
Der Europäische Tag der Epilepsie wurde am Montag, 12. Februar, begangen. Der Gesundheitstag wurde ins Leben gerufen, um für mehr Verständnis und bessere Betreuung der Betroffenen zu werben. Immerhin jeder hundertste Mensch in Deutschland hat Epilepsie. Fragen nach Ursachen der Erkrankung, nach Behandlungsmethoden, was es bedeutet, mit der Krankheit zu leben, und wie man mit Menschen umgeht, die einen Anfall erleiden, beantworten drei Spezialisten vom Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt: Irena Kirova, Oberärztin der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin, Dr. Hassan Soda, Chefarzt der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin und Dr. Tobias Knieß, Chefarzt der Klinik für neurologische Rehabilitation.
Was genau ist Epilepsie? Was steckt hinter dieser komplexen neurologischen Störung?
Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen, die in jedem Lebensalter auftreten kann.
In Deutschland erkranken jährlich rund 40.000 Menschen daran und etwa eine Million Menschen (ein Prozent der Bevölkerung) leidet an der Erkrankung. In jungen Jahren beruht die Epilepsieerkrankung meist auf einer angeborenen oder frühen Entwicklungsstörung des Gehirns. Darüber hinaus werden zunehmend genetisch bedingte Faktoren als Ursache meist chronischer Verlaufsformen erkannt. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Anzahl an Neuerkrankungen stark an. Hierfür sind Stoffwechselstörungen, Verletzungen und Entzündungen des Gehirns oder Folgen eines Schlaganfalls verantwortlich. Auch verschiedene Demenzformen können eine Epilepsie hervorrufen.
Ein tieferer Blick in die Gründe: Was sind die Ursachen der Epilepsie?
„Überfall“ bedeutet das griechische Wort „epilepsis“, von dem sich der Begriff „Epilepsie“ herleitet. Und so lässt sich die Krankheit auch beschreiben: wiederholend und plötzlich überfällt Menschen, die an Epilepsie leiden, ein Zustand, in dem ihr Gehirn an einer bestimmten Stelle kurz "verrückt" spielt. Es sind unkontrollierte Entladungen vieler Hirn-Nervenzellen zur gleichen Zeit am gleichen Ort. "Ganz plakativ gesagt: eine Art Kurzschluss im Kopf", erklärt Tobias Knieß.
Diagnose bei Epilepsie: Welche Anzeichen sollten ärztlich abgeklärt werden? Wie wird Epilepsie festgestellt?
Menschen, die plötzlich ohne jeglichen auslösenden Grund für ein bis zwei Minuten bewusstlos werden und dabei Zuckungen zeigen, dabei möglicherweise nicht mehr sprechen können und anschließend für längere Zeit Erinnerungslücken haben, könnten einen epileptischen Anfall erlitten haben. Typischerweise kann man auch nach einem größeren epileptischen Anfallsereignis einen seitlichen Zungenbiss beobachten. Die Unterscheidung zu einem Kreislaufkollaps oder anderen plötzlichen nicht epileptisch bedingten Ereignissen, wie Schlaganfallvorboten (TIA) oder psychische Ausnahmezustände sind sehr schwierig und von Laien kaum zu unterscheiden. Es bedarf daher einer professionellen Klärung durch Neurologen beziehungsweise idealerweise Epileptologen. Die wichtigste Basis ist dabei die möglichst sehr genaue Beobachtung und Beschreibung des Ereignisses durch Augenzeugen. Dadurch kann bereits zu 80 Prozent eine nahezu korrekte Schlussfolgerung erfolgen.
"Vor allem beim ersten Ereignis sollte zwingend eine weitere Abklärung erfolgen, ob ein Wiederholungsrisiko besteht", erklärt die Oberärztin der Epilepsiestation Irena Kirova. Denn dann steht die Diagnose einer Epilepsie im Raum. Wichtig ist hierbei die Durchführung einer sogenannten Bildgebung des Gehirns (CT oder MRT) und eine Untersuchung der Hirnfunktion mittels EEG (Elektroenzephalogramm). Das Video EEG Monitoring stellt eine besondere Untersuchungsmethode dar, bei der über mindestens 24 Stunden eine Hirnstromableitung (EEG) und gleichzeitig eine Videoüberwachung erfolgt. Mit dieser aufwändigen Methode können zusätzlich bis zu 25 Prozent der Epilepsien identifiziert werden.
Die korrekte Diagnose stellt eine hohe Herausforderung und fachliche Kompetenz an das Ärzteteam dar. Eine falsche oder leichtfertige Epilepsiediagnose kann fatale Folgen haben. "Bis zu 40 Prozent der Diagnosen-Epilepsie sind leider falsch", so Tobias Knieß
Epilepsie bedeutet nicht das Ende eines normalen Lebens. Wie können Betroffene den Alltag meistern?
Die Diagnose Epilepsie ist für viele Menschen ein Schock. Oft genug erscheinen vor dem inneren Auge erstmal Bilder von seltsam verrenkten, zuckenden Menschen mit Schaum vor dem Mund. Zudem schießen tausend Dinge durch den Kopf, die mit der Erkrankung angeblich nicht möglich sind: Autofahren, Discobesuche, Computerspielen. Natürlich bringe die Krankheit Einschränkungen, erklärt Hassan Soda. Aber allgemeine Aussagen darüber, was mit Epilepsie geht und was nicht, seien unsinnig. Dafür sind die Ausprägungen viel zu individuell und hängen extrem von den Lebensumständen der Patienten ab. "Selbst bei der gleichen Symptomatik bedeutet Epilepsie für einen Busfahrer etwas ganz anderes als für einen Bürohengst", so Soda. Bei der Behandlung geht es daher vor allem um eine Frage: Was macht der Patient in seinem Leben und wie kann man die Therapie darauf abstimmen?
Wie sehen Behandlungsmöglichkeiten aus? Ist Epilepsie heilbar?
In erster Linie erfolgt eine Behandlung mit Medikamenten. Wenn keine Behandlung erfolgt, kommt es in der Regel zu wiederholten epileptischen Anfällen, die sich massiv auf das Leben der Patienten auswirken und zu privaten und beruflichen Einschränkungen führen. Bei rund 70 Prozent aller an Epilepsie Erkrankten gelingt durch die konsequente medikamentöse Behandlung eine dauerhafte Kontrolle der Anfallsaktivität, sodass meist eine nur gering eingeschränkte bis normale Lebensführung möglich ist. Sollten trotz Medikamenten die Anfälle nicht stoppen oder erheblich reduzieren lassen, besteht im Einzelfall die Möglichkeit einer Operation. Etwa 50 bis 70 Prozent der Patienten, die für eine Operation infrage kommen, können durch den Eingriff von der Epilepsie geheilt werden.
Die medizinische Forschung macht Fortschritte. Was sind die neuesten Behandlungsansätze?
Neueste, zum Teil bereits in speziellen Einrichtungen durchgeführte therapeutische Maßnahme ist die sogenannte Tiefenhirnstimulation. Dabei werden von Neurochirurgen, vereinfacht ausgedrückt, Drähte beziehungsweise Kabel mit einem an der Oberfläche verbundenen Stimulator (ähnlich einem Herzschrittmacher) in ganz bestimmten Regionen des Hirns platziert, sodass sich von diesen Stellen keine Anfälle mehr ausbreiten können. Auch eine bestimmte Diät (Ketogene Diät), die nahezu ohne Kohlenhydrate und fast nur aus Fetten besteht, kann bei schweren oder speziellen Fällen zum Einsatz kommen.

Es existieren immer noch Vorurteile rund um die Erkrankung. Wie kann man Betroffene unterstützen und Vorurteile abbauen?
Durch intensive Aufklärung, wie beispielsweise Informationsveranstaltungen, die regelmäßig am Campus abgehalten werden. So findet am 20. April von 9 bis 14 Uhr das Epilepsie-Symposium für Patienten, Angehörige und Interessierte statt, wo alle diese Themen im Detail erörtert werden und für Fragen zur Verfügung stehen. Zudem erfolgt Öffentlichkeitsarbeit über Presse und andere Medien.
Wie fühlt man sich während eines epileptischen Anfalls? Kann man sich danach erinnern?
Hierbei kommt es sehr stark auf die Art des Anfallstyps an. Es gibt etwas weniger schwerwiegende Anfallsformen, bei welchen die Betroffenen alles, oder zumindest Teile mitbekommen und auch erinnern. Aber eben auch schwerwiegendere Ereignisse mit Störungen des Bewusstseins bis hin zur Ohnmacht und lang anhaltender Erinnerungslücken (Amnesie).
Jeder kann Zeuge eines epileptischen Anfalls werden. Wie handelt man in einer solchen Situation richtig?
Das Allerwichtigste ist, Ruhe zu bewahren. Ein Anfall dauert in der Regel allenfalls ein bis zwei Minuten und endet immer von selbst. Nur in ganz wenigen Fällen (etwa fünf Prozent) kann es sich um einen sogenannten Status epilepticus handeln, bei welchem es mehr als drei Minuten zu schweren Zuckungen am ganzen Körper mit Bewusstseinsverlust kommt. Dies stellt einen medizinischen Notfall dar und es sollte entsprechende Notfallversorgung und Hinzuziehen eines Arztes/Notarztes erfolgen.
Ersthelfer sollten niemals bei Zuckungen/Krämpfen die Arme oder Beine festhalten. Hieraus könnten schwere Verletzungen resultieren. Auch das Einführen von Gegenständen in den Mund wie beispielsweise einen Keil ist zwingend zu unterlassen, da der Betroffene dadurch zusätzlich geschädigt werden kann. In erster Linie sollte der Mensch, der einen Anfall erleidet, vor weiteren Zusatzverletzungen geschützt werden. Beispielsweise dadurch, dass man ein Kissen, Decke oder Kleidungsstücke unter den Kopf legt. Oder Gegenstände, an denen sich der Betreffende verletzen kann, aus dem Weg räumt.
Sehr wichtig ist auch, dass möglichst wenig Menschen um ihn herumstehen, oder Hektik im Umfeld herrscht, wenn der Betreffende dann wieder zu sich kommt. Das bedeutet auch, Schaulustige wegzuschicken. Nicht selten sind die Menschen nach einem Anfall noch einige Zeit verwirrt und durcheinander. Dementsprechend sind ein ruhiges Umfeld und eine Reizabschirmung elementar wichtig.
Epilepsie betrifft nicht nur den Körper. Wie kann man mit den psychologischen Auswirkungen umgehen?
Hier sind insbesondere der Informationsstand der betroffenen Menschen, aber auch ihrer Angehörigen oder Arbeitskollegen wichtig. Gute Aufklärung zur Erkrankung und den Möglichkeiten der Unterstützung bei Problemen sind diesbezüglich elementar. Diesbezüglich arbeitet der Campus beispielsweise sehr eng mit der Epilepsieberatungsstelle am Julius Spital in Würzburg zusammen, die sich auf diese Aufgaben spezialisiert hat und einen niederschwelligen Zugang zur Beratung ermöglicht. Wenn schwere psychologische Einschränkungen bestehen, muss manchmal ein Psychotherapeut oder ein Psychiater in den Behandlungsprozess mit einbezogen werden.