zurück
50 Eier und ein Fastnachtshuhn
gochsheim "Alles hab ich noch nicht gelesen, da müsst ich ja 300 Jahre alt werden", zeigt Walfried Hein auf die Bücher, Folianten und Urkunden, die im Alten Rathaus gesammelt sind. Zehn Schränke waren es, als der ehemalige Konrektor 1992 als Archivar anfing. 20 sind es mittlerweile.
Von unserem Redaktionsmitglied susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 17.10.2017 17:39 Uhr
Hein macht es Spaß, die Geschichten, die hinter den nackten Zahlen und Eintragungen stehen, zu erzählen. Und die Vergangenheit der Gemeinde zu erforschen. Den Blick auf Menschen, Schicksale und Bauten zu lenken, längst Vergessenes wieder lebendig zu machen. So zum Beispiel die Geschichte des Zehnthofes der Herren von Erthal, dem er seine achte historische Abhandlung gewidmet hat.

Die Zehntscheune stand bis 1970 an der Ecke Hadergasse/Schweinfurter Straße. Heute steht auf ihrem Platz ein Doppelhaus, darunter ist noch ein Teil des 26 Meter langen Zehntkellers erhalten. "Der ehemalige Amtssitz des Zehntvogtes, das Erthalische Schlösschen, steht heute unauffällig mit der Hausnummer 9 in einer Häuserzeile in der Schweinfurter Straße", schreibt Hein. "Viele Gochsheimer wissen gar nicht, dass es ein Schlösschen im Ort gibt", sagt er. Kein Wunder, den auf den ersten Blick sieht man dem Gebäude nicht an, dass es aus dem 16. Jahrhundert stammt. "Außen wirkt es recht bürgerlich, innen adelig", beschreibt Hein das Anwesen. Besonders der Dachstuhl hat es ihm angetan. "Da ist ein ganzer Wald drin verbaut. So ein Gebälk habe ich noch nie gesehen".

Von 1566 bis zum Aussterben der Linie 1805 waren die Erthals mit Gochsheim verbunden. 1566 kaufte Christoph Heinrich von Erthal Balthasar von Wallenfels den alten Rittersitz in Gochsheim mit Zehntrechten für 5465 Gulden. "Sehr viel Geld" war das: gut 500 Kühe hätte man damals dafür kaufen können. Von Erthal kaufte nach und nach die Zehntrechte anderer Adeliger auf, war so 1597 alleiniger Zehntherr von Gochsheim. Das ließ er sich nochmal knapp 6000 Gulden kosten. Als Amtssitz seines Vogtes, als Finanzamt quasi, ließ von Erthal das Schlösschen bauen. Die privilegierte Stellung der Adeligen im Ort zeigt auch das Erbbegräbnis in der St. Michaelskirche. Die Erthals hatten das Recht, sich in der Kirche bestatten zu lassen. Außerdem besaßen sie einen eigenen Kirchenstuhl.

Auf dem adeligen Hof waren auch Juden angesiedelt. Mehrmals war versucht worden, die Juden aus Gochsheim zu vertreiben, schreibt Hein. Die Schutzherren konnten dies auch lange verhindern. "Im Judenhof im westlichen Teil des erthalschen Anwesens war 1564 eine Synagoge mit einer Mikwe (Ritualbad) errichtet worden, dabei befand sich eine Schule mit Lehrerwohnung (Judenhof Nr.16) Fast 200 Menschen wohnten hier in drangvoller Enge. Als im Judenhof kein Platz mehr war, erbauten die Herren von Erthal den 'oberen Judenbau" in der Sennfelder Gasse (heute Feuerwehrhaus)", hat Hein notiert.

Früher wie heute ist niemand begeistert, wenn's ans Steuerzahlen geht. Im Juli 1722 rückten so zum Beispiel 20 Mann Landmiliz von Mainberg aus in Gochsheim an, um "den zweijährigen Zehnt von den Vogtsäckern aus der Scheune zu holen und nach Mainberg zu bringen". Um den Zehnt der Vogtsäcker war lange gestritten worden, 1756 erkannte das Reichskammergericht dem Haus von Erthal die Zehntgerechtigkeit auf den 14 Vogtsäckern auf ewige Zeiten zu. 1722 prostestierten die Gochsheimer zwar, es blieb nicht anderes übrig, als zweimal 47 Garben ihrer Ernte abzugeben.

Die erthalschen Lehensleute mussten nicht nur Naturalien abführen, zum Beispiel 50 Eier zu Ostern, wie Athanasius Eichhorn. Er war auch ein Weihnachtshuhn und zwei Fastnachtshühner schuldig. Auch zu Frondiensten waren sie verpflichtet. "Hans Grämers Wittib, wohnhaft in der Hadergaßen", musste 1526 drei Tage für die Herrschaft arbeiten. "ein Tag in der Ernte zu schneiden, ein Tag im Herbst zu lesen, ein Tag Heu zu machen." Ging die Herrschaft zur Jagd, mussten die Lehensleute Hilfsdienste leisten und den Jägern Kost und Herberge gewähren.

Mit der Säkularisation 1803 fielen die Abgaben an den Bayerischen Staat. "Das Königliche Rentamt in Schweinfurt nahm von nun an den Zehnt, und Beamte und Professoren erhielten einen Teil ihrer Bezüge in Scheffel Korn geliefert". 1832 lieferten die Gochsheimer kein Korn mehr ab, sondern Geld: 196 Gulden jährlich gingen an das Schweinfurter Rentamt.

Die Bediensteten traf das Ende des Lehenswesens oft schlimmer als ihre Feudalherren, merkt Hein an. Plötzlich standen sie arbeits- und mittellos im sozialen Abseits. Ein Beispiel: Valentin Vogt, der letzte Schlossvogt in Gochsheim. 1811 wandte er sich in seiner Not an die Gemeinde. Hilfe kam aber nur von mitleidigen Nachbarn. Das Protokoll der "Ortscomission" vom 14. März 1813 schildert das traurige Schicksal des Vogtes: "Seine seit zwei Jahren ganz gelähmte und auf zerrissenem Bette darnieder liegende Frau wäre mit ihrem hilflosen Säugling und ihren drei anderen Kindern schon längst verhungert und erfroren, wenn nicht die Mildtätigkeit der Ortseinwohner. . . "

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top