Auf einen detaillierten Zeitplan für den Abriss des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) will sich Betreiber E.ON noch nicht festlegen. Zwei Dinge sind aber aus Sicht des Unternehmens sicher: Es will so schnell wie möglich in den Rückbau einsteigen, von dem man aber über Jahre hinweg von außen kaum etwas mitbekommen wird. Und es ist ein langwieriger Prozess.
E.ON hat bei einem Pressegespräch in Grafenrheinfeld versichert, am schnellen Rückbau festzuhalten, den es im März 2014 beantragt hat. Schnell bedeutet aber in diesem Zusammenhang mindestens 18 Jahre. Treten alle derzeitigen Szenarien ein, könnte das Kraftwerk frühestens 2032 verschwunden sein. In den vergangenen Monaten nach der Abschaltung im Juni 2015 habe man den Nachbetrieb gesichert, die Organisationsstrukturen auf den Rückbau ausgerichtet und die Zukunft der Belegschaft geplant, sagte Werksleiter Reinhold Scheuring.
Die Mitarbeiter seien der Hauptgrund, den Rückbau so schnell wie möglich anzugehen. Denn sie würden für den Abbau gebraucht und kennen sich im Werk sehr gut aus. Der Wegfall von Kapazitäten, so ist es mit dem Betriebsrat vereinbart, soll über Ruhestandsregelungen und flexible Stellenbesetzung abgefedert werden. Dazu habe man in einem Diskussionsprozess definiert, welche Kraft zu welchem Zeitpunkt benötigt wird. 260 der ehemals 275 Mitarbeiter seien noch an Bord, so Scheuring.
Technisch gesehen läuft die Anlage im Nachbetrieb. Laut Werksleitung sind der primäre und sekundäre Wasserdampfkreislauf schon geleert. Die Mitarbeiter haben die 193 verbliebenen Brennelemente vom Reaktordruckbehälter ins Nasslager gehievt. Dort müssen die insgesamt 597 Elemente noch etwa vier bis fünf Jahre mit einem separaten Kreislauf gekühlt werden, bis man sie ins Zwischenlager überstellen kann. Damit rechnet E.ON etwa im Jahr 2020.
Bis Jahresende 2017 soll die Abbruchgenehmigung vorliegen. Dann werden erste Teile abgebaut, die nicht für den Restbetrieb benötigt werden. Die heiße Phase startet voraussichtlich 2020, wenn sich kein nuklearer Brennstoff mehr im Reaktorgebäude befindet.
Alle Teile in der Herzkammer des Werkes werden dann abmontiert und dekontaminiert. Das ist ein aufwendiges Prozedere. Im Atomkraftwerk Würgassen in Nordrhein-Westfalen, wo E.ON seine ersten Rückbauerfahrungen gemacht hat, sind die verstrahlten Teile in handliche Stücke geschnitten worden, damit sie in die Messanlage passten. Beim Ausbau der Anlagenteile aus dem Kontrollbereich fällt schwach- und mittelradioaktiver Abfall an, der eigentlich im Schacht Konrad bei Salzgitter entsorgt werden soll. Doch der ist heute noch nicht aufnahmebereit. Das ist neben der Genehmigungsdauer eine der Unbekannten, die E.ONs Rückbaurechnung erschweren.
„Die Sicherheit steht an erster Stelle“, versicherte Scheuring zum Ablauf. Wenn das letzte Bauteil das Reaktorgebäude verlassen hat, werden Wände, Decken und Treppen überprüft: „Jeder Quadratzentimeter wird ausgemessen“, kündigte Scheuring an.
Wenn dort keine Strahlung mehr zu registrieren ist, wird das Werk aus der Zuständigkeit des Atomgesetzes entlassen. Das soll 2028 bis 2030 passieren. Dann kann der Abbruch der Gebäude starten, der nochmals 2,5 Jahre dauern soll. Von 1,2 Milliarden Euro Kosten geht E.ON aus. Dass die Rücklagen dafür ausreichen, bekräftigte Bernd Kaiser, der bei E.ON die Rückbauaktivitäten koordiniert.
Von einer „grünen Wiese“ vor den Toren Grafenrheinfelds kann selbst nach 2032/33 noch nicht die Rede sein. Losgelöst vom Rückbau des Kraftwerks ist das Zwischenlager zu sehen. Es hat eine Betriebsgenehmigung bis 2046; heute rechnet niemand ernsthaft damit, dass es bis dahin in Deutschland ein atomares Endlager für alte Brennelemente gibt, das den Müll aufnehmen kann.
Atomares Zwischenlager in Grafenrheinfeld
Dezentrale Zwischenlager in der Nähe deutscher Atomkraftwerke sollen Atommülltransporte so lange vermeiden, bis eine endgültige Lagerstätte zur Verfügung steht. In Grafenrheinfeld ist Platz für 88 Castoren, die jeweils 19 Brennelemente aufnehmen. 21 Plätze sind schon besetzt. Wenn etwa im Jahr 2020 die letzten Stäbe aus dem Nasslager im Reaktorgebäude gezogen und umgelagert werden, sollen 55 Castoren dort stehen.
Freie Kapazitäten werden nicht anderweitig genutzt, etwa um Atommüll, zurückzunehmen, der aus der Wiederaufarbeitung stammt, versichert Werksleiter Reinhold Scheuring. Die Betriebsgenehmigung, die bis 2046 läuft, sei nur für den selbst verbrauchten Brennstoff vorgesehen. Die Sicherheit der Lager gegen äußere Angriffe ist umstritten. 2010 hat das Bundesumweltministerium eine Nachrüstung veranlasst, deren Details der Geheimhaltung unterliegen. Für Grafenrheinfeld steht die so genannte „Härtung“ an. Die Schutzmauern der Halle bestehen zwar aus 85 Zentimeter dickem Stahlbeton, dennoch sollen noch zwei je zehn Meter hohe Mauern gebaut werden. Die Genehmigung steht noch aus. Text: mjs