„Zuletzt gelesen“ – das Motto von „Mellrichstadt liest“ im März war bewusst offen. David Henkes und Gastleserin Gaby Dinglinger verzichteten im Café Art darauf, ein bestimmtes Thema oder Genre vorzugeben. Die Zuhörer fanden das schon vorher spannend; das zeigte der sehr gute Besuch. Sie wurden nicht enttäuscht.
Gaby Dinglinger interessiert sich offensichtlich für Ausgefallenes. Sie startete mit dem „Leitfaden für britische Soldaten“. Als die sich 1944 im Zweiten Weltkrieg auf den Weg nach Deutschland machten, bekam jeder dieses Büchlein mit auf den Weg.
Alles in allem sei der Deutsche brutal, aber wehleidig, wenn es um ihn selbst gehe, stand da geschrieben. Die Deutschen liebten militärisches Gepränge, trieben erst seit den letzten 30 Jahren Sport, aber mit guten Leistungen. Im Fußball seien sie nicht so kämpferisch wie die Briten.
Solche und andere „Wahrheiten“ schmücken den Leitfaden. Den Soldaten rät er, höflich, aber distanziert zu sein, sollten sie in deutschen Haushalten einquartiert werden.
Die Welt in 100 Jahren
Wie prominente Autoren 1910 „Über die Welt in 100 Jahren“ dachte, trug der Journalist Arthur Brehmer in einem Buch zusammen. David Henkes stellte es vor. Einige erstaunliche Treffer landeten diese Experten. So sagten sie das drahtlose Jahrhundert, Solarenergie und andere Techniken voraus.
Die Zukunft sollte deutlich besser werden als die Gegenwart. Landwirtschaft sollte in chemischen Fabriken betrieben werden; die Arbeit erfolgt durch kurzes Drücken auf einen elektrischen Knopf. Kinder werden durch Freiwillige produziert. Ein ärztliches Komitee wählt die nötige Anzahl.
Niedere Bedürfnisse verabscheuen die Menschen. Der männliche und weibliche Typus sind verschmolzen. Ist wohl nicht alles so eingetroffen.
Als David Henkes das Flirtbuch für Männer von Christiane Bongertz geschenkt bekam, las er einer Dame so lange daraus vor, bis sie ihn küsste und sagte „Halt die Klappe“. So erzählte er es bei „Mellrichstadt liest“. Das Buch sei ein gern gewähltes Präsent zu Geburtstagen von Singles. Die Beschenkten werden danach wohl weiter Singles bleiben. Henkes gab zudem eine Kostprobe von witzigen Anmachsprüchen. Dumm nur, dass sie laut wissenschaftlichen Studien eher verschaukeln als anmachen.
„Die Geschichte von Herrn Sommer“ von Patrick Süskind erzählte Gaby Dinglinger. In dem Roman wird eine Episode aus der Schulzeit des Erzählers beschrieben. Er kommt zu spät zur Klavierstunde zum uralten Fräulein Marie-Luise Funkel. Mit ihr soll er vierhändig spielen. Das Ganze entwickelt sich zum schaurig-schleimigen Kampf ums richtige Treffen von „F“ und „Fis“. Bei dieser Erzählung kam Gaby Dinglingers schauspielerisches Talent so richtig zur Geltung. Man konnte sich herrlich schön ekeln.
Traurige Gestalten
David Henkes stand Dinglinger im Rezitieren nicht nach. In „Fleisch ist mein Gemüse“ erzählt Heinz Strunk weitestgehend autobiografisch von seiner Zeit als junger Mann in einer Tanzkapelle. Er denkt, dass er schöne Frauen abgreifen kann. Leider ist er eine unglaublich traurige Gestalt.
Dennoch kommt er der jungen Schützenkönigin näher. Das Ende der Geschichte: Der Erzähler beschließt, das Thema Frauen für unbestimmte Zeit ruhen zu lassen.
Mit der „Frankenbande“ von Helmut Vorndran aus der Sammlung „Tot durch Franken“ versuchte sich Gaby Dinglinger als Nicht-Fränkin mit der fränkischen Mundart. Es ging um ein schmächtiges Komma und seinen Freund, den Konjunktiv. Die Gegner: das harte Doppel-B, das harte B, das harte G, das Q und das scharfe S. Die Mission, die deutsche Sprache vom fränkischen Dialekt zu befreien, scheitert. Eine Persiflage auf die Rechtschreibreform.
Henkes lieferte den letzten Beitrag mit „Das finstere Tal“ von Thomas Willmann. Eine mystische Geschichte um Vergeltung, bei der ein Fremder, ein Patriarch und ein Pfarrer die Hauptpersonen darstellen.
Einen Wermutstropfen gab es beim heiteren Nachmittag. Peggy Geßner konnte krankheitsbedingt keine Geschichten vortragen.