Inzwischen ist Max Kaplan im Ruhestand, doch Ruhe ist relativ. Nach fast 30 Jahren als Landarzt und 40 Jahren in der Medizin macht er jetzt als Präsident der Bayerischen Landesärztekammer Ärzte-Politik. Kaplan will auf die Bedürfnisse der jungen Generation von Ärzten eingehen. Darum geht es unter anderem auch beim 75. Landesärztetag, der an diesem Wochenende in Schweinfurt stattfindet.
Max Kaplan: Nicht nur meinen Enkeln, ich habe das auch meinen Söhnen empfohlen. Beide hatten auch ein sehr gutes Abitur, aber für beide kam das Medizinstudium nicht in Frage, so dass keiner Arzt geworden ist – was mir leid tut. Aber es ist ein Enkel unterwegs, vielleicht schaffe ich's da noch.
Kaplan: Man wird nicht Arzt, um sehr, sehr gut zu verdienen. Arzt sein ist kein Job, sondern Berufung. Dass man auch gut verdienen möchte, wenn man eine entsprechende Leistung bringt, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Wie hoch, ist individuell unterschiedlich und hängt vom zeitlichen Aufwand ab. Ein normaler Hausarzt arbeitet etwa 55 Stunden in der Woche, nur 40 Stunden habe ich selbst nie gearbeitet. Wenn ich 55 Stunden hochqualifiziert Leistung bringe, möchte ich auch so bezahlt werden. Heute sind viele auch in Teilzeit tätig, so dass man das relativieren muss. Grundsätzlich ist das Auskommen eines Arztes sicherlich ausreichend.
Kaplan: Das ist eine berechtigte Frage. Noch als Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer habe ich alle fünf bayerischen Universitäten mit medizinischer Fakultät angeschrieben und vorgeschlagen, sie sollten alle Bewerber zulassen.
Und dann in den ersten beiden Semestern durch Prüfungen die Spreu vom Weizen trennen. Auch das wäre nicht ganz gerecht, aber auf jeden Fall sinnvoller, als wenn die reine Abiturnote den Ausschlag gibt. Die Antwort der Universitäten war: „Wie sollen wir das schultern?“ Der fünffachen Erstsemesterzahl könnten Universitäten nicht gerecht werden. Eine Studienreform wäre nötig, die die ersten zwei Semester als Auswahlverfahren kreiert. Ich halte das nicht für aussichtslos. Mein Sohn, der Pilot ist, musste bei der Lufthansa ein einwöchiges Auswahlverfahren durchlaufen. Von Zehn sind am Schluss Zwei übrig geblieben. Die Bereiche Wissen, Persönlichkeitsstruktur und Belastbarkeit sowie Kommunikation untereinander wurden getestet. Das Gleiche wäre im Medizinstudium sinnvoll – aber dafür sind es wohl einfach zu viele Bewerber.
Kaplan: Nicht unbedingt: Wenn der 1,0-Abiturient vom Land kommt, und den Arztberuf wählt, geht er häufig auch wieder aufs Land zurück. Aber 1,0-Abiturienten – oder meist 1,0-Abiturientinnen – haben oft andere Ziele und nicht immer die Patientenversorgung im Fokus, sondern die Forschung oder die Wissenschaft. Sie planen nicht unbedingt, als Landarzt zu arbeiten, so wie ich es getan habe, der ich ja aus dem Unterallgäu stamme.
Kaplan: Die Intention kommt vor allem aus der CSU. Eine Landarztquote sieht vor, jemanden zu fördern, der sich schon vor Beginn des Studiums bereiterklärt, Landarzt zu werden. Ich halte das für den falschen Ansatz. Einer, der erst mit dem Studium liebäugelt, kann noch nicht entscheiden, dass er Hausarzt werden und aufs Land gehen will. Wenn er nach dem Studium fünf Jahre nur notgedrungen aufs Land zieht, ist er danach sofort wieder weg. Es muss jemand aus Überzeugung aufs Land gehen, weil ihm das Freude macht. Das erreiche ich nicht durch eine Quote, sondern durch eine Steigerung der Attraktivität.
Kaplan: Die junge Gesellschaft, die Generation „Why“ wie Warum, hinterfragt die Sinnhaftigkeit von Beruf und Lebensweise: Meinen Beruf mache ich engagiert, aber daneben gibt es noch was anderes, Freizeit und Familie. Und das muss ich leben können auf dem Land. Das war in der Vergangenheit, in der der Landarzt oder Hausarzt ein Einzelkämpfer war, nicht der Fall. Er war rund um die Uhr für die Patienten da. Das müssen wir neu organisieren: Auch ein Landarzt muss von einer Fünf-Tage-Woche und einem Acht-Stunden-Tag ausgehen können. Dafür braucht es einen neu strukturierten Bereitschaftsdienst und eine kooperative Versorgungsstruktur.
Kaplan: Die Frage ist, wo fangen wir an. Wir müssen jetzt die Strukturen schaffen. Es braucht mehr Kooperationen, Gemeinschaftspraxen, medizinische Versorgungszentren oder Praxisnetze. Im Team zu arbeiten, ist ein Bedürfnis der jungen Generation, weil es mehr Freude macht. Auch mit anderen Gesundheitsberufen, wie zum Beispiel Physiotherapeuten, sollten Ärzte enger zusammenarbeiten.
Zur geeigneten Struktur gehört aber ebenfalls das Honorar: Zwischen 140 000 und 210 000 Euro liegt das Einkommen von niedergelassenen Ärzten. Da sollte der Hausarzt nicht unbedingt am unteren Ende stehen. Und: Ehepartner und Kinder sollten eine gute Infrastruktur für Beruf und Schule vorfinden.
Da können Sie als Ärztekammer recht wenig machen.
Kaplan: Ärztekammern sind vorausschauende Ideengeber. Aber die Umsetzung gestaltet sich manchmal schwierig. Wir arbeiten eng mit unserer anderen Körperschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung, zusammen, die zum Beispiel für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung zuständig ist.
Ärzte stehen in der Kritik, auf Anforderung der Krankenkassen Patienten geplant kränker einzustufen, als sie sind.
Kaplan: Es wird behauptet, Ärzte machten die Patienten kränker, damit sie mehr verdienen. Das ist definitiv falsch. Zum Verständnis: Die Krankenkassen finanzieren sich aus den Mitgliedsbeiträgen. Nur gehen die Mitgliedsbeiträge nicht unmittelbar in die Tasche der Krankenkasse, sondern in den Gesundheitsfonds. Von dort wird das Geld wieder verteilt in die einzelnen Kassen. Die Umverteilung wird auch festgemacht am „Risikostrukturausgleich“: Anhand von 80 wichtigen Diagnosen, das sind verschiedene chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, erhalten Kassen mehr oder weniger Geld aus dem Gesundheitsfonds. Für besonders viele chronisch kranke Versicherte, für mehr Rentner und Arbeitslose bekommt die Kasse mehr aus dem Topf. Dieser „Risikostrukturausgleich“ muss neu gestrickt werden, damit die Verteilung gerechter wird. Denn die Versorgerkrankenkassen wie die AOK sind momentan Nutznießer, weil sie vermehrt dieses Versichertenklientel haben, das besonders viel Geld aus dem Fonds auslöst – mehr als die Ersatzkrankenkassen. Interessant ist, dass der Chef einer Ersatzkasse, das Ganze öffentlich gemacht hat, und nicht der AOK-Chef. Ärzte müssen Diagnosen seit gut 15 Jahren in Codes verschlüsseln. Wegen des größeren Verwaltungsaufwands haben wir das niemals gewollt. „Diabetes ohne Nebenwirkungen“ ist zum Beispiel einfacher mit einem Code zu versehen als Diabetes mit mehreren Nebenwirkungen. Nierenschwäche, Augenerkrankungen oder neurologische Störungen, bedeutet zusätzlichen Codierungsaufwand, den der Arzt zunächst scheut. Das sage ich ganz ehrlich. Also haben wir locker codiert. Die Krankenkasse bekommt dadurch aber weniger Geld, als ihr zustehen würde. Deshalb gleicht sie diese Codierung mit anderen Unterlagen zur Diagnose ab. Der Krankenkassenvertreter weist dann bei seinem vierteljährlichen Standardbesuch auf Abweichungen hin. Das ist aber kein Up-Coding, sondern ein Right-Coding.
Der Code wird also im Nachhinein nur korrigiert, nicht verschlimmert?
Kaplan: Ich würde niemals einen Patienten kränker machen. Da würde ich auch für 99,9 Prozent der Ärzte die Hand ins Feuer legen. In Bayern werden keine Gelder bezahlt für ein zusätzliches Codieren. Die zehn Euro, von denen die Rede ist, gibt es im Freistaat nicht. Was bezahlt wird, ist der Zuschlag, den ein Arzt bekommt. Denn diese Patienten bedeuten ja auch mehr Aufwand. Für einen solchen finanziellen Anreiz nehme ich mehr Verwaltungsarbeit in Kauf und führe die aufwändigere Codierung durch. Eine falsche Codierung mit einer zusätzlichen Nebenwirkung, die der Patient nicht hat, wäre aber unärztlich, unehrenhaft und ein Verstoß gegen die Berufsordnung.
Die ärztliche Versorgung von Flüchtlingen hat in den vergangenen Monaten viel Energie gekostet. Erstaufnahme- und Screening-Untersuchungen genauso wie die kurative Versorgung beim Hausarzt. Wie fällt Ihr Fazit nach rund einem Jahr aus?
Kaplan: Am Anfang war das eine enorme Herausforderung, weil wir nicht vorbereitet waren. Wir nicht, und vor allem auch der Öffentliche Gesundheitsdienst nicht, der primär dafür zuständig ist, so dass die Ärzteschaft untereinander einen kollegialen Schulterschluss gefasst hat. Das hat überall hervorragend funktioniert. Wir haben Kollegen gefunden, die freiwillig in die Einrichtungen gegangen sind, zu Beginn auch unentgeltlich, und die Versorgung sicher gestellt haben. Da habe ich mich gefreut, dass wir in der Öffentlichkeit ein so positives Zeichen gesetzt haben. Jetzt hat sich das beruhigt, die Strukturen sind geschaffen, so dass es weitgehend rund läuft, möchte ich sagen. In den Erstaufnahmen sind immer noch freiwillige Ärzte von uns, die den Öffentlichen Gesundheitsdienst unterstützen, weil der immer noch zu wenig Personal hat. Auch in dem Bereich gibt es einen Ärztemangel. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Paragraf vier und sechs ist der Leistungsumfang für Asylbewerber eingeschränkt. Das darf nicht sein. Laut den ärztlich-ethischen Grundsätzen muss ich jeden Patienten gleich behandeln.
In den Sozialämtern entscheiden keine Ärzte sondern fachkundige Sachbearbeiter, ob eine Behandlung nötig ist. Ist das System sinnvoll?
Kaplan: Die Sozialämter stellen einen Berechtigungsschein aus. Wenn sich das nur auf die Erstausstellung bei der Neuankunft beschränkt, ist das in Ordnung. Wenn wir dann die Weiterüberweisung an Fachkollegen selbst übernehmen können, ist das praktikabel. Das ist jenach Landkreis unterschiedlich. Auch die Sprachprobleme bestehen natürlich immer noch.
Zur Person
Max Kaplan (64) ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Der Unterallgäuer war zwischen 1985 und 2014 Landarzt in seiner Heimat. Seit 2010 ist er Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), seit 2014 praktiziert er nicht mehr als Arzt. Das jährliche Arbeitstreffen der Kammer, die alle in Bayern wohnenden Ärzte vertritt, findet vom 21. bis 23. Oktober in Schweinfurt statt. Die BLÄK hat rund 80 000 Mitglieder. 20 000 davon sind als niedergelassene Kassenärzte auch in der anderen Körperschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung, vertreten. Die BLÄK sieht sich laut Kaplan in der Pflicht, Ethik und Qualität der Berufsausübung hochzuhalten.