Die Euphorie, die das im Bau befindliche Nahwärmenetz in Unterspiesheim anfangs begleitet hat, ist bei vielen verflogen. Die Versorgung von rund 80 Anwesen mit Wärme aus einer mitten im Ort gelegenen Heizzentrale hat sich zum Geduldsspiel entwickelt, das an den Nerven aller Beteiligten zerrt. Dabei ist die Inbetriebnahme der Anlage in greifbare Nähe gerückt, versichert Michael Bürger, der das Projekt verantwortet und von diesem weiter zu 100 Prozent überzeugt ist.
"Die Heizzentrale ist betriebsbereit", sagt der 37-Jährige, als er mit seiner Frau Sabine Bürger (34) die in einem früheren Stall untergebrachte Anlage zeigt. Familie Bürger wohnt auf dem gleichen Anwesen in der Schafgasse in Unterspiesheim, auf dem die Heizzentrale steht. Dort stehen drei Heizkessel, die mit Hackschnitzeln befeuert werden. Zusammen bringen es die Öfen auf eine Heizleistung von 0,75 Megawatt. Die Pufferspeicher gleich daneben fassen 30 000 Liter, weitere 20 000 Liter werden in den Wärmeleitungen zirkulieren – wenn diese fertig verlegt und in Betrieb sind.
Großteil der Übergabestationen fehlen noch
Das Wörtchen "wenn" verrät den aktuellen Knackpunkt: Die schwarzen Kunststoffrohre, in denen das Warmwasser zu den angeschlossenen Gebäuden fließen wird, sind zwar größtenteils verlegt, aber eben noch nicht komplett. Insgesamt rund 3800 Meter Rohrleitung sind es, sagt Bürger. Etwa 400 Meter fehlen noch. Doch das ist eines der kleineren Probleme, die Michael Bürger derzeit Kopfzerbrechen bereiten. Mehr Ärger machen ihm die Übergabestationen, die die Fernwärme aus seinen Leitungen an die Heizungsanlagen der angeschlossenen Häuser abgeben. Ein Großteil der Stationen sind noch immer nicht geliefert worden. Er vertraut auf Zusagen, wonach diese bis Mitte November dann da sein sollen. Dann könnte das Nahwärmenetz bis Jahresende vollständig in Betrieb gehen.
In den kommenden Tagen, sagt Bürger, möchte er die bereits verlegten Leitungen abdrücken, um zu prüfen, ob alle Verschlüsse dicht sind. Falls alles passt, könnten einige Teilabschnitte des Wärmenetzes zeitnah in Betrieb gehen. Technisch ist das kein Problem, da das Netz bereichsweise abgeschiebert werden kann.
Idee vom Nahwärmenetz fand gleich Unterstützer
Der Bau begann im August 2020. Eigentlich sollte die Nahwärme bereits vergangenen Winter zur Verfügung stehen. Dass das wohl etwas zu blauäugig war, gibt Bürger unumwunden zu. Vielleicht war er anfangs auch einfach zu sehr von seinem Konzept überzeugt, und hat gemeint, sämtliche Erwartungen seiner Kunden erfüllen zu müssen. Grundstein für seine Zuversicht war eine Infoveranstaltung im Dorf im Januar 2020. Da hatte er seine Pläne vorgestellt – und damit auf Anhieb eine Reihe von Unterspiesheimern überzeugt.
An Bürgers Ursprungskonzept hat sich bis heute nichts geändert. Es sieht vor, dass er das Nahwärmenetz aufbaut und betreibt. Den Brennstoff, die Hackschnitzel, bezieht er zum Teil über seine eigene Landschaftspflege-Firma; es ist das dort anfallende Abfallholz. Das restliche Holz holt er ebenfalls selbst. Die Kunden binden sich an ihn per Vertrag für 15 Jahre – ab Zeitpunkt der Inbetriebnahme. Bis dahin zahlen die Kunden noch keinen Cent. Bürger finanziert nicht nur das Netz, sondern auch die Übergabestationen in den Häusern. Die Kunden sorgen – und zahlen – für den Anschluss an ihr Hausnetz.
Verträge enthalten keine Terminvereinbarung
Einen Termin, ab wann das Wärmenetz läuft, steht in keinem Vertrag, sagt Bürger. "Ich verlange von den Leuten nur Geduld – kein Risiko, keine Vorkasse", sagt Bürger. Dies schützt ihn jetzt womöglich vor noch größerem Ärger. Denn so kann zumindest kein Wärmekunde einen Anspruch geltend machen wegen verspäteten Lieferbeginns. Im schlimmsten Fall, falls das Projekt gescheitert wäre, läge maximal ein ungenutztes Rohr im Garten der Kunden vergraben, sagt Bürger. Keiner von diesen hätte einen Schaden, nur er selbst.
Gründe, weshalb sich der Abschluss des Projekts um gut ein Jahr verzögert hat, gibt es laut dem Initiator etliche – und lägen nur zum Teil bei ihm. Er verlegt mit Hilfe seiner Mitarbeiter nur die Rohrleitungen und zieht diese per Kernbohrung bis in die Häuser. Die Tiefbauarbeiten und das Asphaltieren der wieder verschlossenen Gräben übernehmen Fachfirmen. Aufwendiger als gedacht habe sich beispielsweise das Verlegen der Leitungen im Bereich der Gehwege in der Oberen Siedlung herausgestellt, wo im Untergrund eine Menge Versorgungsleitungen zum Vorschein kamen, von denen niemand wusste. Weit ärgerlicher für Bürger waren beauftragte Firmen, die Verträge nicht erfüllt hätten. Lieferengpässe wegen der Corona-Pandemie trugen ebenfalls dazu bei, dass nicht alles lief wie geplant.
Zugesicherte Preise haben weiter Bestand
Die Gerüchteküche im Ort kennt Bürger selbstverständlich. Laut dieser sei sein Projekt bereits komplett gescheitert, Kunden seien abgesprungen und er selbst längst pleite. Dem widerspricht er entschieden: Fakt sei, dass ihm kein einziger Kunde den Rücken gekehrt habe, er mit den finanzierenden Banken im Reinen sei und dem Projekt auch nicht die Kosten davonliefen. Deshalb gelten auch weiterhin die anfangs zugesicherten Preise: 5,5 Cent pro Kilowattstunde Fernwärme für alle Kunden plus eine Grundgebühr, die je nach Gebäudetyp – Privathaus, Mietshaus, öffentliches Gebäude – variiert. Eine Preiserhöhung, so sehen es die Verträge vor, muss Bürger ein halbes Jahr vorher ankündigen, was laut diesem derzeit nicht geplant ist.
Der Kolitzheimer Bürgermeister Horst Herbert bezeichnet das Nahwärmenetz als eine "grundsätzlich super Sache". Die Nachfrage sei groß. Allerdings meint auch er, dass Bürger den Arbeitsaufwand zur Umsetzung zu Beginn unterschätzt habe. "Es gab massive zeitliche Verzögerungen", macht Herbert klar. Ein Grund hierfür sieht auch er darin, dass der Investor vielleicht auf zu viele individuelle Wünsche seiner Kunden eingegangen sei.
Mobiles Heizgerät am Feuerwehrhaus-Neubau
Da die Gemeinde das noch im Bau befindliche Feuerwehrhaus ebenfalls mit Nahwärme versorgen lassen möchte, ist diese selbst von den Verzögerungen betroffen. Weil im Neubau der Estrich trocknen muss, ist dort derzeit eine mobile Heizstation im Einsatz, die Bürger besorgt hat. Den Diesel für den Betrieb zahlt laut Bürgermeister die Gemeinde.
Bürger versichert, dass trotz des nahenden Winters keiner seiner Kunden frieren muss. Denn einerseits hätten diese alle eine noch funktionierende Heizung im Haus. Andererseits sei er auch bereit, diejenigen, die vielleicht mit Blick auf die erwartete Nahwärme kein Heizöl mehr bestellt haben, selbst kurzfristig mit Öl zu versorgen. "Wir haben uns während der gesamten Bauzeit immer gekümmert, wenn es irgendwo Probleme gab", sagt Bürger.
Energieversorger nutzt die günstige Gelegenheit
Profitiert von dem Nahwärmeprojekt hat bereits die ÜZ Mainfranken. Der Energieversorger aus Lülsfeld hat das Angebot von Bürger genutzt, in die für die Wärmeleitungen gebaggerten Gräben auch Lehrrohre für Glasfaserkabel (Internet, Telefonie) zu verlegen. Zuerst hat die ÜZ laut Tobias Wörle, der das Projekt für die ÜZ mit geplant hat, die Rohre selbst verlegt, diese Aufgabe dann aber an Bürger übertragen. Das habe gut funktioniert und erspare es der ÜZ, zu einem späteren Zeitpunkt selbst nochmals den Boden aufzureißen, um Glasfaserkabel zu verlegen. Denn dass diese in den kommenden Jahren flächendeckend verlegt werden, sei wohl ausgemachte Sache, meint Wörle.
Die Nahwärmekunden von Bürger erhalten das Rohr für Glasfaser nach Angaben der ÜZ zusammen mit der Wärmeleitung gleich bis ins Haus gelegt. Anwohner entlang der Wärmeleitungstrasse konnten sich das Leerrohr ebenfalls bis ans Haus legen lassen – unabhängig von der Nahwärme. Wer dies nicht wünscht, der kann später eine Abzweigung vom Glasfaserstrang vorm Haus zu sich legen lassen, auf eigene Kosten. Der zeitliche Verzug des Vorhabens stellt für die ÜZ kein Problem dar, denn selbst wenn die Rohre verlegt sind, steht Glasfaser-Internet noch nicht gleich zur Verfügung, da das Dorf überhaupt noch nicht mit dem Glasfasernetz verbunden ist.