Alfred Gulden, Schriftsteller, Lyriker, Lieder- und Filmemacher, Aktionskünstler - die vielen Bereiche, in denen Gulden aktiv war und ist, verweisen auch auf eine Besonderheit der „wilden“ 60er- Jahre in München.
Dort nämlich verschmolzen die Bereiche der Kunst zu etwas Neuem, das zu tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft führen sollte und in Konfrontation mit der herrschenden Politik stand.
Im Rahmen der Ausstellung „Bei Tagesanbruch ist die Nacht am dunkelsten“ mit den Künstlern Florian Köhler und Lothar Fischer erzählte Gulden von den Besonderheiten dieser Phase der Kunstgeschichte. „Wir hatten ja nicht nur Kunstideen, sondern konkrete Lebensgestaltungen“, so Gulden. „Es ging uns nicht in erster Linie darum, die Polizei zu provozieren, sondern wir wollten etwas zeigen, wir wollten Räume besetzen, öffentliche Räume neu und experimentell nutzen.“ Dennoch: „Was wir machten, provozierte Skandale.“
Heftig das Aufeinanderprallen der komplett anderen Lebenswelten, hier das biedere Leben, oft noch von alten Nazis in neuen Positionen durchsetzte Politik und Obrigkeitsdenken, da schockierte die neue Kunst, die Studentenbewegung, die Kommunen, der neue Lebens- und Kleidungsstil, da gab es auch in den Bereichen der Kunst Polizeieinsätze, Anklagen, Verhaftungen, Prozesse.
„Die Diskussionen verliefen zum Teil sehr hart, auch innerhalb der „wilden“ Szene ging es heftig zu. Kunst wurde von linken Politgruppen als „bürgerliche Kunstscheiße“ abgewertet, Maler wurden abschätzig Flachmaler genannt. Ziel sei in allen Lebensbereichen die Echtheit und Jetztzeit gewesen.
Der Vorgang, die Aktion, sei das Wesentliche gewesen, so Gulden, nicht die kapitalistische Verwertbarkeit. Bezeichnend sei auch die Verschmelzung der Künstlergruppen WIR und SPUR zu einer neuen Gruppe GEFLECHT gewesen, denn dies sei ein Merkmal der Zeit gewesen, die Verknüpfung, Vernetzung und Solidarisierung. So entstand die Grundlage für eine gesellschaftliche Sprengkraft, die international zur Wirkung kam. „Egal in welchem Bereich, überall war etwas aufgebrochen.“
Neu und experimentell war auch die Nutzung von technischen Medien, mit denen die Auflösung der klassischen Konstellation Kunst-Kunstbetrachter betrieben werden sollte. „Die Leute, die kamen, wurden selbst Teil der Installationen“, so Gulden. „Filmer, Fotografen und Techniker wurden wichtige Leute.“
Gulden war Mitbegründer des Aktionsraums 1, damals war der Begriff Performance noch nicht üblich. Er war Akteur der Vernetzung, die sich schnell deutschlandweit und bald international entwickelte. „Wir sind rumgefahren in Europa und luden Künstler ein. Alles war Beginn für viele inzwischen weltberühmte Künstler“.
Gulden nennt Namen wie das Kabarett Voltaire aus Frankfurt, den Österreicher Hermann Nitsch, die Fluxusgruppe aus Berlin, die italienische Arte povera, Ammon Düül I und II, Vlado Kristl und viele andere mehr. Bei so viel wildem Engagement gab es auch Gegendruck. „Die vielen Repressalien kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, so Gulden. Nach dem Tod Benno Ohnesorgs verschärfte sich das Klima noch einmal. „Da stand die Polizei auch schon mal mit Maschinengewehr am Bett.“
Dabei waren die Künstler doch „nur“ wegen ihrer Konfrontationen in allen Lebensbereichen so wild und so unfassbar für eine Ordnungsmacht, die genau dies nicht kannte.