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ERMERSHAUSEN
Zustände wie in einem Bürgerkrieg
Ein kleines Dorf im Haßgau machte bundesweit Schlagzeilen. Polizisten stürmten genau vor 30 Jahren in der Nacht zum 19. Mai 1978 das Rathaus in Ermershausen. Die Zustände waren wie in einem Bürgerkrieg.
Mit einem Auto, welches die Feuerwehr für Übungen genutzt hat, wurde die Ortsdurchfahrt von Ermershausen blockiert.
| Mit einem Auto, welches die Feuerwehr für Übungen genutzt hat, wurde die Ortsdurchfahrt von Ermershausen blockiert.
Von unserem Redaktionsmitglied Klaus Gimmler
 |  aktualisiert: 18.05.2008 16:54 Uhr

Die Nacht zum 19. Mai 1978 wird vielen in Ermershausen wohl ewig in Erinnerung bleiben. Mit einem unglaublich großen Aufgebot an Polizei – es sollen insgesamt 1840 Beamte gewesen sein – wurde das alte Rathaus von Ermershausen gestürmt, um die dort lagernden Akten nach Maroldsweisach – dem neuen Sitz der Gemeindeverwaltung nach der Gebiets- und Verwaltungsreform – zu bringen. Wenige Tage zuvor hatten die Bewohner von Ermershausen mit Gewalt verhindert, dass die Dokumente der einstigen Selbstständigkeit nach Maroldsweisach gebracht werden.

Stimmt die Zahl von 1840 Polizisten? Die Polizei spricht von deutlich weniger. Fest steht jedenfalls, und das beweisen Bilder, die Zahl der Beamten war sehr groß, die sich an dem Einsatz beteiligt hatten. Darunter waren vor allem Beamte der Bereitschafts- und der Landespolizei. Sie umstellten zuerst die Kirche, um zu verhindern, dass Glockengeläute die rund 650 Dorfbewohner alarmiert. Auch die Feuersirene wurde blockiert.

Dennoch waren innerhalb weniger Minuten die meisten Dorfbewohner auf den Beinen, konnten jedoch nicht verhindern, dass aus dem alten Rathaus sämtliche Aktenschränke, Tische, Stühle und sogar die Aschenbecher mitgenommen wurden. Nach einer halben Stunde war die Aktion beendet.

Die Ermershäuser blockierten daraufhin die Ortsdurchfahrt mit einem Auto, welches die Feuerwehr für Übungen genutzt hat. Später fing es Feuer, sodass das Auto vollständig ausbrannte. Sie dekorierten das Rathaus mit Spruchbändern, auf denen sie verkündeten: „Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten“.

Sie wollen sich, so erklärten Sprecher der Bürger, nicht mit der Eingemeindung nach Maroldsweisach, mit dem eine traditionelle Fehde besteht, abfinden. In einer Bürgerversammlung wurde der weitere Widerstand organisiert. Dies war der Beginn eines 16 Jahre andauernden Kampfes, der schließlich von Erfolg gekrönt war.

Was hatten sie nicht alles getan, um wieder selbstständig zu werden: Wahlen boykottiert, Petitionen eingereicht, geklagt, sich beschwert und demonstriert, wo immer es möglich war, und in Massen in die CSU eingetreten. Die Ermershäuser gründeten einen CSU-Ortsverband, der mit 274 Mitgliedern der damals größte im Landkreis Haßberge war.

Die Bayerische Staatsregierung war schließlich der andauernden Proteste müde. Sie gab der Gemeinde Ermershausen die Selbstständigkeit wieder. Bei fehlender Akzeptanz der Eingemeindung könne diese wieder rückgängig gemacht werden. Der Frieden in den Gemeinden sei wichtiger, hieß es in einer Erklärung von damals. Allerdings wurde in die Freiheit nur Ermershausen entlassen. Die zuvor zu Ermershausen zugehörigen Orte Birkenfeld und Dippach blieben bei Maroldsweisach.

Zum Jahreswechsel 1994 war es dann so weit. Das damals 610-Einwohner-Dorf Ermershausen im Landkreis Haßberge ist wieder selbstständig und schließt sich als eigenständige Gemeinde der Verwaltungsgemeinschaft Hofheim an.

Der damals 61-jährige Metzgermeister Adolf Höhn, von 1972 bis 1978 Bürgermeister und Galionsfigur des Widerstands, bewarb sich bei der Wahl am 30. Januar als Einziger um das Amt des Gemeindeoberhaupts. Die Wahlbeteiligung war mit über 92 Prozent enorm und der Vertrauensbeweis für Adolf Höhn beeindruckend: Mit 389 von 437 abgegebenen Stimmen wurde Höhn wieder zum Bürgermeister von Ermershausen gewählt.

Eine denkwürdige Nacht: Die Bewohner von Ermershausen können es nicht fassen, dass die Polizei in der Nacht zum 19. Mai 1978 das Rathaus von Ermershausen stürmt, um die dort lagernden Akten nach Maroldsweisach zu schaffen.
Foto: FOTO Privat | Eine denkwürdige Nacht: Die Bewohner von Ermershausen können es nicht fassen, dass die Polizei in der Nacht zum 19.
 
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