Obaidullah Sultani ist 19 Jahre alt und besucht die Integrationsklasse an der Schweinfurter Fachoberschule. Am Sonntag, 13. August, saß er bei der Sendung RTL-Townhall-Meeting mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz an einem Tisch. Als „Fall“ stellte Sultani dem SPD-Vorsitzenden die Frage, die den jungen Mann aus Afghanistan zwischen Ausbildung und Abschiebung nicht zur Ruhe kommen lässt: „Warum sollten die Schüler und Schülerinnen, die sich sehr gut integrieren und sehr gut Deutsch lernen und ohne Probleme hier leben in ein Land abgeschoben werden, das nicht sicher ist?“
Schulz forderte ein Einwanderungsgesetz und sprach die Härtefallkommission an, die man einschalten könne. Schulz ließ auch wissen, dass er sich um den Fall kümmern werde, ehe in der Sendung der nächste Fall einem anderen Thema ein Gesicht gab. Wieder in Schweinfurt sprach die Redaktion dieser Zeitung mit Obaidullah Sultani.
Vor über einem Jahr floh Obaid mit seinem Bruder Zubair aus Afghanistan. Seine Eltern konnten nicht mitkommen. Beide sind krank. Zu Fuß und als Anhalter waren die Brüder über einen Monat unterwegs. Am 28. September 2015 erreichten beide Deutschland.
Obaid ist Klassenbester in der Integrationsklasse an der Fachoberschule. Mathematik zählt zu seinen Stärken. Obaid sitzt bei Gespräch mit dieser Zeitung nach Unterrichtsende an der Schulbank – die Hände zusammengefaltet und auf den Tisch gelegt. Ruhig, etwas schüchtern, erzählt er: „Wir haben uns jede Nacht vor den Taliban versteckt. Sie kamen im Dunkeln und stiegen in die Häuser ein.“
Der Schulleiter hatte den Brüdern gesagt, dass es nur begrenzt Platz in der Integrationsklasse gibt. „Weil ich Mathe kann, haben sie mich genommen.“ Sein Bruder nahm an einem Deutschkurs teil, habe jedoch enttäuscht aufgehört, weil „da alle nur Quatsch machen“. Seitdem sitze Zubair den ganzen Tag deprimiert zuhause.
Obaid fing an, Fußball zu spielen, fand Freunde. „Er lernt sehr viel und geht nie auf Partys“, erzählt sein Klassenkamerad Majed. Am 31. Januar kam dann der Schock. Obaid erhielt den Abschiebebescheid. Über den Betreuer wurde dem 19-Jährigen ein Anwalt vermittelt, der zwei Tage später mit einer Lehrerin in Mellrichstadt sprach. In Mellrichstadt teilen sich Obaid, der Bruder und ein weiterer Afghane eine Wohnung.
Die Lehrerin sprach mit dem Leiter der Fachoberschule, der sich an den Anwalt wendete. Für Obaid drehte sich alles im Kreis. Seine Situation wurde immer unübersichtlicher. Hilfe kam von zwei Mitschülerinnen, die eine Online-Petition aufsetzen und an die Öffentlichkeit gingen.
Obaid suchte auch Hilfe bei der SPD-Landtagsabgeordneten Kathi Petersen, die einen Antrag für den SPD-Bundesparteitag formulierte, wonach Abschiebungen nach Afghanistan langfristig auszusetzen sind.
Der Anwalt hatte wenig Hoffnung. „Der Freistaat lehnt 99 Prozent der Berufungen ab. Die besten Chancen hätte er mit einer Ausbildung“, sagt er. Obaid will jedoch Arzt werden („Ein angesehener Beruf, in dem ich Menschen helfen kann.“).
Obaid wartete in den vergangen Monaten oft im Klassenzimmer. Bis es Zeit ist, zum Zug zu gehen, zeichnete er manchmal. „Ich lebe gerne in Deutschland, das Leben hier ist gut“, unterbrach er einmal die Stille. Er wirkte verzweifelt. „Mein Anwalt antwortet mir nicht mehr. Ich habe Angst. Ich weiß nicht was zu tun ist. Meine Schule wird bald fertig.“, sagte Obaid und: „Ich habe dann die Mittlere Reife. Danach hilft mir niemand mehr.“
Mehr als einen Monat später hat er die Mittlere Reife und bekommt vom Kanzlerkandidaten der SPD zugesichert, dass sich dieser mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer in Verbindung setzt, um eine Aufenthaltsgenehmigung für ihn zu erwirken.
„Das Interview mit Martin Schulz war für hier lebende Afghanen sehr wichtig. Ich fühle mich jetzt besser und will weiter zur Schule gehen, um zu studieren“, sagt Obaid heute. Doch die Angst vor der Abschiebung ist nicht vorbei.
Die Bundesregierung hat 2016 beschlossen, Afghanistan als teilweise sicher einzustufen und verstärkt Afghanen abzuschieben. Einige Bundesländer weigerten sich, Bayern nicht.
Nach dem Anschlag in Kabul, bei dem über 160 Menschen starben, setzte die Bundesregierung die Abschiebungen nach Afghanistan aus, bis die Sicherheitslage neu geprüft wird. Dieses neue Gutachten wird auch über die Zukunft von Obaid Sultani mitentscheiden.
Kurze Zeit nach dem Erscheinen dieses Artikels teilte die Regierung folgendes mit: Sultani wurde die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger im Krankenhaus St. Josef ausländerrechtlich genehmigt. Der Ausbildungszeitraum läuft vom 1.September 2017 bis 31. August 2010, so die Regierung. Damit fällt Sultani unter die so genannte „3 +2 - Regelung“, sein Aufenthalt ist damit vorläufig gesichert. Danach wird einem Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldung für die gesamte (zumeist dreijährige) Ausbildungsdauer einer qualifizierten Berufsausbildung erteilt. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, für zwei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, um im zuvor erlernten Beruf zu arbeiten. In Bezug auf die „3+2-Regelung“ betont Regierungspräsident Paul Beinhofer in der Mitteilung: „Die unterfränkischen Betriebe können sich darauf verlassen, dass eine qualifizierte Ausbildung, die im laufenden Asylverfahren erlaubterweise begonnen wurde, regelmäßig auch nach einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge auf Basis der „3+2-Regelung“ zu Ende geführt werden kann, sofern die Asylbewerber nicht straffällig werden oder über ihre Identität täuschen.“
Wo kann man unterschreiben, dass solchen Menschen wie Obaidullah Sultani und sein Bruder geholfen wird, dass sie bleiben dürfen?
Was zum Teufel spricht dagegen?
Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Deutsche, die sich um solche Menschen bemühen und helfen wollen.
Danke, Bayern.