Es war die Vorbereitung auf den "Tag X", der zum Glück niemals kam: Vor 50 Jahren wurde der ABC-Zug Schweinfurt gegründet, in einer Zeit, als der Kalte Krieg heiß und der Eiserne Vorhang nah war. Die Zivilschutzeinheit sollte der Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Gefahren dienen, die Existenz war vor allem dem Spannungsfall geschuldet. 1981 kam das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld als weitere zivile Gefahrenquelle neben der Großindustrie hinzu. Fünf Jahre später detonierte in Tschernobyl Reaktorblock 4 des Nuklearmeilers.
Beim Ehemaligentreffen des ABC-Zugs wurde kurz debattiert, wie das damals war, als sich die Strahlenwolke über halb Europa verteilt hat. Emil Heinemann, seinerzeit Zugführer und ehemaliger Bürgermeister von Sennfeld, erinnert sich an leicht erhöhte, aber insgesamt noch unbedenkliche Werte. Dass in der Stadt keine Radioaktivität habe gemessen werden dürfen, das sei nur ein Gerücht gewesen.
Schweinfurter Tagblatt von 1982: "Bei Katastrophe bitte warten"
17 Veteranen aus dieser Zeit trafen sich in der ständigen Feuerwache, darunter Kreisbrandinspektor a.D. Rudolf Limbach (87). Mindestens zehn Jahre lang musste im Zug gedient werden, als "mehr oder weniger" begehrte Alternative zum Wehrdienst. Atropinspritzen gehörten zum Selbsthilfesatz dazu, um sich bei Kampfstoffvergiftung ein Gegenmittel injizieren zu können.
Alte Bilder zeigen orangefarbene Schutzoveralls, weiße Helme, klobige Atemschutzmasken. Standort war der Goethebunker, mit Anbau, die Ausstattung zunächst mau. Das 1982 in Dienst gestellte Strahlenschutzfahrzeug hatte anfangs keine eigene Garage. "Bei Katastrophe bitte warten", hieß es im "Schweinfurter Tagblatt" süffisant.
"Idealistische Planspiele" am "Sandkasten"
Aber auch Freundschaften sind gewachsen, im Angesicht einer Gefahrenlage, die wenig greifbar und doch allgegenwärtig zu sein schien. Heinemann sprach von "Höhen, Tiefen und Kameradschaft". Unvergessen ist Vertrauensmann Erich Dütsch, der als "Mutter der Kompanie" für Verpflegung und Hebung der Stimmung zuständig war. Ex-Zugmitglied Horst König liest die Erinnerungen von Robert Mantel vor: Der Abersfelder war Heinemanns langjähriger Amtsvorgänger.
1968 hatte das Gesetz zur Erweiterung des Katastrophenschutzes den sogenannten Luftschutzhilfsdienst (LSHD) aufgelöst. "Regieeinheiten" wurden aufgestellt, in Zuständigkeit der Landkreise und Städte.
Robert Mantel erinnert sich an diffuse Anfänge. Der Absolvent der Katastrophenschutz-Schule Wolfratshausen wurde 1974 Zugführer der Truppe, deren Sollstärke 42 Mann betrug, auf dem Papier. Anfangs stand nur ein Häuflein Helfer bereit: "Nach meiner Erinnerung ein knappes Dutzend", so Mantel. Auch Altgediente des LSHD fanden Verwendung, erste Zentrale war der Weltkriegs-Bunker in der Kilianstraße. Am "Sandkasten" fanden "idealistische Planspiele" statt.
Strahlenmessung, Kartenkunde und Lagerfeuer-Romantik
Einsatz-Dosimeter, Strahlenmessung, Kartenkunde, ABC-Spürmittel, Schutzkleidung und eben der berühmte Selbsthilfesatz gehörten dazu. Dazu kamen Geländeerkundungen. Nachtübungen sorgten für Lagerfeuer-Romantik, etwa im Juni 1977 auf dem alten Waldsportplatz zwischen Hausen und Üchtelhausen. Es gab Fortbildungen und Lehrgänge, etwa an der Bundeskatastrophenschutzschule Geretsried oder in Ahrweiler. Von der dortigen Schule aus wurde 2021 Hilfe nach der Ahrtalflut organisiert.
Die Ausbildung drehte sich um die Entgiftung von Menschen und Sachen, auch der Fuhrpark wuchs, mit VW-Kübelwagen oder dem Dekontaminations-Fahrzeug DMF. Die neuen Fahrzeuge wurden ab 1980 bei Großübungen am Schweinfurter FC-Stadion und im Rathenau-Gymnasium getestet. Bei Ausdauermärschen im Chemieschutzanzug durfte das Hölzchen im Verschluss nicht fehlen, zwecks Luftzufuhr.
Seit 1996 der Stadtfeuerwehr angegliedert
Dienst schoben ein Zugtrupp, eine Erkundungsgruppe, sowie jeweils eine Dekontaminationsgruppe P (Personen) und G (Geräte). Eng wurde mit der "AMASt" zusammengearbeitet. Die ABC-Melde- und Auswertestelle war Teileinheit der Kreisfeuerwehr, die Messergebnisse und Wettermeldungen beizusteuern hatte. Die Beobachtungs- und ABC-Meßstellen (BAMSt) des Bundes sollten zusätzlich Erkenntnisse zur "Waffenwirkung" liefern. Immer wieder tauchen bekannte Namen in der Mannschaft auf, etwa der spätere Schonunger Bürgermeister Kilian Hartmann, Fotograf Willi Schmidt oder Horst König als späterer Tagblatt- und Sportreporter.
Lob beim Treffen gab es für die "stets hervorragende Zusammenarbeit" mit dem damaligen städtischen Zivilschutzamt, unter Leitung von Dieter Adam, sowie dem kürzlich verstorbenen Leiter der ständigen Feuerwache, Erwin Boberg.
1981 zog die Truppe in die Räume des alten Krankenhauses in der Robert-Koch-Straße um. Im Jahr darauf trat Emil Heinemann sein Amt als Zugführer an. 1996 wurde der bis dato selbstständige Zug der Stadtfeuerwehr angegliedert. "Es war eine interessante, lehrreiche und schöne Zeit", lautete Mantels Resümee. Nachdenken, Improvisieren, Entscheidungen treffen: Für junge Menschen sei der Einsatz im Zug nicht die schlechteste Vorbereitung auf ihr Berufsleben gewesen, sagte Heinemann.
"Führungsgruppe Katastrophenschutz" tagte wegen Corona
Stadtbrandrat Frank Limbach stellt im Anschluss den heutigen Katastrophenschutz vor, dessen Personal aus Einsatzkräften der Feuerwehr besteht: mit jeweils einem modernen Gerätewagen "Dekontamination" sowie "Atemschutz- und Strahlenschutz", Erkundungswagen und den Fahrzeugen der Rettungsdienste.
Zum Abschluss gab es noch eine Führung zum Keller unter der ständigen Wache. Dort tagt im Fall der Fälle die FügK, die "Führungsgruppe Katastrophenschutz", wie zuletzt während der Corona-Pandemie. Der schönste Erfolg für ein Mitglied im ABC-Schutz ist bis heute, wenn der Tag X nie passiert.