Eva Pohl, Sozialsekretärin beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Ev.-Luth. Kirche in Bayern in Schweinfurt, begrüßte einige Besucher zum Vortrag „Das steht mir doch zu!“ im evangelischen Gemeindesaal in Mellrichstadt.
2018 habe die Bundesregierung die Arbeit am 6. Armuts- und Reichtumsbericht begonnen, Ende 2020 soll der Bericht veröffentlicht werden. Alles sei ungleich verteilt. Während die einen 40 Stunden arbeiten und nicht vom Einkommen leben können, verdienen andere an einem Tag, was jene im Jahr verdienen. Der Referent des Abends, Dipl.-Volkswirt Thomas Krämer, ebenfalls vom kirchlichen Dienst „kda“, hat seinen Master in Philosophie und Ökonomie an der Uni Bayreuth gemacht und ist gelernter Bankkaufmann mit vierjähriger Berufserfahrung, stellte er sich vor.
In seinem sozialethischen Vortrag setzte er sich mit der Spannung zwischen Gerechtigkeit und Neid auseinander. Zunächst definierte er den Begriff Gerechtigkeit. Sie sei das gültige Maß sozial richtigen Verhaltens und eine Grundnorm gesellschaftlichen Zusammenlebens, die in Recht und anderen Normen verankert ist. Domitius Ulpian, ein römischer spätklassischer Jurist aus dem 3. Jahrhundert in Rom, hatte schon damals das Wesen der Gerechtigkeit beschrieben: „Ehrenhaft leben, andere nicht kränken oder schädigen, jedem das seine zugestehen.“ Die Gerechtigkeitsvorstellung habe sich im Zeitablauf gewaltig verändert. Barmherzigkeit dagegen sei die wohlmeinende Unterstützung von Menschen in Notlagen. Dabei gebe es einen Versorgungs- oder Betreuungsmangel. Sind die Mängel menschenverursacht, so sei zuvor keine Gerechtigkeit ausgeübt worden. Barmherzigkeit greife, wenn die Gerechtigkeit versagt hat. "Wir wären in Deutschland in der Lage, Gerechtigkeit vorherrschen zu lassen", so der Referent.
Anhand von Schaubildern zeigte Thomas Krämer, wie sich das Einkommen der Bevölkerung in den Jahren zwischen 1995 und 2015 entwickelt hat. 30 Prozent der untersten Bevölkerungsschicht haben in der Summe immer noch weniger als die obersten 10 Prozent. Bis heute geht die Schere weiter auf. Gesellschaften mit höherer Ungleichheit in der Bevölkerung hätten mehr Kriminalität, hohe Gesundheitskosten usw.
Der Soziologe Georg Simmel bezeichnet Neid als ein soziales Gefühl, welches die Formen des menschlichen Umgangs negativ beeinflussen kann, aber nicht muss. Neid entstehe, wenn jemand im Vergleich zu anderen weniger hat oder wenig ist und diese Person das Mehr des anderen oder der anderen begehrt. Im Neid könne aber auch Bewunderung zum Ausdruck kommen und gelte dann als Motivation. Um die positive und negative Wirkung von Neid zu unterscheiden, biete sich das Wort Missgunst an. So wird Neid zu Missgunst, wenn man das Mehr nicht nur begehre, sondern auch nicht gönne.
In einer Primärerhebung und Sekundäranalyse der repräsentativen Befragung zur Wahrnehmung von Armut und Reichtum in Deutschland (Dietrich Engels, Helmut Apel, Sebastian Götte) stimmen knapp 85 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass es gerecht ist, dass man das, was man durch Arbeit verdient hat, behält, auch wenn das heißt, dass einige reicher sind als andere. Daraus sei abzulesen, dass die deutsche Gesellschaft nicht unbedingt neidisch ist auf die extrem Reichen. Wird eine Neiddebatte geführt? Dagegen würden die Umfrageergebnisse sprechen, welche die Haltungen und Einstellungen zu Reichtum wiedergeben. Eifersucht werdehäufig als Synonym für Neid verwendet. Eifersucht entfalte immer eine vergiftende Wirkung.
Handlungsmöglichkeiten bestehen in der Primär- und Sekundärverteilung in der Gesellschaft. Letzteres bedeutet, die soziale Absicherung verbessern, das Sozialsystem stärken, weniger prekäre Beschäftigung, höherer Mindestlohn, mehr allgemein verbindliche Tarifverträge, keine Tarifflucht ermöglichen usw. Letztlich sei eine Haltungsänderung gefragt: weg von „Steuerhinterziehung/-vermeidung ist ein tolles Hobby“ hin zu „Steuern sind mein Beitrag zum Gemeinwesen, zur Gesellschaft, zum Wir“. Und: die Wirkmächtigkeit von Gegenpositionen stärken, so der Referent.