit Rindern oder gegebenenfalls anderen Tieren, Geländegängigkeit und körperliche Fitness, die Fähigkeit, sich selbst zu verpflegen und die Fähigkeit, alleine sein zu können. Zudem muss man bereit sein, auf normalen Komfort zu verzichten und hygienische und sanitäre Kompromisse einzugehen.
An einem Sonntag wollte ich ins Tal für ein ordentliches Sonntagsessen abfahren. Das war jedoch wegen des Wetters und Murenabgängen nicht möglich. So gab es wie sooft Kaiserschmarrn aus versehentlich sauer gewordener Milch und Wasser (lacht). Den Schweinebraten hab ich zwei Tage später nachgeholt.
Ich ging mit der Sonne ins Bett und stand viel später als die Sonne auf.
Ein Batterie-Radio mit wackligem Empfang hatte ich. Sonst war ich offline. Für Internetempfang, Telefon, Whatsapp usw. fuhr ich mit meinem Mountain-Bike zehn Kilometer ins Tal. Die Ergebnisse der Fußball-EM und der Olympiade hab ich erst im Nachhinein erfahren.