55 Jahre lang hat er am Dirigentenpult gestanden, keine einzige Probe versäumt, Krankenhausaufenthalte in die Ferienzeit gelegt. Während eines zweijährigen Auslandsaufenthalts im Rahmen eines Stipendiums ist er zu den Samstagsterminen seines Chores alle 14 Tage aus Salzburg angereist. Jetzt ist mit alldem Schluss: Vor kurzem hat der Schweinfurter Kirchenmusikdirektor, Chorleiter und Komponist Gustav Gunsenheimer den Taktstock aus der Hand gelegt und sich mit einem letzten Konzert seines Fränkischen Singkreises unter seiner Leitung endgültig von allen musikalischen Aktivitäten zurückgezogen.
Zurück in der Zeit – wie alles begann
Zurück ins Jahr 1962: Der 28-jährige Volksschullehrer Gunsenheimer schart musikbegeisterte Kollegen um sich und gründet den überregionalen „Singkreis unterfränkischer Junglehrer“. Anspruchsvolle geistliche und weltliche Chorliteratur wollte man pflegen. Beim ersten Konzert im Oktober 1962 auf der Bettenburg bilden alte Meister wie Bach, Dowland oder Gastoldi den Schwerpunkt. Die Aktivitäten erweitern sich, die Mitgliederzahl steigt, der Einzugsbereich erstreckt sich bald von Coburg bis Aschaffenburg, von Weißenburg bis in die Rhön - der Fränkische Singkreis hatte sich formiert.
Proben, Konzerte, Reisen
Über die folgenden Jahrzehnte hin gaben die bis zu 60 SängerInnen jährlich im Schnitt zehn Konzerte, zuletzt waren es noch fünf bis sechs Auftritte. Auf 40 gemeinsame Konzertreisen im In- und Ausland mit jeweils bis zu drei Konzerten kann man zurückblicken. Zur Tradition geworden waren die Mitwirkungen bei den vom Kantor Gunsenheimer selbst ins Leben gerufenen Konzertreihen zur Osterzeit oder den „Musiktagen am Hochfeld“ in der Adventszeit in der Schweinfurter Lukaskirche.
Vieles war möglich
Meist fungierte der Dirigent selbst auch als Moderator der Konzerte; oft gab es instrumentale Einlagen aus dem im Chor vorhandenen Instrumentalistenpool heraus, abwechslungsreiche Konzerte mit Vokalem, Orgel, Streichquartett, Blockflötenensemble . . . vieles war möglich. Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen, Umrahmungen von Weinproben, alljährliche Serenaden in Königsberg, immer wieder Uraufführungen zeitgenössischer Kompositionen, darunter auch von Gustav Gunsenheimer selbst, zeugen von einem reichen und vielfältigen Konzertleben.
Gustav Gunsenheimer, 1934 als Sohn fränkischer Eltern in Niederschlesien geboren, leitete jedoch nicht nur den Fränkischen Singkreis, sondern auch internationale Chorleiterwochen und Seminare und war Lehrbeauftragter an der Würzburger Musikhochschule für das Fach Musiktherapie. 1983 erfolgte seine Ernennung zum Kirchenmusikdirektor, 1987 wurde ihm die Stadtmedaille der Stadt Schweinfurt und 1990 das Bundesverdienstkreuz verliehen; dazu erhielt er weitere Ehrentitel und Preise.
Auf den Musikpädagogen Gunsenheimer geht die Einrichtung von Musikklassen an der Kerschensteinerschule in Schweinfurt zurück. Sein Schaffen als Komponist umfasst fast alle Gattungen; viele seiner Kompositionen werden von namhaften Ensembles aufgeführt (beispielsweise dem Thomanerchor Leipzig), sind auf Tonträgern erschienen oder werden im Rundfunk ausgestrahlt.
„Unruhe konnte er nicht leiden“
„In seinen Proben musste man pünktlich und diszipliniert sein, Unruhe und Schwätzen konnte er nicht leiden“, berichtet ein Chormitglied, das mit 47 Jahren aktiver Mitgliedschaft fast von Anfang an im Fränkischen Singkreis dabei war. Die Motivation für so lange Jahre treuen und begeisterten Mitwirkens sei für die meisten Chorsänger zum einen natürlich die Musik. Aber auch das soziale Miteinander, die langjährig gewachsene Gemeinschaft machten den Chor zu etwas ganz Besonderem. „Wir können heute gemeinsam singen, feiern, schweigen oder trauern“, sagt eine der Aktiven, selbst pensionierte Lehrerin, die auch feststellt, dass sie von Gunsenheimer viel für die eigene musikalische Arbeit an der Grundschule gelernt habe.
„Die Jahrzehnte im Fränkischen Singkreis haben unser Leben bereichert“, so die Meinung im Chor, aber alles habe eben seine Zeit. Wohin sich der Chor entwickle, müsse man abwarten. Der Abschied ist Gustav Gunsenheimer nicht leicht gefallen, das wurde bei der Verabschiedung deutlich. Bei einem bereits seit längerem geplanten Adventskonzert im Kloster St. Ludwig wird ein anderer am Dirigentenpult stehen. Gunsenheimer kann die Früchte seiner Arbeit dann in Ruhe als Zuhörer genießen.