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Wurde die Drohung "Wir vergessen nie!" wahr?
Redaktion
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
Meiningen (EKE) Spur Nummer 96 führte die Sonderkommission der hessischen Polizei zu einem Traditionsverein früherer DDR-Grenzsoldaten. Ein Informant behauptete, der Verein im benachbarten Thüringen habe etwas mit dem Mord an dem Taxifahrer und früheren BGS-Mann Hans Martin Plüschke zu tun. Der 59-jährige wurde in einer Märznacht 1998 erschossen.

Die hessischen Kriminalisten untersuchten die Angaben. Wie bei den Spuren zuvor kamen sie nicht weiter. "Wir haben keinen Zusammenhang feststellen können", sagt Wolfgang Heil, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Osthessen. Dass die Polizei überhaupt in Richtung eines politischen Hintergrunds ermittelte, erklärt ist sich daraus: Der BGS-Oberjäger Plüschke hatte ein Jahr nach dem Mauerbau an der deutsch-deutschen Grenze den DDR-Hauptmann Rudi Arnstadt erschossen.

Am 14. August 1962, vor 40 Jahren also, inspizierte er gemeinsam mit einem Hauptmann und einem weiteren BGS-Mann einen Grenzabschnitt zwischen Wiesenfeld (Thüringen) und Setzelbach (Hessen). In jenem Sommer drohte der Kalte Krieg überzukochen: Die Sowjetunion bereitete die Stationierung von Atomraketen auf Kuba vor, Westberliner demonstrierten gegen die vor einem Jahr errichtete Grenzabsperrung, die DDR-Propaganda beschwor die "absolute Überlegenheit" des Großen Bruders im Osten.

Kurz nach 11 Uhr wollte die BGS-Patrouille ein Stoppelfeld überqueren. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Fulda rief von DDR-Seite Hauptmann Arnstadt: "Halt! Stehenbleiben!" Unmittelbar darauf schoss er den staatsanwaltlichen Ermittlungen zufolge mit seiner Pistole auf den BGS-Offizier. Als er erneut zielte, habe Plüschke sein automatisches Gewehr heruntergerissen und auf Arnstadt gefeuert. Dieser brach tot zusammen. Die Kugel traf ihn oberhalb des linken Auges. Die Staatsanwaltschaft Fulda ermittelte, dass sich die westdeutschen Beamten während ihrer Patrouille ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik bewegten. Plüschke habe in Notwehr gehandelt. Das Ermittlungsverfahren wurde am 8. Oktober 1962 eingestellt.

So viel Zeit ließ sich die DDR damals mit der Bewertung des Falls nicht. Nach einem Tag Schweigen stand die Propaganda-Maschine am 16. August 1962 bereits unter Volldampf: "Bonner Mörder schossen unseren Genossen Arnstadt brutal zusammen". ADN verbreitete eine Erklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung. Demnach bewegte sich die westdeutsche Patrouille auf DDR-Gebiet. Arnstadt sei ihr entgegen gegangen und habe sie auf ihr "Verbrechen" aufmerksam gemacht. Daraufhin sei von Westseite das Feuer eröffnet worden.

Einen Tag später lautete die revidierte Tatversion, Arnstadt habe zunächst einen "Warnschuss" abgefeuert. Statt den Fall gründlich zu untersuchen, erklärte die DDR-Staatsführung Arnstadt umgehend zum "wahrhaft guten Deutschen" und inszenierte ein patriotisches Schauspiel. Nach der öffentlichen Aufbahrung in Geisa wurde die Leiche in einem offenen, mit rotem Tuch ausgeschlagenen Militärwagen durch die Rhön gefahren. Hier war Arnstadts Einheit stationiert. In Bad Salzungen empfing ihn laut einem Zeitungsbericht ein "Menschenmeer", in dem "Arbeiterveteranen die geballte Faust" zeigten. Bei der Beisetzung in Erfurt feuerten 36 Soldaten drei Salven ab, der Rundfunk legte eine Schweigeminute ein. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" zeigte die Witwe am Grab gemeinsam mit einem Armeegeneral. Schließlich wurden in der DDR Schulen, Stadien und Jugendklubs nach Arnstadt benannt und Denkmale zu seinen Ehren enthüllt.

In bestimmten Kreisen ist die Erinnerung an ihn bis heute lebendig. Am 1. Dezember 2001 lud etwa die Landesorganisation Thüringen der Kommunistischen Partei Deutschlands zur "Gedenkfeier für den gefallenen Grenzsoldaten Rudi Arnstadt" - Anlass war der "Tag der Grenztruppen". Im Internet hat ein anonymer Autor einen "Ehrenhain" angelegt, der die Erinnerung an die an der Grenze getöteten DDR-Soldaten pflegt und unverhohlen droht: "Wir vergessen nie!"

Nur rund zehn Kilometer Luftlinie entfernt von dem Ort, an dem Rudi Arnstadt 1962 erschossen wurde, liegt das hessische Neuwirtshaus. Hier fuhr Hans Martin Plüschke am 13. März 1998 kurz nach vier Uhr mit seinem Taxi. Um 409 Uhr telefonierte er von seinem Wagen aus mit einem Mobiltelefon, um 410 Uhr fand ein Zeuge das leere Taxi. Der Besitzer lag 50 Meter entfernt tot auf der Straße. Erschossen.

Zehn Minuten vor der Tat wurde ein großgewachsener, dunkel gekleideter Mann beobachtet, der auf der Bundesstraße Lichtzeichen mit einem Feuerzeug gab. Diesen Mann sucht die Polizei bis heute.

 
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