
An diesen Tag vor 50 Jahren kann sich Alfred Burzler noch heute haargenau erinnern. "Der Asphalt auf der Breslauer Straße vor dem Laden hat noch gedampft, so frisch war der", sagt der 82-Jährige. Kein Wunder, dass sich dieser 15. Mai 1972 so scharf in sein Gedächtnis eingebrannt hat. Es war für den damals 32-Jährigen auch kein Tag wie jeder andere. Schließlich hat er damals mit der Kronen-Apotheke in Gerolzhofen seinen eigenen Laden eröffnet. Und diesen führte er bis ins Jahr 2019, bis in sein 80. Lebensjahr.
Dass er die Apotheke 2019 dann an seinen Sohn Frank Burzler, der ihn seit dem Jahr 2004 als Apotheker im Geschäft unterstützte, übergab, war insoweit nicht ganz freiwillig. Denn Burzler senior hatte sich seinerzeit gut vorstellen können, noch weiter hinter der Apotheken-Theke zu stehen. Doch der Pharmazierat aus Würzburg zog damals einen Schlussstrich unter Alfred Burzlers berufliche Laufbahn als selbstständiger Apotheker. Irgendwann müsse ja schließlich mal Schluss sein mit der Arbeit, hieß es.
Alle loben das Arbeitsklima
Heute lebt Alfred Burzler auch nicht mehr in der Wohnung direkt über seiner ehemaligen Apotheke, sondern im Wohnstift Steigerwald in Gerolzhofen. Wenn er jetzt an die vergangenen Jahrzehnte zurückdenkt, reut ihn nichts, was er als Apotheker auf die Beine gestellt hat. Dies merkt man im Gespräch mit ihm schnell. Mit am Tisch im Außenbereich des Wohnstifts sitzen neben Carmen Wächter, die die Kronen-Apotheke erst im vergangenen August als Pächterin übernommen hat, auch Evi Kraus, die dort bis vor zwei Jahren insgesamt 46 Jahre gearbeitet hat, sowie Petra Vogel, die seit 47 Jahren dort beschäftigt ist. Sie alle betonen das stets gute Verhältnis, das all die vielen Jahre unter den vielen Angestellten und mit dem Chef geherrscht hat.

Das gute Arbeitsklima in der Apotheke ist den Erzählungen der Angestellten zufolge eine Konstante, die sich bis heute fortsetzt. Vieles andere hat sich während der vergangenen 50 Jahre im Geschäft jedoch geändert. Seinerzeit, als Alfred Burzler, der nach seinem Pharmazie-Studium zunächst drei Jahre als angestellter Apotheker gearbeitet und dann mit der Kronen-Apotheke den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat, waren quasi alle Medikamente noch per Rezept erhältlich. Rezeptgebühren fielen kaum an. Wer krank war, ging zum Arzt und erhielt dort einen Schein, auf dem stand, was er einnehmen sollte.
Rabattverträge machen es kompliziert
Grundsätzlich – bis auf die Rezeptgebühren – ist das heute nicht viel anders. Doch aufgrund der Rabattverträge der Krankenkassen – die für jede wieder anders lauten – ist es für die Apotheken nicht ganz so einfach, den jeweils passenden Hersteller ein und desselben Wirkstoffs zu finden. Früher gab es normalerweise nur einen Hersteller. "Damals ließ es sich viel leichter in größeren Mengen einkaufen", schildert Petra Vogel. "Die Kunden haben damals auch eher weniger nachgefragt", ergänzt Evi Kraus.
Manche Kassenschlager aus den 70er, 80er Jahren würden heute in der Apotheke kaum noch verkauft, berichten sie. Ein Beispiel: Klosterfrau Melissengeist. Da würde heute eigentlich "keiner mehr danach fragen". Was dagegen immer noch gut gehe, sei etwa das Schmerzmittel Neuralgin oder der Hustensaft Bronchicum, oder Melrosum, wenn's im Hals der Kinder kratzt.
Medikamente zum Teil extrem teuer
Massiv geändert haben sich im Vergleich zu früher die Preise für manche Medikamente bzw. die Preisklasse, in der bestimmte Medikamente liegen. Carmen Wächter erzählt von Spritzen, beispielsweise für Hormonbehandlungen, die 10.000 Euro kosten – pro Spritze! Manche Kunden müssten jeden Monat damit versorgt werden. Die Kosten hierfür erhalten die Apotheken freilich von den Krankenkassen erstattet, doch in der Regel erst Wochen später. Bis dahin muss die Apotheke die angefallenen Kosten vorstrecken.

Zum Gründungspersonal der Kronen-Apotheke zählt Evamaria Bräuer. Die Gerolzhöferin hatte als junge Frau mit Alfred Burzler Ende der 60er Jahre bereits in der St. Michaelsapotheke in Gerolzhofen zusammengearbeitet, wo Burzler vor seiner Selbstständigkeit eine Zeitlang angestellt war und vor seinem Studium gearbeitet hatte. "Ich half ab 1972 beim Aufbau des Kundenstamms der Kronen-Apotheke mit", erinnert sie sich auf Nachfrage dieser Redaktion an ihre dortige Anfangszeit. Es war seinerzeit neben der Stadtapotheke und der St. Michaelsapotheke die dritte Apotheke in der Stadt.
Nur mit Erlaubnis des Ehemanns
Bräuer betrachtete es als Chance, wieder in ihren erlernten Beruf einzusteigen. "Ich benötigte dazu damals noch die Erlaubnis meines Ehemannes", schildert sie die für Frauen Anfang der 70er Jahre geltende Gesetzeslage in der Bundesrepublik. Im Jahr 1975, nach der Geburt ihres zweiten Sohnes, hörte sie als Apothekenhelferin auf.
Besonders viele Kunden kamen an den sogenannten "Omnibus-Tagen" in die Apotheke. Das waren die Tage, an denen die Buslinien vormittags Patienten in die Arztpraxen brachten, die anschließend ihre Rezepte einlösten, erinnert sich Bräuer. Die beim Großhandel bestellten pharmazeutischen Waren erhielt die Apotheke Anfang der 70er Jahre bereits per Auto geliefert, nachdem diese zuvor per Bahn kamen und am Schalter des Gerolzhöfer Güterbahnhofs abgeholt werden mussten.
Franz Schönhuber als Kunde
Bräuer erinnert sich im Zusammenhang mit ihrer Zeit in der Kronen-Apotheke noch an eine besondere Begegnung. Eines Tages wurde aus dem Saal des Gasthofs "Wilder Mann" vis-à-vis die beliebte Fernsehsendung "Jetzt red i" des Bayerischen Rundfunks aufgenommen. Hintergrund war der geplante Bau des Kernkraftwerks in Grafenrheinfeld. Moderator war Franz Schönhuber. Dieser kam nachmittags in die Kronen-Apotheke und kaufte ein und als freundliche Verkäuferin legte sie dem bekannten Moderator noch ein paar Muster von Vitaminlutschtabletten hinzu, erzählt Bräuer. "Er hatte eine dunkle, wohlklingende Stimme und war recht charmant."
So habe sie ihren Mut zusammengenommen und nach einer der begehrten Eintrittskarten für Schönhubers Sendung gefragt. Sie hatte Glück und erhielt eine – in Form eines Bierdeckels. Diesen gab sie ihrem Mann Hartmut Bräuer, der damals bereits Ambitionen für den Stadtrat hatte, wie sie sagt. "Mit dem heutigen Wissen um Schönhubers Vergangenheit als fanatischer SS-Mann und seine Hinwendung zum Parteigründer der Republikaner hätte ich ihm vermutlich keine aufbauenden Stärkungsmittel geschenkt."
Zahnpasta morgens um fünf
Auch Apotheken-Inhaber Alfred Burzler erinnert sich an Anekdoten aus alter Zeit, etwa daran, dass einmal jemand um 5 Uhr am Morgen die Notdienst-Glocke läutete, weil er um diese Uhrzeit unbedingt Zahnpasta gebraucht hat. Den Notdienst teilten sich die drei Gerolzhöfer Apotheken untereinander. Jede Apotheke hatte dann immer für eine komplette Woche den Notdienst zu organisieren.
Was längst aus den Apotheken verschwunden ist: eigene Stände und Aufsteller nur mit Babynahrung. Als es flächendeckend noch keine Drogeriemärkte gab, kauften Eltern diese Waren bei Bedarf in der Apotheke. Dasselbe galt für die (angeblich) die Gesundheit fördernden Mittelchen und Präparate, die heutzutage neben den Drogerien zum Teil auch in Einkaufsmärkten erhältlich sind.
Kunden der Kronen-Apotheke erhalten zum 50. Geburtstag des Geschäfts am 16. und 17. Mai ein kleines Überraschungsgeschenk.