Die Uhr am Turm des Alten Krankenhauses zeigt zwei nach zehn. In Wirklichkeit ist es schon nach 12, die letzte Stunde für das Gebäude hat geschlagen. Seit einigen Wochen wird innen abgeschraubt und rausgerissen, was separat entsorgt werden muss. Demnächst werden die Fenster ausgebaut, das Dach abgedeckt – dann kommt der Bagger und innerhalb weniger Stunden wird ein Gebäude Vergangenheit sein, von dem viele meinen, dass man es unbedingt hätte erhalten müssen.
Allerdings hatte das Alte Krankenhaus nicht genug Fürsprecher, sonst wäre der von den Grünen-Stadträten initiierte Bürgerentscheid anders ausgegangen, an den sich Oberbürgermeister Sebastian Remelé nun gebunden fühlt. Nur 3751 Bürger (44,36 Prozent) votierten im Januar diesen Jahres für den Erhalt, 4705 (55,64) dagegen. Nachdem die Schweinfurter ihr Altes Krankenhaus jahrelang nicht beachtet hatten, bis es schließlich so herunter gekommen war, dass sich anfangs kein Widerstand gegen seinen Abriss regte – um einem Gesundheitspark Platz zu machen – wurde in den vergangenen Monaten viel geschrieben und gesagt. Aber selbst die umfangreiche und spannende Dokumentation der Architekturhistorikerin Suse Schmuck und ihr Appell, dass es noch nicht zu spät sei und mit Geduld bessere Wege gefunden werden könnten, fruchteten nichts mehr.
Die „Causa Altes Krankenhaus“ war entschieden: im Stadtrat, im Aufsichtsrat der Stadt- und Wohnbau GmbH (SWG) als Bauherr des Gesundheitsparks und in der Bürgerschaft. Auch aus dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege kam kein Signal mehr, obwohl der Komplex zu den hervorragenden Beispielen für die Architektur der Neuen Sachlichkeit zählt, das in seiner Gesamtkomposition und den vielen erhaltenen Details die Architektur der Weimarer Republik widerspiegelt, wie es Suse Schmuck in ihrem Fazit formuliert.
Begeben wir uns also auf einen letzten Rundgang durch das alte Gemäuer, in dem viele Schweinfurter geboren oder operiert wurden, wie OB Sebastian Remelé die Schulbank drückten (als Celtis-Klassen dort ausgelagert waren) oder viel später unter dem Dach mit vhs-Dozenten den Sonnengruß übten.
Graffiti im Keller
Begleiter ist Ralf Brändlein, Architekt bei der SWG. Vorbei an einem Haufen Teppichböden und einer Tafel, auf der steht, wie bei Halbseitenlähmung zu lagern sei – Überreste der Berufsfachschule für Physiotherapie, die inzwischen in den Neubau umgezogen ist – steigen wir hinab in den Keller. Alles, was noch herumliegt, muss raus, bevor der Bagger kommt: Berge Blechummantelungen von Rohrleitungen, riesige Säcke mit unbekanntem Inhalt, ein krummer Tisch, eine uralte Behandlungsliege, verrostete Regale, ein winziges Arzneischränkchen ohne Inhalt und seltsame Ungetüme. Auch Brändlein kann nicht alles bestimmen, vielleicht sind es Wasserpumpen oder Filteranlagen.
Unter dem Ostflügel tauchen im fahlen Deckenlicht Graffiti auf, Überbleibsel eines vhs-Workshops. Bis in den hintersten Winkel sind die Sprayer vorgedrungen, doch wir haben zu wenig Zeit, um die Tags genau zu betrachten. Wir suchen den elektrischen Betriebsraum mit seiner originalen, noch funktionstüchtigen Schaltwand. Schließlich werden wir fündig. So etwas kennt man nur noch aus Filmen: auf einer Marmorplatte sitzen riesige Schalter. Einige sind hochgeklappt, heute würde man sagen, sie stehen auf „on“, der Voltmeter zeigt 400. Trotz der modernen Schaltschränke gegenüber läuft noch Strom durch die historische Anlage.
Vorsichtig öffnet Brändlein eine Wandtür, dahinter liegt das Herz der Anlage – völlig ungeschützt übrigens. Beim Fotografieren halten wir respektvoll Abstand. Die Schaltwand gehört zu den Dingen, die nicht auf dem Schrott landen. Kulturamtsleiter Erich Schneider hat ausgesucht, was erhalten bleiben soll: der kleine Trinkbrunnen, den wir später im zweiten Stock finden, eine Leuchte aus dem Treppenhaus, ein paar Tür- und Fenstergriffe, die Uhr vom Turm und ein Pfosten vom wunderbaren Geländer im Treppenhaus.
Mieter bis zur letzten Minute
Während Ralf Brändlein versucht, eine alte Eisentür zu öffnen, hinter der wir einen Luftschutzkeller vermuten, rauscht neben uns Wasser durch ein Abflussrohr. Die Toiletten funktionieren noch, schließlich bleibt der letzte Mieter – die Tagesklinik für Schmerztherapie – praktisch bis zur letzten Minute im Haus. Der Luftschutzkeller entpuppt sich als leerer Raum, von dem eine Treppe nach oben führt. Plötzlich stehen wir in den ehemaligen Räumen des Athletenclubs im Westen des Gebäudes. Aussparungen im Teppichboden zeigen, wo die Fitnessgeräte standen.
Wir streifen durch das ganze Gebäude, finden viele Spuren früherer Nutzung: über der Glastür zum zweiten Geschoss steht in schwarzen Buchstaben „chir. nder u priv abt.“. Die historischen Fotografien von Krankenzimmern, die kurz nach der Eröffnung 1930 gemacht wurden, entstanden wohl hier. Selbst jetzt ist die lichte Großzügigkeit der Räume noch zu erahnen. Den langen Balkon, auf dem sich die Patienten erholen konnten, darf man schon länger nicht mehr betreten. Pflanzen erobern die Ritzen, trotzdem steht hier noch ein großer Aschenbecher: vielleicht Überbleibsel der Physiotherapie-Studenten.
Handwerker reißen Teppichböden und Holzleisten heraus. Staub liegt in der Luft, es riecht muffig aus den ungenutzten Wasserleitungen. Brändlein überlegt, wie man den Trinkbrunnen aus weißer Keramik am besten unbeschadet von der Wand bekommt. Über das westliche Treppenhaus steigen wir in den dritten Stock. Auch hier ein Bild des Jammers: Das wunderschöne Geländer ist schon lange vergittert, wirkt wie ein Käfig, vermutlich wegen der Tagesstätte der Carl-Sonnenschein-Schule, die im dritten Stock ihr Domizil hatte. Ein Wandgemälde erinnert daran. Der Fußboden ist mit Zigarettenkippen, Dosen und Chipstüten übersät. Auf einer Treppenstufe liegt eine alte Decke, hier hat es sich einer gemütlich gemacht.
Die Treppenhäuser gelten als hervorragendes Beispiel für das Design der Neuen Sachlichkeit: grauer Kunststeinboden, elegantes Geländer mit rundem Handlauf aus matt schimmerndem Metall. Der schönste Blick von ganz oben hinunter ins „Auge“ der Treppe war aber schon länger nur im östlichen Treppenhaus möglich. Das zeigt auch jetzt noch seine zeitlose Schönheit – trotz Staub und Abfall, trotz bröckelndem Putz und kaputter Lampen. Ein letztes Foto, ein letzter Blick, servus.
Das Alte Krankenhaus
Nur 30 Jahre nach dem gründerzeitlichen Krankenhaus in der Robert-Koch-Straße wurde 1929/30 gegenüber das heute „Alte Krankenhaus“ genannte Gebäude nach Plänen von Bauoberamtmann Heinrich Zierl errichtet. Eine umfassende Dokumentation über das Alte Krankenhaus hat die in Handthal im Steigerwald lebende Architekturhistorikerin Suse Schmuck verfasst. Die Publikation wurde in der neu gegründeten Reihe der Heiner-Reitberger-Stiftung Würzburg „Hefte für Schweinfurt“ veröffentlicht und ist für 5 Euro im Schweinfurter Buchhandel und bei der Stiftung, Hans-Löffler-Straße 26, in Würzburg erhältlich.